Unterhauswahlen in Japan

Brechen und Unterwerfen

Ein Ableger der buddhistischen Sekte Soka Gakkai könnte in Japan die Unterhauswahl entscheiden.

Tina Turner tut es, Stevie Wonder tut es, und acht Millionen JapanerInnen tun es auch: Mehrmals täglich beten sie Verse aus dem Lotus-Sutra zu Hause, regelmäßig auch in Gruppensitzungen im Tempel. Sie alle sind Mitglieder der buddhistischen Laienorganisation Soka Gakkai, der Studiengesellschaft zur Schaffung von Werten.

Wenn am 25. Juni in Japan Unterhauswahlen stattfinden, dann wird Soka Gakkai eine gewichtige Rolle spielen - obwohl in Japan eine laizistische Verfassung gilt, deren Artikel 20 bestimmt, dass keine religiöse Organisation »irgendwelche politische Macht ausüben« darf. Doch das ficht Soka Gakkai nicht an, denn die Sekte verfügt über eine eigene Partei, die Komeito (Partei für saubere Politik), die seit vergangenem Jahr sogar mit in der Regierung sitzt. Koalitionspartner sind die seit fünfzig Jahren beinahe ununterbrochen regierenden Liberaldemokraten (LDP) und die gerade zwei Monate alte Konservative Partei (CP). Umfragen sehen die Komeito stabil bei knapp zehn Prozent der Stimmen.

Und diesen Wert könnte sie sogar noch übertreffen. Die Programme der Oppositionsparteien unterscheiden sich nicht großartig von denen der Regierung. Die Bevölkerung zeigt sich in Umfragen betont desinteressiert. Lediglich 28 Prozent der WählerInnen hatten sich zwei Wochen vor dem Wahltermin schon für eine Partei entschieden. Die Auswahl zwischen machthungrigen und korrupten Politikern, Abspaltungen und Flügeln der LDP kann nur noch Hartgesottene in die Wahlkabine locken. Da bietet sich Komeito als Alternative an.

Noch vor wenigen Jahren hatte die LDP auf der Einhaltung der Verfassung bestanden und die Angst vor einer Vermischung von Religion und Politik beschworen. Doch da war die LDP in der Opposition, während die buddhistische Partei der bisher einzigen nicht LDP-geführten Nachkriegsregierung angehörte, die 1993 kurzzeitig alle anderen Parteien einte. Seit vergangenem Jahr aber wird die Komeito benötigt, um die Mehrheit im Ober- und Unterhaus zu sichern.

Gegründet wurde Soka Gakkai zu einer Zeit, als der Shintoismus Staatsreligion war - 1930 waren alle anderen Religionen verboten. Die Verehrung für den Kaiser (Tenno) als Gott stand über allem. Per Gesetz wurden nach dem Krieg eine weitgehende Religionsfreiheit und die Trennung von Religion und Staat festgeschrieben, um eine Wiederkehr des Systems des »gottgleichen« Tenno auszuschließen. Dennoch wird der Shintoismus heute wieder verstärkt von rechten Politikern - vor allem aus der LDP - benutzt, um an das chauvinistisch-imperialistische Regime der dreißiger und vierziger Jahre anzuknüpfen. Weder Shintoismus noch Buddhismus sind Mitgliederreligionen, in Umfragen bekennen sich zu beiden jeweils rund 70 Prozent der Bevölkerung. Doppelnennungen sind also die Regel.

Von 1960 bis 1979 war Daisaku Ikeda der Vorsitzende von Soka Gakkai. Unter ihm nahm die Zahl der Mitglieder auf mehrere Millionen zu. Das Sekten-Vermögen wird heute mit über 75 Milliarden Euro angegeben. 1964 gründete Soka Gakkai die Komeito, um an Wahlen teilzunehmen. Seitdem hat die Partei einen ständig zunehmenden Stimmenanteil. Die treuesten Wähler sind die Sektenmitglieder.

Aber erst in den neunziger Jahren wurde Komeito zu einem wichtigen Faktor im Parlament. Alle ihre Abgeordneten und Minister sind auch eingeschriebene Mitglieder von Soka Gakkai. Ohne die Zustimmung der Religionsgemeinschaft wird in der Partei keine Entscheidung getroffen. Die jetzige Koalition wurde nach einem Bericht der Mainichi Shimbun an der Komeito vorbei direkt zwischen den grauen Eminenzen der LDP und der Soka-Gakkai-Führung mit Daisaku Ikeda ausgehandelt.

In vieler Hinsicht trägt Soka Gakkai Züge einer autoritär geführten Sekte. Ergeben folgen die Mitglieder den Worten ihres religiösen Oberhauptes Ikeda. Partei und Religionsgemeinschaft sind lediglich formal getrennt. Ikedas Wort habe absolute Wirkung, berichtet ein ehemaliger Minister, alle Loyalität gelte direkt ihm. Der Parteisprecher der Komeito behauptet zwar, Ikeda habe keinen direkten Einfluss auf die Politik und die Personalfragen der Partei. Es sei aber kein Geheimnis, dass es »regelmäßige Treffen zwischen den Führern der Komeito und der Soka Gakkai gebe«.

Ikedas seltene öffentliche Auftritte sind effektvoll inszeniert. Treffen unter anderem mit dem kirgisisch-russischen Schriftsteller Tschingis Aitmatow, mit Nelson Mandela oder Richard von Weizsäcker, der in Japan als Linksliberaler gilt, stärkten sein Ansehen. In großen Artikeln berichtete die sekteneigene Zeitung Seikyo Shimbun über die Gespräche. Ehrfürchtig wurden in den Bet-Zirkeln der Partei anschließend Ikedas Worte diskutiert.

Unbestritten benutzte Soka Gakkai früher eine brachiale Strategie, um Mitglieder zu werben und bei der Stange zu halten. Mit dem Slogan »Brechen und Unterwerfen« (shaku-buku) bezeichnete sie selbst diese Methode. Heute redet sie von den »Fehlern vergangener Jahre«. Doch Insider berichten, dass es damit nicht vorbei sei. Ehemalige Mitglieder werden demnach weiterhin bedroht und angegriffen, ihre Autos beschädigt. Die Vereinigung der Opfer von Soka Gakkai hat 10 000 Mitglieder. Eine bekannte Kritikerin der Organisation beging einen nach Polizeiangaben äußerst zweifelhaften Selbstmord. Ihren Tod feierten Soka-Gakkai-Mitglieder vor ihrem Haus.

Soziale, ökologische und pazifistische Parolen gehörten und gehören zum Alltag der Partei. Gleichzeitig verhalf Komeito aber der LDP Anfang der neunziger Jahre zum Abstimmungssieg bei der Diskussion um die ersten Auslandseinsätze der so genannten Selbstverteidigungsstreitkräfte - der japanischen Armee. Während politische Festlegungen für die Partei unbedeutend sind, bedeutet ihr Macht viel, wie Ikeda bisweilen äußert.

Für die LDP ist aber noch ein anderer Aspekt von Bedeutung. Die Soka Gakkai verfügt über viele WahlkampfhelferInnen, die bedingungslos und treu ergeben den Anweisungen der Organisation folgen. In Wahlkreisen, in denen die Komeito nicht antritt, stehen sie nun für die LDP bereit, die diese Hilfe dankbar annimmt.