George W. Bush und die Linke

Mission not accomplished

Den meisten Linken gilt Bush als Personifizierung des Bösen. Das hat den sozialen Bewegungen mehr geschadet als dem US-Präsidenten.

Es fehlte nicht an prominenten Lieblingsfeinden der globalisierungskritischen Bewegung, als die Repräsentanten des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank sich am 11. Oktober zu ihrem jährlichen Gipfeltreffen in Washington versammelten. Der IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn war da, ebenso Robert Zoellick, Präsident der Weltbank, die Finanzminister der G7-Staaten und natürlich George W. Bush. Es war die globalisierungskritische Bewegung, die fehlte. Vergeblich suchten die Journalisten nach Grup­pen von Protestierenden. Das ist ein erstaunliches Phänomen, müsste man doch erwarten, dass die Finanzkrise und die beginnende Rezession den Globalisierungskritikern den einen oder anderen Farbbeutel wert sein sollten.
Doch Bushs jüngste »Shock-and-Awe«-Kampagne war überaus wirksam. Tatsächlich steht man etwas dumm da, wenn man die Tobin-Steuer, eine geringfügige Abgabe auf Devisentransaktionen, für links hält, dann aber das halbe Bankensystem verstaatlicht wird. Und wenn es auch noch Bush, die Personifizierung des »Neoliberalismus« höchstselbst, war, der als erster westlicher Regierungschef einen großen Teil des Finanzsystems unter Staats­kontrolle stellte und das erste »Rettungs­paket schnüren« ließ.
Der venezolanische Präsident Hugo Chávez nimmt das immerhin mit Humor: »Bush steht jetzt links von mir.« Doch die Linke ist überwiegend in Schockstarre verfallen. In den USA konzen­triert sich die Hoffung meist auf Barack Obama, in Europa freuen sich linke Staatsfetischisten, dass die Obrigkeit ihnen endlich Recht gibt.

In der Zeit der »Battle for Seattle« (1999) und der Straßenkämpfe beim G8-Gipfel in Genua (2001) schien eine Radikalisierung der sozialen Bewegungen möglich. In den folgenden Jahren hat Bush dann eigentlich alles gegeben, um die Linke zu stärken: Krieg und Folter, Ausbau des Überwachungsstaats, Steuersenkungen für die Reichen, Sozialkürzungen bei den Armen, Korrup­tion und Machtmissbrauch, dazu noch bigottes Geschwätz und zum krönenden Abschluss eine Wirtschaftskrise, wie sie die Welt seit 80 Jahren nicht gesehen hat.
Doch die linke Wirtschaftskritik kommt selten über apokalyptische Visionen und zaghafte so­zial­demo­kra­tische Forderungen hinaus, und obwohl in den meisten westlichen Staaten die Mehrheit der Bevölkerung Bushs Kriegspolitik ablehnt, mag sich kaum jemand auf Friedens­demonstrationen einfinden. Bush hat es der Linken allzu einfach gemacht, das stärkte sozialdemokratische Tendenzen, regressiven Antikapitalismus und Kulturalismus. Die Stichworte »Neoliberaler« und »Kriegstreiber« genügten, und ­Bushs Wirken machte es leicht, Zustimmung zu finden. Damit allerdings machte sich die Linke auch weitgehend überflüssig.
In Afghanistan soll nun mit den »gemäßigten« Taliban verhandelt werden, ganz so, wie es viele in der Friedensbewegung seit langem empfehlen. Aus dem Irak sollen die US-Truppen bis zum Jahr 2011 abziehen. Der Friedensbewegung geht das nicht schnell genug, und es bleiben Zweifel, ob der Termin eingehalten wird, doch ein Streit um Zeitpläne ist kaum geeignet für eine Massenmobilisierung.
Wer braucht schon linke Friedenskämpfer, wenn sie nichts anderes zu sagen haben als kriegskritische konservative US-Offiziere wie William Lind, der ebenfalls von »Terrorbombardements« spricht und den sofortigen Rückzug emp­fiehlt? In den USA ist der Mainstream der Friedensbewegung von den rechten Isolationisten kaum zu unterscheiden. So kann Lind im linken Magazin Counter­punch publizieren, ohne dass dies sonderlich auffällt. Die führende Sprecherin der Bewegung war einige Jahre lang Cindy Sheehan, eine konservative Katholikin, die betonte, dass ihr im Irak ge­töteter Sohn ohne die Sünde vorehelichen Geschlechtsverkehrs gestorben sei. Vor allem aber für die falsche Sache: »Er wurde für Lügen und eine Neocon-Agenda zum Nutzen Israels getötet.«
Auf der anderen Seite des Atlantiks wurde die Friedensbewegung zum Anhängsel der Sozialdemokratie oder der europäischen Großmachtpolitik. »Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers hat nichts an Deutlichkeit vermissen lassen, was das Nein zum drohenden Irak-Krieg betrifft«, lobte der Bundesausschuss Friedensratschlag im Februar 2003, kurz vor Kriegsbeginn. Kritisiert wurde vornehmlich, dass die Bundesregierung von ihrer »Vasallentreue« zu Bush nicht ganz ablassen wollte und den Amerikanern die Nutzung ihrer deutschen Militärbasen gestattete. Die Proteste wurden schwächer, je länger der Krieg dauerte. Denn die meisten Kriegskritiker sahen ihre Interessen vom politischen Establishment des »alten Europa« gewahrt.
Bush propagierte zur Rechtfertigung des Irak-Kriegs noch einmal jenen bürgerlichen Idealismus, der die Bourgeoisie einst zu einer revolutionären Kraft gemacht hatte. Die Antwort aus dem linken Mainstream auf seine Demokratisierungsrhetorik war nicht etwa eine Kritik der bür­ger­lichen Demokratie, sondern eine Mischung aus Ignoranz und Kulturalismus.
Zwar unterstützt nur eine Minderheit den irakischen »Widerstand«, noch weniger Freunde haben die Taliban und al-Qaida. Doch wird unermüdlich behauptet, vor allem die Anwesenheit der US-Truppen störe den Frieden und ihr Abzug werde eine Einigung ermöglichen. Diese Einschätzung ist nicht nur naiv, sie lässt auch kein großes Interesse am Schicksal der dortigen Bevölkerung erkennen, auf deren Kosten eine Einigung von Mullahs, Warlords und reaktionären Oligarchien erfolgen würde. Eigentlich müsste die Befreiung von rechtsextremen Diktatoren und Terroristen ja vor allem das Anliegen der Linken sein. Ist sie es nicht, mündet die Kritik am Krieg in einen rechten Isolationismus, wie ihn der auch in der deutschen Linken populäre Peter Scholl-Latour vertritt.

Bush war nie ein konsequenter Universalist, er war immer bereit, diverse Abweichungen von »westlichen« Idealen zu akzeptieren, solange nicht »die friedlichen Lehren des Islam pervertiert«, also als Rechtfertigung für antiwestlichen Terror genutzt werden. Je schlechter die beiden Kriege liefen, desto stärker stützte sich die US-Regierung auf reaktionäre islamische Oligar­chien. Es zeigt sich, dass so manche Kritik auf einem Missverständnis beruhte. Bush ist kein »Kreuzzügler«, der einen »Krieg gegen den Islam« führt, vielmehr tut er alles, um den konservativen Staatsislam zu stärken.
Auch die »Kriegslüsternheit« des Präsidenten erhebt sich kaum über den Mainstream des US-Establishments. Nach den Anschlägen vom 11. Sep­tember 2001 hätte auch der friedfertigste US-Präsident militärisch reagieren müssen. Dem Irak-Krieg stimmten die meisten Demokraten zu, und die später nachgeschobene Rechtfertigung, man sei vom Präsidenten getäuscht worden, ist für Angehörige einer Partei, die in den neunziger Jahren den Geheimdienst und das Militär kontrollierte, eine allzu dürftige Ausrede.
Das Scheitern des nation building ist ebenfalls keine Folge der besonderen Unfähigkeit Bushs, auch die Europäer und die UN-Bürokraten erwiesen sich in dieser Hinsicht nicht als talentierter. Die Warlordisierung ist vielmehr das Pendant in der Peripherie zur Finanzkrise in den Metropolen. Es gelingt nicht mehr, stabile Voraussetzungen für die Kapitalverwertung zu schaffen, also in Ländern wie Afghanistan die Lohnarbeit als gesellschaftliches Grundprinzip zu etablieren.
Dass die Überakkumulation einerseits noch das dubioseste Finanzderivat verlockend erscheinen lässt, andererseits ganze Regionen der Welt als unprofitabel abgeschrieben werden, ist eine Folge der globalen Entwicklung des Kapitalismus. Bush hatte das Pech, dass die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus in seiner Amtszeit offenbar wurde. So bekam er von der unsichtbaren Hand des Marktes die Ohrfeige verpasst, die eigentlich auch sein demokratischer Vorgänger Bill Clinton verdient hätte. Denn auch Clinton deregulierte die Wirtschaft und kürzte die Sozialausgaben, die Umverteilungsmaßnahmen Bushs waren ein wenig radikaler, standen jedoch im Einklang mit den auch anderswo im Westen gültigen wirtschaftsliberalen Dogmen.

Doch Clintons Lächeln gilt als charmant, Bushs Grinsen als debil. Vermutlich war es die Mischung aus martialischem Pathos, religiöser Bigotterie und zur Schau getragener Engstirnigkeit, die Bush als Personifizierung des Bösen so reizvoll machte für Linke, die ein offenbar unstillbares Bedürfnis nach Feindbildern und moralisierenden Vereinfachungen haben.
Der negative Personenkult, verbunden mit einer Beschränkung der Kritik auf die »neoliberale Globalisierung«, hat einen Großteil der Linken entpolitisiert. Eine Grundlage für radikale Kritik und Aktion, die den Normalbetrieb des Kapitalismus angreifen muss und nicht dessen vermeintliche »Auswüchse«, konnte diese Haltung nicht sein. Wenn der »Zocker« als Feind ausgemacht wird, muss der Fabrikbesitzer in einem milden Licht erscheinen. Auch in dieser Hinsicht fehlte der Linken ein Konzept der Befreiung. Nun, nach der wundersamen Verwandlung der Wirschaftsliberalen in Kritiker des »Neoliberalismus«, ist sie entwaffnet.
Die meisten Linken halten Bush für einen Dumm­kopf, und tatsächlich gibt es keinen Beleg dafür, dass er weit reichende geistige Interessen hätte. Doch selbst wenn er heimlich Hegel und Dostojewski läse, müsste er sich ein antiintellektuelles Image geben, um die religiöse Rechte zu gewinnen. Eine solche Rechtfertigung fehlt populistischen Kritikern wie Michael Moore, denn für sie gilt das Gebot, sich am intellektuellen Horizont eines fundamentalistischen Schwei­ne­züchters aus Kansas zu orientieren, nicht.
Es ist daher ein Segen für die Linke, dass Obama wahrscheinlich Präsident werden wird. Nicht etwa, weil von ihm eine grundsätzlich andere Wirt­schafts- und Außenpolitik zu erwarten wäre, sondern weil die Regeln der political correctness es glücklicherweise verbieten, einen Schwarzen als Tier, Satan oder Ähnliches zu karikieren. Es muss wieder über Politik geredet werden, und man kann darauf hoffen, dass die Linke ihre Schockstarre überwindet, etwa wenn klarer geworden ist, dass die »Rettungspakete« nichts anderes sind als eine Enteignung der Lohnabhängigen zugunsten der Finanzbranche. Denn, wie Bush in einer knappen Kapitalismusanalyse bemerkte: »Es ist Ihr Geld. Sie haben dafür bezahlt.«