Ermittlungen nach Anschlag auf die Erfurter Synagoge

Patriotische Taten

Unsere Neonazis sind keine Antisemiten, glaubten die Thüringischen Behörden nach einem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge und ermittelten gegen Links.

Thüringens Verfassungsschutz-Chef Helmut Roewer ist einer jener »Extremistenjäger«, die sagen, was sie denken. Sei es, dass Roewer im vergangenen Jahr öffentlich erklärte, man müsse auch an die »guten Seiten des Nationalsozialismus« denken (Jungle World, 29/99). Sei es, dass er Rechtsextremisten und Antifaschisten als »siamesische Zwillinge«, als »zwei Seiten einer Medaille« bezeichnete. Roewer ist ein erklärter Anhänger der Totalitarismustheorie - mit ausgeprägtem Rechtsdrall.

Da verwundert es wenig, dass die thüringischen Sicherheitsbehörden nach dem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge in der Nacht vom 20. April die Täter in der linken Szene suchen wollten. Die bestechende Logik von Staatsschutz und Innenministerium: Dass im Bekennerschreiben von einem Anschlag mit »antisemitischem Hintergrund« die Rede war sowie die Unterschrift »Die Scheitelträger« übersteige das intellektuelle Niveau der rechten Szene Thüringens. Auch sei die extreme Rechte bisher nicht durch offenen Antisemitismus aufgefallen. Und: Bei dem Begriff »Scheitelträger« handele es sich um ein linkes Schimpfwort.

Schade nur, dass eine Woche später drei bekannte Rechtsextremisten festgenommen wurden, die ihre Tat auch noch gestanden. Der 18jährige Andreas John aus Seebergen war Mitglied der NPD und wechselte im Frühjahr 1999 zur NPD-Abspaltung Bund deutscher Patrioten (BdP) unter Führung des ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden Frank Golkowski. Die BdP hat ihren organisatorischen Schwerpunkt in Gotha. John, dessen Mutter als BdP-Kreisvorsitzende fungiert, ist u.a. wegen schwerer Körperverletzung vorbestraft. Sein gleichaltriger Mittäter Carsten H. aus Neu-Dietendorf ist durch das Zeigen verfassungswidriger Symbole augefallen.

Erschreckend am Vorgehen der thüringischen Sicherheitsbehörden ist nicht nur die bewusste Desinformationspolitik. Vielmehr fällt auf, dass in einem Bundesland, in dem selbst der Verfassungsschutz im vergangenen Jahr über 1 000 Rechtsextreme und mehr als 1 100 rechte Straftaten gezählt hat, kaum jemand widerspricht, wenn nach einem antisemitischen Anschlag gegen Linke ermittelt wird. Ziemlich allein stand der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinden Thüringens, Wolfgang Nossen, als er letzte Woche der Süddeutschen Zeitung erklärte: »Donnerwetter, habe ich gedacht, die möchten doch zu gerne haben, dass es von links ist.«

Auch der vom Verfassungsschutz vertretenen These, dass die Thüringer Neonazis bisher nicht durch Antisemitismus aufgefallen seien, widerspricht Nossen: Bereits 1991 hätten antisemitische Angriffe auf die Erfurter Synagoge begonnen, als ein Synagogenfenster mit Pflastersteinen zerstört wurde. 1996 wurden zwei halbe Schweinsköpfe über den Zaun des Synagogengrundstücks geworfen. Nächtliche Drohanrufe und Einbruchsversuche folgten. In diesem Zeitraum hätten sich rechte Skins offensiv vor die Überwachungskamera der Synagoge gestellt, Nazilieder gesungen und »Judenschweine« gerufen. Schließlich sei zwei Monate vor dem Anschlag ein jüdischer Friedhof in Erfurt geschändet worden.

Das ehemalige NPD-Mitglied John ist, obwohl nicht mehr in der Partei, mit seinem Anschlag der NPD-Linie gefolgt: Antisemitismus und Terror. Wie für alle rechtsextremen Organisationen gehört auch für die NPD offener Antisemitismus zur ideologischen Basis. Dies wurde zuletzt beim NPD-Aufmarsch gegen das Holocaust-Mahnmal im Januar deutlich. Auch im Bereich Terror und Gewalt versucht die NPD ihre Führungsposition innerhalb der extremen Rechten auszubauen. Erinnert sei an den NPD-Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, Torsten Kowalski, der bei Wehrsportübungen den »Kameraden« die gezielte Hinrichtung von politischen Gegnern durch aufgesetzte Kopfschüsse demonstrierte. Die verurteilten Naziterroristen Peter Naumann und Manfred Roeder sind zu beliebten Rednern bei NPD-Aufmärschen geworden und werden wohl auch bei der für Ende Mai geplanten NPD-Veranstaltung in Passau anwesend sein.

In Thüringen ist die NPD ebenfalls dominant, obwohl die Konkurrenz groß ist: Nach dem Erfolg des Rudolf-Heß-Marsches von 1992 in Rudolstadt mit 2000 Teilnehmern konnten Kader aller militanten Neonazigruppierungen in Thüringen ihre Strukturen fast widerstandslos ausbauen. Das Ergebnis: Mit dem Thüringer Heimatschutz (THS) hat sich unter Führung von André Kapke und Tino Brandt eine militante Neonazigruppierung etabliert, die das Anti-Antifa-Konzept der Freien Kameradschaften verfolgt. Durch Führungsposten in der NPD verfügt sie aber auch über einen legalen Spielraum.

Immer wieder hat der THS durch Militanz für Schlagzeilen gesorgt: So wurde im Vorfeld der ersten antifaschistischen Mobilisierung nach Saalfeld im Oktober 1997 in einem Treffpunkt des THS ein Waffenlager mit Knüppeln, Messern, Äxten und Schreckschusspistolen gefunden, mit denen die Antifa-Demo angegriffen werden sollte. Nur wenig später tauchten Beate Zschäpe, Uwe Börnhardt und Uwe Mundlos, Mitglieder der Kameradschaft Jena, in den rechten Untergrund ab - obwohl sie von der Polizei observiert wurden. Bei einer Razzia in Jena waren TNT-Sprengstoff und andere Materialien zum Bombenbau gefunden worden. Den drei militanten Neonazis wird vorgeworfen, im September 1997 einen Koffer mit aufgesprühtem Hakenkreuz und einem funktionstüchtigen Sprengsatz vor dem Jenaer Stadttheater abgestellt zu haben.

Aus einer Chronologie, die der Infoladen »Schwarzes Loch« aus Jena für die letzten April-Tage zusammengestellt hat, geht hervor, dass rechte Angriffe in Thüringen bis heute an der Tagesordnung sind: Am 20. April feierten rund 25 Neonazis in einer Erfurter Kneipe den »Führer-Geburtstag«. In Rudolstadt-Schwarza randalierten fünf Neonazis vom Jungsturm Schwarza am Bahnhof unter »Sieg-Heil»-Gegröle. Einige Tage vor Beginn des Karawane-Kongresses in Jena wurde ein Journalist aus Zaire vor seiner Wohnung angegriffen, nur wenige Tage später legten 15 Neonazis nach und provozierten am Zelt des Karawane-Kongresses. Nun müsste auch in diesen Fällen gegen Links ermittelt werden.