Wahlen in Bosnien-Herzegowina

Demokratie von oben

Neue Partner für Europas Sozialdemokraten: Nach den Kommunalwahlen in Bosnien kann sich zumindest in den muslimischen Gemeinden des Landes die multinationale SDP als Siegerin feiern.

Noch bevor die endgültigen Ergebnisse feststanden, wusste Zlatko Lagumdzija, Chef der sozialdemokratischen Partei (SDP) des Landes, den Ausgang der bosnischen Kommunalwahlen zu deuten: »Die Menschen haben den Nationalismus satt«, gab Lagumdzija am Sonntag seine Interpretation zu Protokoll. Es waren die zweiten lokalen Wahlen seit Ende des Krieges in der früheren jugoslawischen Teilrepublik.

Was der Sozialdemokrat meinte, traf zwar nicht unbedingt für den serbischen Teil des in zwei »Entitäten« geteilten Landes, die Republika Srpska, zu. Und auch die Wähler in der an Kroatien angrenzenden Herzegowina stimmten in der Mehrheit ebenso national, wie sie das seit der Unterzeichnung des DaytonóVertrags 1995 immer getan hatten. Lagumdzijas Urteil traf dennoch zu ó zumindest für die mehrheitlich muslimisch besiedelten Wahlbezirke der MuslimischóKroatischen Föderation: Die Partei der Demokratischen Aktion (SDA) von Alija Izetbegovic musste hier empfindliche Verluste einstecken. Schon im Vorfeld der Wahl war der Kriegsführer der Muslime für seine Wahlkampfaussage, den Kampf gegen »Tschetniks« und »Ustaschas« auch im Frieden fortzuführen, vom Hohen Repräsentanten (OHR), dem Österreicher Wolfgang Petritsch, gerügt worden. Für die Sozialdemokraten war der Erfolg eine späte Genugtuung, denn gerade die SDA war es, die immer wieder gegen die einzige multiethnische Partei polemisiert hatte.

Doch nicht nur das. Im Juni letzten Jahres etwa wollte die SDP eine Wahlveranstaltung im westbosnischen Coralici abhalten, fand die Wege zum Veranstaltungsort jedoch blockiert. Der kommunale SDAóChef begründete die Blockade damit, dass nur Vertreter der SDA befugt seien, in der Kleinstadt politisch tätig zu sein und Veranstaltungen abzuhalten.

Bei den Kommunalwahlen in Sarajevo wurde die Sache mit Coralici nun demokratisch abgegolten. Die SDP erreichte die Mehrheit in der formal multiethnischen, de facto aber weiterhin in einen serbischen und vier muslimische Bezirke geteilten Hauptstadt. Was Lagumdzija mit historischen Vergleichen quittierte: »Das ist die größte politische Wende seit der Unterzeichnung des Vertrages von Dayton im Jahr 1995«, flötete der Sieger. Die SDA verlor ihre Mehrheit in den vier muslimischen Wahlbezirken. Auch in den größten Städten der muslimischókroatischen Föderation, in Groazde, Tuzla, Zenica und Bihac, gewannen die Sozialdemokraten.

In der Republika Srpska war der von der internationalen Verwaltung als Stimmungstest für die geplanten landesweiten Parlamentswahlen im Oktober ausgerichtete Urnengang überschattet von Chaos und Zwischenfällen ó woran nicht zuletzt die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) und das Büro des OHR selbst die Schuld trugen. Unvollständige Wählerlisten sorgten dafür, dass in mehreren Orten nur ein Zehntel der Wahlberechtigten auf den Listen registriert waren. Viele Wähler hätten nicht einmal ihr Wahllkokal gefunden, weil die OSZE unzureichend über den neuen Zuschnitt der Wahlkreise informiert worden war, wie ein Sprecher der Organisation selbst einräumte. Der Vorsitzende der Serbischen Demokratischen Partei (SDS), Dragan Cavic, ging davon aus, dass über 30 Prozent der Wahlberechtigten deshalb nicht abstimmen konnten ó die Wahl müsse wiederholt werden.

Darüber hinaus hatten die internatioalen Protektoratsverwalter die Radikale Partei (SRS) des vor zwei Jahren zum Präsidenten der Serbischen Republik gewählten Nikola Poplasen von den Wahlen ausschließen lassen. Da die Partei sich weigert, das Abkommen von Dayton anzuerkennen, beließen die für die Organisation der Wahlen verantwortlichen Europäer kurzerhand den abgewählten Milorad Dodik im Amt ó ein Präsident auf Gnaden der so genannten internationalen Gemeinschaft. Und ebenfalls ein Sozialdemokrat.

Nach Rundfunkmeldungen vom Sonntag konnte Dodiks SNSD zumindest in Banja Luka, der Hauptstadt der Srpska, gleichziehen mit der vom mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic gegründeten Demokratische Partei (SDS). Die SDS blieb dennoch ó wie bei den Wahlen zuvor ó stimmenstärkste Kraft. Das Verbot der Radikalen Partei dürfte sich als günstig für sie erwiesen haben.

So dürfte auch in diesem Falle der Sieg der von EU und der NatoóSchutztruppe Sfor angeblich bekämpften Nationalisten auf das Vorgehen der selbst ernannten Internationalisten zurückzuführen sein. Eine Woche vor den Wahlen verhafteten KforóTruppen den Chef der einstigen KaradzicóPartei, Momcilo Krajisnik. Der Verhandlungsführer der bosnischen Serben bei den Gesprächen von Dayton und Mitglied im dreiköpfigen bosnischen Staatspräsidium wartet nun in Den Haag darauf, dass ihm der Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschheit in der ersten Phase des BosnienóKrieges 1991 gemacht wird. Bereits in den letzten Monaten sollen auch Angehörige des so genannten Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr an der Verhaftung von weiteren mutmaßlichen Kriegsverbrechern beteiligt gewesen sein. Das Berliner Verteidigungsministerium wollte einen Bericht der Welt am Sonntag, wonach die Verhaftung des bosnischen Serben Mitar Vasiljevic im Januar und Zoran Vukovics im Dezember letzten Jahres mit deutscher Beteilung geschah, jedoch nicht bestätigen.

Trotz des verhaltenen Sieges der Sozialdemokraten bleibt das internationale Protektorat nationalistisch. Nicht nur in der Srpska. Auch in der im Südwesten der muslimischókroatischen Föderation gelegenen Herzegowina musste die kroatische HDZ, ein Ableger der Partei des langjährigen kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman zwar Verluste einstecken ó stärkste Kraft blieb sie dennoch. Doch auf lange Sicht könnte ihre Macht in den Gebieten um die zwischen Muslimen und Kroaten geteilte Stadt Mostar tatsächlich bröckeln. Der kroatische Präsident Stipe Mesic jedenfalls, ein ehemaliger Oppositioneller im fragilen Regime des inzwischen verstorbenen Tudjman, analysierte die Verluste der HDZ in der Herzegowina so: »Der Machtverlust der HDZ in Kroatien hat auch die bosnischen Wähler dazu bewogen, eher für moderate Kräfte zu stimmen.«

Die HDZ, die sich als Nationalpartei der Kroaten definiert, ist angeschlagen ó vor allem finanziell. Seit dem Regierungswechsel in Zagreb bleiben aber nicht nur die Gelder aus. Auch der einstige Verbündete, die katholische Kirche des AdriaóStaates, neigt dazu, künftig mehr auf die gemäßigteren Kräfte in Bosnien zu setzen.

Das Urteil des OSZEóVorsitzenden in BosnienóHerzegowina, Robert Barry, mutet trotz der mäßigen Erfolge der multinationalen SDP an, als komme es von einem anderen Planeten: Die Wahlbeteiligung von 70 Prozent der 2,46 Millionen Stimmberechtigten sei ein großer Erfolg ó und ein weiterer Schritt hin zur Demokratisierung.

Im besten Falle kann man behaupten, dass die Umstände allenthalben günstig waren: So mag im kroatischen Teil der Tod Tudjmans für günstige Bedingungen gesorgt haben. Und dass die SDA in Sarajevo nicht gewann, ließe sich auch dadurch erklären , dass die Bewohner der Hauptstadt nach fünf Jahren mafioser Herrschaft wohl jede Stadtverwaltung abgewählt hätten, um den Regierenden einen Denkzettel für das anhaltende Elend zu verpassen.