Auslieferungsverfahren gegen mutmaßliche RZ-Mitglieder

Ungebetene Gäste

Paris soll zwei mutmaßliche ExóMitglieder der Revolutionären
Zellen ausliefern. Doch mit den Beweisen tun sich die deutschen
Behörden schwer.

Schon die Höhe der Kaution dürfte den deutschen Strafverfolgern zu denken geben: Gegen Zahlung von je 10 000 Francs, rund 3 300 Mark, hatten die französischen Kollegen jüngst Sonja Suder und Christian Gauger wieder auf freien Fuß gesetzt. Eine ungewöhnlich geringe Summe, schließlich wird den beiden in Deutschland vorgeworfen, sie hätten sich an mehreren Anschlägen der Revolutionären Zellen in den siebziger Jahren beteiligt.

Wenn sich Gauger und Suder nun ab dem kommenden Dienstag, dem 19. April, in Paris einem Auslieferungsverfahren stellen müssen, wird die Frankfurter Staatsanwaltschaft also einiges gegen die angeblichen ExóMilitanten aufzufahren haben. Denn angesichts der niedrigen Kaution scheinen die französischen Behörden bislang nicht besonders überzeugt von den Beweisen, die man im Nachbarland gegen die beiden zusammengetragen haben will.

Gauger und Suder waren am 16. Januar in Paris nach Hinweisen eines Zielfahndungskommandos des Bundeskriminalamtes (BKA) festgenommen worden. Über zwanzig Jahre lang hatten sich die 67jährige Suder und der 58 Jahre alte Gauger erfolgreich dem Zugriff der deutschen Justiz entzogen. Doch mit dem neuen Jahrtausend kam das Pech. Motiviert von den Aussagen der Kronzeugen und ehemaligen RZóMitglieder HansóJoachim Klein und Tarek Mousli starteten BKAóBeamte einen erneuten Versuch, um der ExóMilitanten habhaft zu werden. Schließlich wollte man die Geschichte der RZ nicht weitgehend »unaufgeklärt« zu den Akten legen.

Durch die neuen Informationen kamen die Fahnder auf neue Spuren. BKAóBeamte, die Zielpersonen aus der Bundesrepublik auf eine Geburtstagsfeier Suders nach Paris gefolgt waren, wollten die beiden mit internationalem Haftbefehl Gesuchten dort Mitte Januar erkannt haben. In der Folge informierten sie ihre französischen Kollegen, von denen Gauger und Suder dann festgenommen wurden.

Die Vorwürfe klingen schwerwiegend: Beteiligung an drei von den RZ verübten Sprengstoffanschlägen in den Jahren 1977 und 1978; darunter eine Aktion gegen den in internationale Atomgeschäfte verwickelten Rüstungskonzern MAN. Auch an einem Brandanschlag 1978 auf das Heidelberger Schloss sollen sich beide nach Angaben des Sprechers der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Job Tilmann, beteiligt haben.

Zusätzlich wird Sonja Suder vorgeworfen, für den Überfall auf die OpecóKonferenz im Jahre 1975 Waffen und Sprengstoff nach Wien geschmuggelt zu haben. Das zumindest hatte Kronzeuge Klein, der selbst an der Aktion eines internationalistischen Kommandos beteiligt war, den Frankfurter Strafverfolgern erzählt. Da damals drei Menschen getötet worden waren, liegt nun gegen Suder ein weiterer Haftbefehl wegen Mordes und Mordversuchs vor.

Was die RZóAnschläge betrifft, beruhen sämtliche Vorwürfe allein auf 1978 von Hermann Feiling unter psychischer Folter gemachten Aussagen. Dem Heidelberger war eine von den RZ für das Generalkonsulat der argentinischen Militärdiktatur bestimmte Bombe beim letzten Test auf dem Schoß explodiert. Dabei wurde er so schwer verletzt, dass ihm beide Beine amputiert und die Augen entfernt werden mussten. Über Monate lag Feiling, vollgepumpt mit Schmerzmitteln, im Krankenhaus.

Diese Situation nutzten Beamte des BKA sowie des badenówürttembergischen Landeskriminalamtes, um sämtliche Äußerungen des Schwerverletzten zu dokumentieren. Heraus kamen über 1 000 Seiten Protokolle, von denen zwei Drittel als wirre Fieberó und Schmerzfantasien abgetan werden können. Aus dem Rest wollten das BKA und die Bundesanwaltschaft jedoch genügend Andeutungen herausgehört haben, um Haftbefehle gegen insgesamt sieben angebliche RZóMitglieder zu erwirken.

Neben den beiden in Paris Verhafteteten waren dies auch Rudolf Schindler und Sabine Eckle. Die beiden wurden nun 1999 vom Kronzeugen Tarek Mousli erneut beschuldigt, in der RZ organisiert und an Anschlägen im Rahmen derer Flüchtlingskampagne Mitte und Ende der achtziger Jahre in Berlin beteiligt gewesen zu sein.

Gaugers Anwalt Wolfgang Heiermann hält sich beim augenblicklichen Stand des Verfahrens noch bedeckt. Gauger und Suder seien bis 1978 in Frankfurt / Main politisch aktiv gewesen, bestätigt er. Die augenblickliche Situation in der Haft sei für Gauger wegen einer Herzerkrankung »sehr schwierig«. Er hatte bereits eine Art Schlaganfall, ist deshalb in seiner Gedächtnisfähigkeit eingeschränkt und benötigt Betreuung. Nach Heiermanns Einschätzung ist Gauger »nicht haftfähig«, Suder sei trotz der unangenehmen Umstände »recht gut drauf«.

Grund zum Optimismus besteht durchaus. Bereits vor dem nun anstehenden Auslieferungsverfahren mussten sich die beiden dem Vorwurf stellen, sie hätten sich in Frankreich mit falschen Papieren bewegt. Tatsächlich hatten sie mindestens die letzten drei Jahre im nordfranzösischen Lille unter einer anderen Identität gelebt. Dennoch stellte die französische Justiz das Verfahren wegen Passvergehens kurzerhand ein.

Auch in Sachen Auslieferung können sich Gauger und Suder nun Hoffnungen auf die langjährige liberale Praxis der französischen Justiz machen. In den achtziger Jahren lehnten die dortigen Behörden regelmäßig Auslieferungsanträge ab. So etwa des Öfteren, wenn die Kollegen aus Italien nach vermeintlichen Mitgliedern der StadtguerillaóOrganisationen Brigate Rosse und Prima Linea anfragten. Beruhten die Beschuldigungen allein auf Aussagen von Kronzeugen oder wurde nur die Mitgliedschaft in einer »bewaffneten Bande« vorgeworfen, machte man in Paris dicht. Solche Vorwürfe werden in Frankreich als politische Delikte betrachtet und berechtigen daher zu einem Asylantrag. Selbst wenn es um die Mitgliedschaft in der baskischen Eta geht, ist die französische Praxis widersprüchlich: Oft hängt die Bereitschaft zur Auslieferung ins Nachbarland vom augenblicklichen Stand der Auseinandersetzung um GemüseóBilligimporte aus Spanien ab.

Doch nicht nur die traditionell etwas andere Interpretation von Staatsschutzgesetzen erhöht die Chancen, dass die beiden in wenigen Monaten ihr Leben weiter in Frankreich genießen können. Denn auch nach deutschem Recht stehen die Vorwürfe auf recht wackligen Füßen. So musste Kronzeuge Klein nach Informationen des Spiegel im Februar zugeben, dass er bei dem ebenfalls von ihm wegen des OpecóÜberfalls denunzierten Rudolf Schindler wohl einige Fotos verwechselt und alles durcheinander gebracht hat. Warum also sollten nun ausgerechnet seine Aussagen über Sonja Suder der Wahrheit entsprechen?

Ebenso unsicher sind die belastenden Angaben Feilings: Schließlich kann die französische Justiz die Umstände des Zustandekommens dieser Aussagen als unzuverlässige Vernehmungsmethode einstufen und mit einem Verwertungsverbot belegen. Dann dürften die deutschen Strafverfolger mit leeren Händen dastehen.