Raubesuch in Griechenland

Nein zur Entschädigung

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Kalavrita ist ein Bergdorf auf dem Peleponnes. In Griechenland weiß jedes Kind, was es mit Kalavrita auf sich hat. Vergangene Woche legte Bundespräsident Johannes Rau dort einen Kranz nieder und hielt eine kurze Ansprache, in der immer wieder die Worte »Schande« und »Schmerz« auftauchten. Kurz vor Weihnachten 1943 hatte die deutsche Wehrmacht alle Männer des Dorfes massakriert; als so genannte SühneóMaßnahme für die Aktionen des griechischen Widerstands.

Anders als Oradour oder Lidice sind die Dörfer Kalavrita, Kommeno oder Distomo in Deutschland unbekannt. Von den zwischen 1941 und 1944 begangenen Gräueltaten der deutschen Wehrmacht in Griechenland wollte zumindest in der alten BRD niemand etwas wissen. Dabei hat Griechenland, gemessen an der Bevölkerungszahl, nach Russland die meisten Opfer im zweiten Weltkrieg zu beklagen. 1 000 verbrannte Dörfer, eine Million Obdachlose, 60 000 in die Vernichtungslager deportierte und dort ermordete Jüdinnen und Juden. Das sind 95 Prozent der ehemaligen jüdischen Bevölkerung des Landes. Über 300 000 Menschen starben in den von den Besatzern ausgelösten Hungersnöten während des Krieges, weitere 20 000 Griechen wurden bei Geiselerschießungen ermordet.

Jahrzehntelang wurden all diese Gräuel in der BRD verdrängt. Kein Schatten sollte auf die tapferen deutschen Landser fallen. Druck aus Griechenland war auch nicht zu erwarten. Aus dem blutigen Bürgerkrieg zwischen 1945 bis 1948 gingen die Rechten siegreich hervor. Zehntausende KommunistInnen flohen nach Bulgarien, Jugoslawien und in die Sowjetunion. Da Griechenland weder politisch noch wirtschaftlich eine Macht darstellte und die Ermordeten sowieso als ehemalige innenpolitische Widersacher galten, verzichteten die konservativen Regierungen in der Nachkriegszeit auf große Forderungen.

Schon 1958 stellte das Land die strafrechtliche Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher ein. Nur zwei Jahre später, 1960, versuchte die BRD, sich durch einen »Wiedergutmachungsvertrag« freizukaufen. 115 Millionen Mark stellte man für die griechischen NazióOpfer bereit. Noch heute jedoch kämpfen Überlebende und Hinterbliebene für Wiedergutmachung und Reparationen. Sammelklagen wurden gegen die BRD eingereicht, in mehreren Instanzen bekamen die KlägerInnen Recht. Auf 15 Milliarden Dollar werden die griechischen Ansprüche geschätzt. Doch sowohl Bonn als auch Berlin haben bisher alle Forderungen mit rüdem Ton zurückgewiesen.

Dieser Linie blieb auch Rau trotz seiner Geste in Kalavrita treu. »Die griechische Seite kann heute, wegen des 1960 mit Deutschland abgeschlossenen Vertrags, keine weitere Forderungen stellen«, erklärte er vergangene Woche in Thessaloniki. Diskutieren könne man über die eventuelle »Entschädigung für ZwangsarbeiterInnen«, doch ansonsten komme nur »eine symbolische Geste des guten Willens« in Frage.

Wie weit diese Gesten gehen, ist seit Raus Besuch klar. Mit dem Kranz in Kalavrita ist's genug. Das Holocaustdenkmal für die 50 000 ermordeten Juden und Jüdinnen von Thessaloniki besuchte Rau nicht. Andreas Seficha, der Vorsitzende der kleinen jüdischen Gemeinde Thessalonikis, kritisierte dies mit den Worten: »Dieses Versäumnis zeigt, dass Herr Rau nicht den Mut hat, den Juden Thessalonikis, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind, die Ehre zu erweisen.«

Auch das nur 20 Kilometer von Thessaloniki entfernte Bergdorf Chortiatis wartet vergeblich auf Raus Aufwartung. Hier hatten die Mörder der Wehrmacht 200 Menschen bei lebendigem Leib verbrannt. Gänzlich unerwähnt blieben wie immer bei offiziellen Anlässen die rund 500 deutschen Antifaschisten, die zum griechischen Widerstand übergelaufen waren.

Diese Männer stammen zum größten Teil aus den so genannten Strafbataillonen und hatten als Antifaschisten teilweise schon jahrelang KZóHaft in Deutschland erlitten. Anstatt sich in Griechenland zu bewähren, nutzten jedoch viele die Möglichkeit zur Flucht, um dann gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen. Genau dies ist der Grund, warum sie in Deutschland noch heute als »Vaterlandsverräter« gelten. Und auch daran wollte Rau nicht rütteln.