Streit in Frankreichs KP

Kündigung fürs Politbüro

Während Frankreichs KPóSpitze die Umstrukturierung der Partei vorantreibt, formiert sich bei den orthodoxen Kräften der Widerstand.

Ungewöhnliche Töne auf dem Parteitag der französischen Kommunisten Ende März in Martigues. »Ich bin Kommunistin«, rief Rolande Perlican aus Pairs aus, ein langjähriges prominentes Führungsmitglied vom orthodoxen Parteiflügel, »ich bleibe Kommunistin, aber die Partei ist es nicht mehr ó ich gehe.«

Nicht nur eine erneute Kandidatur für das Führungsgremium Conseil national ó die ihr angetragen worden sei ó verweigerte Perlican. Sie wolle, erklärte die Kommunistin, überhaupt nicht mehr einer Partei angehören, die nicht länger kommunistisch sei, sondern eine Organisation der »KlassenóKollaboration«.

Eine alte Kämpferin wie Frau Perlican gibt nicht unüberlegt auf. Und sie hatte jede Menge Zeit, sich die Sache mit dem Austritt aus dem Parti Communiste Fran ç ais (PCF) zu überlegen. Denn die einst am stärksten stalinisierte KP Westeuropas war schon Mitte der siebziger Jahre als strikt hierarchisch durchorganisierte Kaderpartei in die Krise geraten. Später beschleunigte der AnsehensóVerlust und schließliche Zusammenbruch der Länder des real existierenden Sozialismus diese Entwicklung ebenso wie die Tatsache, dass die Jugend wegen zunehmender Arbeitslosigkeit und längerer Schuló und Studienzeiten immer weniger durch die Arbeit sozialisiert wurde.

Während der ersten Hälfte der achtziger Jahre bediente sich die Regierung Mitterrand der KP, um die sozialen Proteste gegen ihre Regierungspolitik einzudämmen. Für die Parteimitglieder und die damalige Parteiführung unter dem jahrzehntelangen Generalsekretär Georges Marchais wurde die Regierungsbeteiligung zur traumatischen Erfahrung, die sie ausgelaugt und perspektivlos zurückließ.

Es dauerte zehn Jahre, bis sich der PCF 1994 eine neue Parteiführung gab, die versuchte, die Schlussfolgerungen aus dem Ende der bipolaren Weltordnung zu ziehen. Der MarchaisóNachfolger Robert Hue leitete den Prozess der »mutation« ein. In Martigues sollte die »Verwandlung« der Partei einen neuen Höhepunkt erfahren. Im Vorfeld hatten KPóFührung und óPresse den Parteitag sogar als »Kongress der kommunistischen Neugründung« bezeichnet.

Nicht wenige Parteimitglieder empfanden das wohl auch so ó und empfanden damit vor allem die Furcht vor dem Verlust des politischen Profils der Partei. Hatte Hue schon bei seinem Amtsantritt 1994 Zentralkomitee und Politbüro in »Nationales Büro« und »Nationales Komitee« umbenannt, so ließ er beide Führungsgremien jetzt kurzerhand abschaffen. An ihre Stelle tritt der Conseil national (»nationaler Rat«), der als eine Art Parteiparlament fungieren und die grundsätzlichen Ausrichtungen der Politik festlegen soll. Anders als das Nationale Komitee, das im Wesentlichen auf dem Wege der Kooptation neuer Mitglieder durch die alten erneuert wurde, soll das neue Gremium ab jetzt in freier Wahl von den Delegierten des Kongresses bestimmt werden.

Dem neuen Leitungsgremium, das einmal 250 Mitglieder haben soll ó in Martigues wurden 271 Personen hinein gewählt ó, sollen künftig grundsätzlich 100 »Aktivisten aus Politik und sozialen Bewegungen« angehören. Daneben sollen ihm 150 weitere Mitglieder automatisch assoziiert sein, die den PCF in Parlamenten und Ministerien repräsentieren.

Der Eindruck drängt sich auf, dass mit dem Nationalen Rat ein neues innerparteiliches Machtzentrum rund um die wichtigsten Träger der Regierungsbeteiligung geschaffen wird. Während bislang die Bürokratie des Apparats die Parlamentsfraktionen meist an der kurzen Leine hielt, könnte nun eine Machtverschiebung zu Gunsten der Parlamentarier die Folge sein ó und damit eine verstärkte Einbindung in Regierungsgeschäft und so genannte Realpolitik.

Der neue Conseil national soll aber auch für weibliche, jüngere und aus der Immigrationsbevölkerung stammende Personen geöffnet werden. »Féminisation, rajeunissement, métissage« lautete der Slogan des StrukturreformóPapiers: »Feminisierung, Verjüngung, Multikulti«. 42 Prozent der in Martigues gewählten Mitglieder des neuen Führungsgremiums sind weiblich, zehn bis elf Prozent sind jünger als 35 Jahre. Auf diese Weise soll die bisher dominierende Figur des weißen, männlichen Apparatschiks im Alter von 45 Jahren aufwärts ó Spiegelbild der alten IndustrieóArbeiterschaft, aus der die KPóFunktionsträger meist rekrutiert worden waren ó einer neuen Vielfalt weichen.

Während die opponierenden Orthodoxen auf zwei Vertreter beschränkt blieben, ist der innerparteiliche Mehrheitsblock der »Refondateurs« (»Neugründer«) mit zehn Sitzen im Conseil national vertreten. Zu wenig, fanden die »Erneuerer« und verteilten in Martigues eine ProtestóErklärung. Inhaltlich hatten sie dagegen wenig zu meckern: In den anvisierten Reformen konnten sie sich prinzipiell wiedererkennen, wenngleich sie den UmbauóProzess weitertreiben möchten ó bis zu einer »Überwindung der vom Stalinismus ererbten Parteiform«.

Mehr Anlass zum Ärger haben die Orthodoxen. Ein Teil von ihnen zog eine Konsequenz, die noch vor wenigen Jahren sie selbst hätte aufschreien lassen: Die Vertreter dieser Linie wollen sich entweder als Fraktion innerhalb des PCF oder sogar ó offen für NichtóMitglieder ó am Rande der Partei konstitutieren. Maxime Gremetz, ein Parlamentsabgeordneter aus dem nordfranzösischen Amiens, hat bereits angekündigt, ein »alternatives Netzwerk von Kommunisten« zu schaffen.

Die orthodoxen Kräfte arbeiten offenbar auf eine Entwicklung wie in Italien hin. Sie unterstellen der neuen innerparteilichen Mehrheit die Tendenz, ähnlich wie der einstige italienische PCI glatt zur Sozialdemokratie überzulaufen. Dann könnte, so erwarten sie, eine Fraktion von Kommunisten herausbrechen, die wie in Italien die Rifondazione Comunista ihren Werten und Ideen verhaftet bleibt.

Da für eine zweite sozialdemokratische Partei in Frankreich heute aber kein Platz ist, ist ein so scharfer Bruch kaum zu erwarten. Wahrscheinlicher ist die Herausbildung einer Situation, die entfernt mit der Lage in Deutschland vergleichbar wäre, wo die PDS ó mit einer innerparteilichen orthodoxen Opposition ó und die kleinere und orthodoxere DKP nebeneinander existieren und teils politisch differieren, teils zusammenarbeiten oder bei Wahlen gemeinsam kandidieren.