»Kinder statt Inder« reformuliert

Neo-Orientalismus

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»Ausbildung statt Einwanderung« lautet die neue Parole des ehemaligen »Kinder statt Inder»-Wahlkampfdichters Jürgen Rüttgers. Mit einer rassistischen Kampagne gegen die Einwanderung von bis zu 20 000 Computerspezialisten will die CDU doch noch die Wahl in NRW gewinnen.

Rüttgers findet zwar nicht unbedingt die Zustimmung der bürgerlichen Presse, die den HighTech-Personalmangel ihrer Anzeigenkunden aus der Computerbranche mitbedenkt und von »Hilflosigkeit der CDU« schreibt (FAZ) oder das Ganze »absurd« findet (SZ). Doch die Angst der deutschen Volksseele vor dem »Computer-Inder« wird er mit seiner techno-orientalistischen Parole schon bedient haben. Jedenfalls schreiben die Leser den gleichen bescheuerten Stuss an ihre Zeitungen. Rheinische Post-Leser Martin Rausch: »Erst Abbau von Ausbildungsplätzen« und dann »den Mangel irgendwo anders decken«. Astrit Trajkov meint, »auch Arbeitgeber haben Kinder, die nicht als 'Dr. Arbeitslos' enden möchten!« Und Bild-Leser Peter Seibel halluziniert: »Unser Sohn (...) Software-Entwickler (...) jetzt Zivildienst (...) Danach arbeitslos. (...) Wieder eine freie Stelle für einen 'Computer-Inder'.«

Schon sind die Gewerkschaften des schaffenden deutschen Arbeitsmannes schützend zur Stelle und fordern, das »vorhandene Potenzial« zu nutzen (ver.di). Zwar sei der DGB nicht generell gegen die Green Card, zunächst aber müsse der Bedarf »durch arbeitslose deutsche Fachkräfte gedeckt werden« (Ursula Engelen-Kefer).

Prompt ruderte die Bundesregierung zurück. »Computer-Inder« kriege nur, wer auch selbst Fachpersonal ausbilde. Die Green Card sei anders als in den Vereinigten Staaten auf drei bis fünf Jahre befristet und zunächst werde erst einmal mit 10 000 Genehmigungen begonnen - dann müsse man weitersehen. Auch erhalten hier geborene »Computer-Inder-Kinder« - wiederum anders als in den USA - natürlich keine Staatsangehörigkeit.

So hat das deutsche Kapital ein Problem: Ausbildung hin oder her, es fehlen ihm akut 75 000 Fachkräfte. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn meint bis zu 100 000. BDI-Boss Henkel sagt, in drei Jahren fehlten 300 000 in der ganzen Industrie. Und die Uno schätzt, dass jährlich 500 000 Einwanderer benötigt würden. Um das durchzusetzen, müsste das Kapital gegen Volksgemeinschaft und Edmund Stoiber die »Durchrassung« der Gesellschaft betreiben.

Doch »Mangel an Zivilcourage«, meinte Hannah Arendt, sei ein konstitutives Moment der deutschen Bürger-Nation. Immer schon haben die Leute hier ihre wirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht revolutionär, sondern reaktionär durchgesetzt. Schon die Ruhrgebietsarbeiter, die man aus Polen hatte einwandern lassen müssen, wurden, statt mit ihnen zusammen gegen Kaiser und Adel das individuelle Bürgerrecht zu erstreiten, dermaßen erfolgreich in den Volkskörper integriert, dass unter den Nazis Ernst Kuzorra und Fritz Szepan Nationalhelden werden konnten.

Marx bezeichnete den Kapitalisten als »personifiziertes Kapital. Seine Seele ist die Kapitalseele.« Diese Wahrheit ist - auf Kapitalisten aus D-Land bezogen - nur die halbe. Seine schwache Seele bedarf des Friedens mit der Volksseele. Und genau deshalb argumentiert Die Zeit: »Einwanderer dienen dem nationalen Interesse«.

Doch auf diesen Trick fällt die deutsche Bevölkerung nicht herein. Und weil der »Genosse der Bosse«, Gerhard Schröder, zugleich auch Exponent der Volksgenossen ist, wird halt nichts aus den 300 000 Einwanderern jährlich, die der Bundesverband der Deutschen Industrie verlangt. »Kanzler lässt Bosse abblitzen«, titelte die Westdeutsche Zeitung. Übrigens möchten die indischen Informatiker gar nichts mit den so einladend wirkenden Deutschen zu tun haben: »Sie träumen von eigenen Unternehmen« (Spiegel) oder »sind an den USA interessiert« (taz).