Das Landesamt für Verfassungsschutz

Die Auflösung ist nicht genug

Gefährliche Orte XCVIII: Das Landesamt für Verfassungsschutz. Berlins Innensenator Eckart Werthebach will es in den Untergrund verbannen: Ein Geheimdienst soll Nachrichten erfassen, nicht produzieren.

Sein Name ist Werthebach. Eckart Werthebach. Zwar besitzt der spröde Innensenator von Berlin kaum das Charisma des wohl bekanntesten Agenten aller Zeiten. Mit seiner sachlich-herrischen Art versprüht der CDU-Politiker und frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz eher den Charme eines Aktenordners als die testosteroneske Attraktivität eines James Bond.

Trotzdem hat Werthebach mit seinen Kollegen aus Film und Fernsehen so manche Gemeinsamkeit. Erstens: Auch Werthebach hatte bisher seine Doppel-Null. Sie hieß Eduard Vermander und leitete bis vor wenigen Tagen das Landesamt für Verfassungsschutz. Zweitens: Wie alle Bilderbuch-Agenten kann auch Werthebach keine Zeugen gebrauchen. Drittens: Auch ein Eckart Werthebach macht beizeiten kurzen Prozess wie Timothy Dalton in »Die Welt ist nicht genug« mit der bezaubernden, aber bösartigen Sophie Marceau. Und löst, wie vergangene Woche geschehen, das Landesamt für Verfassungsschutz kurzerhand auf.

Ein Sieg der Kritik über die zweifelhaften Praktiken der Überwachungsspezialisten? Wohl kaum. Entscheidend für den blitzartigen Schritt des Innensenators war nicht die Empörung über die fragwürdigen Tätigkeiten seiner Behörde, sondern die Tatsache, dass deren Mitarbeiter in der Vergangenheit schlichtweg nicht dicht gehalten haben. Nach und nach sah sich der Geheimdienstmann Eckart Werthebach als oberster Redakteur eines Nachrichtendienstes, der keine Nachrichten in Erfahrung brachte, sondern Nachrichten produzierte. Es waren meistens schlechte Nachrichten, vor allem für Werthebach, den seine Mitarbeiter seit seinem Amtsantritt mit geradezu vorbildhafter Präzision in Erklärungsschwierigkeiten brachten.

Jetzt ist Werthebach die Schlapphutschnur gerissen. Grund zur Freude darüber gibt es nicht. Besser als jeder Geheimdienstkritiker hat das Landesamt für Verfassungsschutz regelmäßig eine Einführung in Staatsbürgerkunde gegeben und dabei die Öffentlichkeit erfreulich indiskret auf die fehlende eigene Existenzberechtigung aufmerksam gemacht.

Am Beispiel des SPD-Abgeordneten Erich Pätzold führten die formellen und informellen Mitarbeiter des Dienstes schon 1988 vor, wie eine Behörde politisch instrumentalisiert werden kann: Pätzold, später selbst Innensenator von Berlin, wurde vom Verfassungsschutz als mögliche Erkenntnisquelle observiert. An dem Polizeidirektor Otto Dreksler demonstrierte der Geheimdienst vor zwei Jahren, dass selbst anonyme Verdächtigungen ausreichen können, um in das Visier der Verfassungsschützer zu geraten und damit die eigenen Grundrechte vorübergehend los zu sein. Dreksler wurde von einem Unbekannten als Scientologe bezeichnet, der Verfassungsschutz ließ sich die anonyme Bezichtigung prompt von einem Stasi-Greis bestätigen. Alle Beschuldigungen erwiesen sich als falsch.

Damit nicht genug: Auch im Umgang mit Dokumenten galt im Landesamt die alte Straßenkämpfer- bzw. Kofferträger-Parole: Helmut und Hannelore halten's Maul! Weil der Verfassungsschutz von Protestaktionen nach der Verhaftung des Kurdenführers Abdullah Öcalan offenbar mehr aus der Zeitung als von seinen V-Männern erfuhr, sollen im Nachhinein belastende Akten in der Behörde verändert worden sein - freilich unter Missachtung des elften Gebots: Du sollst dich nicht erwischen lassen.

Das endgültige Aus der Behörde aber war besiegelt, als neulich bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz erneut einen ehemaligen Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit auf seiner Gehaltsliste stehen hatte. IM »Förster«, wie der Mann genannt wurde, observierte mehrere Arbeitsgruppen der PDS und wilderte unter anderem bei der PDS Kreuzberg, der Kommunistischen Plattform und im Büro der Landeschefin Petra Pau. Für Empörung in der Öffentlichkeit sorgte freilich nicht die Tatsache, dass der Geheimdienst eine demokratisch gewählte Partei observierte, die in Ostberlin immerhin stärkste Partei ist, sondern dass ausgerechnet ein ehemaliger Mitarbeiter eines DDR-Nachrichtendienstes mit der Bespitzelung beauftragt wurde.

Dass ausgerechnet gewöhnlich gut unterrichtete Kreise aus dem Landesamt für Verfassungsschutz selbst dafür sorgten, dass die Observationspraktiken öffentlich bekannt wurden, muss Werthebach innerlich zum Kochen gebracht haben - zornig leitete der Mann gegen alle beteiligten Mitarbeiter Vorermittlungen wegen schweren Geheimnisverrates ein und erklärte am Mittwoch vergangener Woche, er werde das Amt auflösen.

Ändern wird sich dadurch nur wenig. Schließlich wird die Behörde nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte landen, sondern als eigener Bereich in der Berliner Innenverwaltung. Als deren oberster Chef kann Werthebach in Zukunft besser dafür sorgen, dass die illegitimen Ermittlungspraktiken des Geheimdienstes in Zukunft unter dem Siegel der Verschwiegenheit behandelt werden. Keiner hat das schöner zusammengefasst als der SPD-Innenpolitiker Klaus-Uwe Benneter, der nach Bekanntwerden der Entscheidung vor Freude kaum an sich halten konnte: »Das ist jetzt eine echte Chance, das Amt aus den Schlagzeilen zu bringen.«

Selbstverständlich hat der Sozialdemokrat aber auch seine Bedenken. Schließlich hat der Innensenator bereits »Synergieeffekte« und eine »engere Verzahnung zur Polizei« durch die Eingliederung des Amtes versprochen. Wie das mit der verfassungsmäßig gebotenen Trennung von Polizei und Geheimdiensten zu vereinbaren sein wird, muss man abwarten. Benneter fürchtet jedenfalls schon, dass sich klammheimlich eine »neue geheime Staatspolizei« entwickeln könnte, falls die Bereiche Polizei und Verfassungsschutz nicht strikt getrennt bleiben.

Leider wird man bei der Enthüllung entsprechender Tatsachen nicht länger auf die publizistischen Talente der bisherigen Mitarbeiter setzen können - die will Werthebach nämlich in die Kabine schicken und durch junge und moderne Mitarbeiter ersetzen. Als zusätzliche Neuerung soll verstärkt auf den Diplom-Spitzel gesetzt werden: Verfassungsschutzpräsident Eduard Vermander sagte, das Amt brauche »motivierte junge Mitarbeiter, die eine akademische Ausbildung als Grundlage haben«. Das Landesamt in seiner jetzigen Form sei an der »Denke« der Mitarbeiter gescheitert.

Besonders geschickt, das lässt sich sagen, haben sie sich bisher tatsächlich nicht angestellt. So fiel der auf die PDS angesetzte V-Mann Förster vor allem dadurch auf, dass er sich von den Genossen Geld lieh, ohne es zurückzuzahlen. Kein Wunder, dass Verfassungsschutzpräsident Vermander über die Auflösung seiner Behörde nur jubilieren kann: »Für mich ist das ein erfreulicher Tag. Ich bin am Ziel meiner Wünsche.«