Präsidentenwahl in Senegal

Mit Sopi nach Touba

Erstmals seit der Unabhängigkeit hat bei den Präsidentschaftswahlen im Senegal mit Abdoulaye Wade ein Kandidat der Opposition gesiegt.

Deutsche Politiker wären froh über so viel Begeisterung: Als der Sieg von Abdoulaye Wade bei den Präsidentschaftswahlen Mitte März bekannt gegeben wurde, tanzten in den senegalesischen Städten Tausende Menschen auf den Straßen. Ein Anhänger verkündete sogar: »Wir werden unsere Köpfe kahl rasieren, um zu sein wie Herr Wade.«

Wieviele Senegalesen sich tatsächlich nach Wades Vorbild ein Glatze scheren lassen werden, bleibt abzuwarten. Zweifellos aber hat sein Wahlsieg große Hoffnungen auf ein Ende der sozialen und politischen Stagnation in dem westafrikanischen Staat geweckt. Beim ersten Wahlgang Ende Februar hatte der amtierende Präsident Abdou Diouf noch vorn gelegen, doch mit der Unterstützung aller anderen Oppositionskandidaten gewann Wade die Stichwahl zwei Wochen später mit 58,5 Prozent der Stimmen.

Wahlen in Afrika werden unweigerlich von der Befürchtung begleitet, sie könnten in »ethnische« Konflikte oder eine Machtübernahme des Militärs münden. Seit dem Putsch in der C(tm)te d'Ivoire im Dezember 1999, der das autoritäre Präsidialregime Henri Bédiés stürzte, hegen viele Oppositionelle aber auch die Hoffnung, die Armee könne dort helfen, wo ein Regime sich mit Repression und Wahlbetrug an der Macht hält. Nachdem im Senegal bekannt wurde, dass Diouf einen zweiten Satz Wahlkarten hatte drucken lassen, drohte Wade, er werde das Militär zum Eingreifen auffordern, wenn die Regierung die Wahlen manipuliere.

Stimmenkauf und Wahlfälschung blieben zwar eine Randerscheinung, unbegründet war Wades Verdacht aber nicht. Bei den Präsidentschaftswahlen 1988 und 1993 hatte es Manipulationen in größerem Umfang gegeben. Die Demokratisierung im Senegal hatte bereits Mitte der siebziger Jahre mit der Einführung eines eingeschränkten Mehrparteiensystems begonnen, doch die Opposition blieb, totgeschwiegen in den staatlich kontrollierten Medien und behindert von den Behörden, lange Zeit chancenlos. Auch bei dieser Wahl verschaffte Diouf die Kontrolle über die wichtigsten Medien einen Vorteil, besonders auf dem Land, wo der staatliche Radiosender fast die einzige Informationsquelle ist.

In den Städten dagegen wird die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr vom Klientel- und Kontrollsystem der Sozialistischen Partei (PS) Dioufs erfasst. Neben oppositionellen Parteien entwickelten sich unabhängige Medien und Selbsthilfe-Organisationen, dieser Druck von unten trug maßgeblich zur Öffnung des politischen Systems bei. Die Regierung sah sich gezwungen, Transparenz und Kontrolle bei den Wahlen zuzugestehen, zum ersten Mal wurden die Wahllokale von unabhängigen Komitees überwacht.

Die PS hat das Land jahrzehntelang vor allem durch ein System der Einbindung von Vertretern sozialer und lokaler Interessengruppen regiert. Die relativ gleichmäßige Vertretung der Regionen hat weitgehend verhindert, dass lokale und regionale Zugehörigkeiten offensiv politisiert wurden. Eine Ausnahme blieb allerdings die südsenegalesische Casamance, wo die Bewegung der Demokratischen Kräfte der Casamance (MFDC) seit fast zwanzig Jahren für Unabhängigkeit kämpft. Doch auch hier spielen regionalistische und religiöse Ideologien nur eine untergeordnete Rolle, der Konflikt entstand aus dem Widerstand gegen die Ausplünderung der Casamance durch von den Behörden unterstützte nordsenegalesische Geschäftsleute. Anders als Diouf scheint Wade bereit zu sein, mit den Rebellen zu verhandeln.

Die zweite Stütze der PS-Herrschaft waren lange Zeit die islamischen Bruderschaften, vor allem die einflussreichen Mouriden, deren heilige Stadt Touba faktisch ein exterritoriales Gebiet mit eigener Polizei ist. Die konservativen Bruderschaften vertreten einen »Volksislam« der persönlichen Gefolgschaft zu einem Marabout, einem Geistlichen, dem besondere spirituelle Fähigkeiten zugeschrieben werden. Da die Gläubigen gehalten sind, ihrem Marabout und ihrer Bruderschaft Zuwendungen zukommen zu lassen, konnten sich die Mouriden im Laufe der Jahrzehnte zur bedeutendsten ökonomischen Macht des Landes entwickeln: Sie kontrollieren das Transportwesen und haben eine starke Stellung in Handel und Landwirtschaft. Kein Politiker, der nicht die Sozialstruktur des Landes umstürzen will, kommt an den Mouriden vorbei. Die Führung der Bruderschaft war jedoch klug genug, sich nach dem Aufstieg einer starken Opposition nicht mehr in die Parteipolitik einzumischen.

Diouf konnte den schrittweisen Verfall des PS-Klientelsystems nicht verhindern. Wade hatte schon 1974 die PS verlassen und die Demokratische Partei Senegals (PDS) gegründet, entscheidend für den Wahlsieg der Opposition war der Austritt hoher Funktionäre mit ihren Fraktionen in den neunziger Jahren. Die Oppositionschefs konnten sich auf die wachsende Unzufriedenheit der städtischen Unterschichten und der Jugend stützen. Mehr als 20 Jahre, nachdem sich der Senegal dem ersten IWF-Strukturanpassungsprogramm unterworfen hatte, ist das Land höher verschuldet denn je. Diouf hat weder den Verfall der Landwirtschaft aufhalten noch die Industrialisierung fördern können. Die Hauptstadt Dakar ist jetzt online, aber nur ein Drittel der Bevölkerung ist alphabetisiert.

Nicht zu Unrecht wurde Wade vorgeworfen, dass sein Programm sich auf das Versprechen des Wandels beschränkt. Wade hat seinen Wahlkampf weitgehend mit populistischer Rhetorik bestritten. Bei Kundgebungen ließ er zunächst all jene die Hand heben, die Arbeit haben. Nur wenige Hände gingen nach oben. Darauf folgte die Frage, wer arbeitslos sei. Das war in der Regel die große Mehrheit. Diese »Abstimmung« mündete in den Ruf »Sopi« (Wandel), der von der sympathisierenden Menge erwidert wurde.

»Ich bin ein realistischer Mann«, erklärte Wade, »und deshalb habe ich keine Versprechen gemacht.« Versprechen könne er allein einen neuen Regierungsstil: »Integrität, gute Arbeit und vor allem die Einbeziehung der Jugend in den Aufbau des Senegal.« Wade wird zunächst versuchen, seine Position in einem von PS-Loyalisten durchsetzten Staatsapparat zu festigen und das Klientelsystem der PS aufzubrechen oder zu übernehmen. Für den Herbst sind Neuwahlen geplant, um die PS-Mehrheit im Parlament zu brechen. Institutionelle Reformen und ein Referendum über eine neue Verfassung sollen folgen.

Populär wie auch machtpolitisch nützlich ist der Kampf gegen die Korruption. Die entscheidenden Fragen an Diouf hat die PDS-Zeitschrift Sopi formuliert: »Was hat er mit der Hilfe getan, die der Senegal von 1983 bis heute erhielt? Wie wurden die Gewinne der Privatisierungen verteilt? Seine Kinder sind in allen Sektoren, vom Gold über Reis und Zucker bis zur Hochfinanz, seine Minister und Direktoren haben alle ein Vermögen, das nicht mit ihren Einkommen korrespondiert.« Wade erklärte die Suche nach veruntreuten Staatsgeldern zu einer Priorität seiner Regierung, an den grundlegenden Machtverhältnissen dagegen wird er nicht rütteln. Nachdem Wade sich seines Sieges sicher war, reiste er zuerst zum Dankgebet nach Touba.