Christliche Botschaften

Trotz offizieller Ablehnung geht die Evangelische Kirche nicht konsequent gegen Judenmissionen vor.

Die Judenmission ist für mich Fortsetzung des Holocaust mit anderen Mitteln." Ein radikales Urteil, das der Rabbiner Dr. Joel Berger auf einer Podiumsdiskussion beim diesjährigen Kirchentag im Juni in Stuttgart fällte. Anlass für seine Erklärung war die Teilnahme des judenmissionierenden Evangeliumsdienstes für Israel (EDI) am "Markt der Möglichkeiten" auf dem Kirchentag (Jungle World, Nr. 27/99). Der EDI zählt zu jenen Gesellschaften, die zielgerichtet Juden zum christlichen Glauben bringen wollen.

Obwohl die wesentlichen Fragen bereits durch jahrzehntelange Diskussionen geklärt schienen, ist seit dem Kirchentag in der schwäbischen Hauptstadt der Streit um das Thema Judenmission innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), der Kirchentagsleitung und den jüdischen Gemeinden wieder neu entfacht - und ein Ende noch nicht abzusehen. Dabei steht in der EKD weniger zur Debatte, ob Christen Juden missionieren dürfen. Vielmehr dreht sich die Auseinandersetzung um die Frage, inwieweit man gegen christliche Gruppen, die planmäßig Juden missionieren, vorgehen soll und warum sich niemand klar und öffentlich positioniert.

Der EDI ist eine bundesweite Organisation, die jedoch hauptsächlich in Süddeutschland aktiv ist. Der Evangeliumsdienst mit Sitz in Leinfelden/ Echterdingen nahe Stuttgart missioniert vor allem Juden aus Osteuropa und der GUS, die nach Deutschland kommen. Angeblich sollen im Falle einer Bekehrung zum Christentum Wohnung und Arbeitsplatz in Aussicht gestellt werden. Gerade die Konzentration auf diese Einwanderer, die sich hier noch orientieren müssen, empfinden jüdische Gemeinden als besonders verwerflich.

Zwar haben der EDI und andere Missionsgesellschaften nur mäßigen Erfolg, dennoch sehen Juden in den Aktivitäten evangelikaler Gruppen eine Bedrohung. Aber auch das Verhalten von Kirchentagsleitung und EKD verbitterte viele Juden und diejenigen, die sich im christlich-jüdischen Dialog engagieren. "Wenn es darauf ankommt können wir ihnen nicht trauen", so war die vorherrschende Stimmung, als die Kirchentagsleitung den EDI trotz Protesten nicht wieder auslud. Jüdische Gruppen wie etwa die Israelitische Gemeinschaft Württembergs sagten ihre Beteiligung ab, nachdem klar war, dass der Evangeliumsdienst auf dem Markt der Möglichkeiten stehen würde.

Auf Unverständnis stieß auch die Entscheidung von Manfred Kock, Ratsvorsitzender der EKD, der Veranstaltung "Nein zur Judenmission" am Stuttgarter Kirchentag fernzubleiben, weil er nicht in eine laufende Diskussion eingreifen wolle. Gerade die Anwesenheit Kocks und eine eindeutige Stellungnahme gegen die christliche Missionierung von Juden hätte ein positives Zeichen gegenüber der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg und der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen gesetzt.

Verwunderlich, dass dies nicht passierte, wo es doch schon entsprechende Erklärungen zu diesem Thema gibt. Denn die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) und fast alle evangelischen Landeskirchen lehnen die Judenmission zumindest offiziell ab, was Ende September noch einmal bekräftigt wurde. Das Präsidium der EKD beschloss einstimmig, dass das Gremium bei seiner Aussage bleibe, die bereits ein Jahr zuvor in einer gemeinsamen Erklärung von EKD und dem Zentralrat der Juden in Deutschland veröffentlicht wurde. Darin heißt es: "Die Mitglieder der EKD-Delegation betonen, daß die christliche Verkündigung öffentlich geschieht und sich an alle Menschen wendet und stets Einladung zum Hören und zum Gespräch ist. Sie bekräftigen, daß alle Gliedkirchen der EKD eine spezielle Ausrichtung dieser Verkündigung auf Juden, etwa im Sinne einer auf Bekehrung zielenden organisierten 'Judenmission', aus theologischen und historischen Gründen ablehnen."

Allerdings werde trotz dieser Erklärung an der Frage, "wie die christliche Verkündung gegenüber Juden gestaltet werden soll", in der EKD und den eigenständigen Landeskirchen "weiterdiskutiert", sagte der Pressesprecher des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Rüdiger Runge, der Jungle World. Eine Ausladung des EDI habe es laut Runge nicht gegeben, da der Kirchentag "ein Forum ist, um dieses Thema zu diskutieren und alle Gruppen dazu eingeladen sind".

Günther Bernd Ginzel, Publizist und jüdischer Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Köln bezeichnete das Verhalten der Kirchentagsleitung als "feige", da sie nicht den Mut hatte, in Württemberg, wo pietistische Gruppen stark vertreten sind, gegen den EDI vorzugehen. Das Fernbleiben von Kock, der sich für den christlich-jüdischen Dialog immer stark eingesetzt habe, bucht Ginzel dagegen unter "dummer und falscher Öffentlichkeitsarbeit" ab. Vielmehr verweise der entfachte Streit auf Identitätsprobleme und einen Mangel an Reflexion in den Kichengremien.

Ginzel sieht die auf Juden gerichteten deutschen Missionsgesellschaften wie den EDI in einer langen antijüdischen Tradition, die vor etwa 150 Jahren ihren Anfang nahm und bis heute andauert. Diese Missionsgesellschaften seien dem politisch konservativen Spektrum zuzuordnen, sie "bewegen sich außerhalb der Zeit und jenseits der theologischen Entwicklung". Seit Auschwitz lehnen alle offiziellen Erklärungen der Evangelischen Kirche und des Vatikan eine christliche Theologie ab, die davon ausgeht, dass das Judentum nur ein Vorläufer und Vorbereiter für das Christentum ist. Für Christen wurde die Erlösung der Menschen durch Christus vollzogen. Für Juden dagegen ist es unbegreiflich, wie man in dieser Welt glauben könne, der verheißene Messias sei schon gekommen.

Die jüngsten Auseinandersetzung verweisen auf die elementaren Probleme, die die christliche Lehre mit dem "Nein zur Judenmission" hat. Es wäre geheuchelt, das Nein mit der Geschichte Deutschlands, mit der Shoah, zu begründen, so Ginzel. Vielmehr müsse endlich der alleinige Wahrheitsanspruch der christlichen Lehre, der unter anderem den Missionsgedanken an Juden begründet, selbst relativiert werden.