Ultras und Moderate ohne Moderator

Die Studentenbewegung an der Universität von Mexiko-Stadt droht an ihrer eigenen Spaltung zu scheitern.

Zu den Gebäuden zweier konservativer Fernsehsender marschierten am vergangenen Donnerstag 5 000 Studenten der Universid‡d Nacional Autonoma de México (Unam), um gegen deren tendenziöse Berichterstattung über den seit sechs Monate andauernden Studentenstreik an der Unam zu protestieren. Der Protest uferte aus; kurzfristig blockierten rund 600 Studenten eine Stadtautobahn, dann griff die kasernierte Polizei hart durch. Wer nicht fliehen konnte, wurde vergeprügelt, eine unbekannte Zahl von Studenten wurde festgenommen; hernach wurden freilich alle wieder laufengelassen.

An der Universität selbst geht es unterdessen ruhiger zu: Noch immer sind alle Eingänge der Vorlesungsgebäude verbarrikadiert, aber die studentische Bewegung droht inzwischen an inneren Streitigkeiten zu scheitern. Sie hat sich in "Moderate" und "Ultras" gespalten, wie die rivalisierenden Gruppen in der Presse bezeichnet werden. Beide haben zudem eine Menge Ärger mit - nicht nur studentischen - Gegnern des Streiks.

Der am 20. April begonnene Streik der Studentenschaft war durch die so genannten Reformpläne des Rektors Fransisco Barnés de Castro provoziert worden, die Semestergebühren von umgerechnet etwa fünf Pfennigen auf 210 Mark zu erhöhen (Jungle World, Nr. 34/99). Der Rektor und der akademische Senat (CU) haben die Gebühren mittlerweile in freiwillige umgewandelt und fordern die sofortige Beendigung des Streiks. Der Allgemeine Streikrat der Studierenden (CGH) besteht weiter auf der Erfüllung seines Sechs-Punkte-Programms, das unter anderem die vollständige Rücknahme der Gebühren und die Aufhebung der von Barnés eingeführten Einschreibe-Tests verlangt. Zudem fordert der CGH einen Kongress, der die Probleme der Universität diskutieren und ihre Demokratisierung anstreben soll.

Unterdessen lud die rechte Presse den Staat ein, in den Konflikt zu intervenieren und die Unam mit Gewalt zu räumen. Eine Begründung lieferte Francisco Labastida, einer der Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur des regierenden PRI (Partido de la Revoluci-n Institucional): Die Guerilla EPR versorge die Studierenden bereits mit Waffen. Abgeordnete der rechten Oppositionspartei Pan (Partido de Acci-n Nacional) verwiesen auf die Präsenz der zapatistischen EZLN auf dem Campus und forderten ebenfalls die Räumung.

Auch die Streikgegner innerhalb der Unam verlangten die Intervention der Staatsmacht. Als im September mehrere Demonstrationen zum Sitz des Staatspräsidenten Ernesto Zedillo nichts bewirkten - "Eine blinde Anwendung des Rechts würde das Problem nur verschlimmern", erklärte Zedillo - , beschlossen die enttäuschten Streikgegner, die Sache selbst in die Hand zu nehmen: Sie besetzten die Nationale Fakultät für Berufsausbildung (Enep) der Unam. 70 Studierende überraschten die Streikposten und hielten die weit vom Universitätscampus entfernte Fakultät einige Stunden ihrerseits besetzt, bis etwa 500 Streikende sie mit friedlichen Mitteln bewegten, wieder abzuziehen. Der CGH bezichtigte die Universitätsleitung, die Aktion organisiert und geleitet zu haben.

Im Anschluss an die Räumung der Fakultät kam es zu Rangeleien unter den Streikenden selbst, bei denen zwei Studenten verletzt wurden. Karla Alba, eine der Verletzten, warf dem zentralen Streikorgan, in dem gewählte Vertreter aller Fakultäten sitzen, im Gespräch mit Jungle World "faschistische Methoden, Intoleranz und ausschließendes Verhalten" vor.

Alba gehört zu jenen 70 Personen, denen der Zutritt zu den Versammlungen ihrer Fakultät, des Colegio de Ciencias y Humanidades im Stadtteil Naucalpan, wegen "streikfeindlicher Haltung" verboten ist. Sie organisieren ihre eigenen Versammlungen, haben aber im CGH kein Stimmrecht. Auch in der Fakultät für Sozialarbeit, der Architektur-Fakultät und bei den Politischen Wissenschaften existieren parallele Versammlungen von "Ausgeschlossenen", die verlangen, auf Vorschläge zur Beendigung des Streiks - auch aus dem Lager der Universitätsleitung - einzugehen.

Diese Haltung trug den Moderaten von Seiten der Ultras den Vorwurf ein, den Streik "verkaufen zu wollen". Zu Handgreiflichkeiten kam es Ende September, als Moderate auf einer Sitzung des CGH verlangten, die sechs Punkte zu "flexibilisieren". Die Folge war ein großer Tumult, in dem die Ultras die Moderaten als "Streikbrecher" beschimpften, worauf jene mit dem Vorwurf antworteten, die Ultras seien "gar nicht an einem Ende des Streiks interessiert".

Einige Moderate gehen noch weiter und bezichtigen die Ultras der Provokation im Dienst der Regierung. Für Karla Alba ist ausgemachte Sache, dass der CGH von Agenten infiltriert ist, die die Bewegung polarisieren sollen. In einem Aufsatz in der Wochenzeitung Proceso behauptet Bol'var Huerta, eine führende Figur der Moderaten, die Ultras wollten den Konflikt in die Länge ziehen, um dem Bürgermeister von Mexiko-Stadt und Präsidentschaftskandidaten des linken PRD (Partido de la Revoluci-n Democr‡tica), Cuauhtemoc Cardenas, zu schaden. Sie seien von der PRI bezahlt und organisiert, um deren Kandidaten Francisco Labastida zu stärken.

Der PRD versucht, eine breite Koalition aller oppositionellen Kräfte zu organisieren und die seit 70 Jahren andauernde Herrschaft des PRI bei den Wahlen im kommenden Jahr zu brechen. Während die Ultras zumeist aus radikalen, nicht-parlamentaristischen Gruppen kommen, setzt sich der moderate Flügel aus Studentenorganisationen zusammen, die bereits viele Bürokraten an die Stadtverwaltung des PRD geliefert haben.

Rektor Barnés lehnt sich zurück und wartet ab: "Es gibt eine sehr kleine Minderheit unter den Studenten, sehr radikal und polarisiert, die die Einrichtungen der Universität besetzt hält. Es gibt glücklicherweise aber auch Andere in der Studentenbewegung, die sich zu äußern beginnen, und wir warten und hoffen, dass sie eine dominante Position erreichen, damit wir zu einem Ausweg gelangen." Im Moment spielt Barnés auf Zeit - ständig führt er neue Bedingungen an, die erfüllt sein müssten, bevor es zu Verhandlungen kommen könne: Der Streik müsse erst beendet werden, der CGH müsse eine feste Verhandlungsdelegation benennen, öffentlich dürfe nicht getagt werden.

Die Streikbewegung konzentriert sich mittlerweile zunehmend auf die Forderung nach dem Kongress. In der letzten Sitzung des CGH am 12. Oktober wurde daher beschlossen, den Dialog mit der Kontaktkommission des Senats weiter auszubauen. Weiterhin beschloss der CGH für den 26. Oktober ein offenes, stadtweites Referendum über den Rücktritt von Barnés - ein weiteres Zeichen, wie sehr die Politik personifiziert wird. Diskutiert wird auch die Besetzung des Internet-Servers der Unam, der etwa der Hälfte aller Benutzer in Mexiko den Zugang zum Netz ermöglicht. Doch auch diese Sitzung des CGH verlief unter Turbulenzen. Vertreter von fünf Fakultäten verließen die Sitzung, nachdem sie dem Plenum Intoleranz vorgeworfen hatten.