Das Milliardending

Rot-grüne Bevölkerungspolitik ist modern und findet bei uns im Kino statt. Und in Veranstaltungen mit Charlotte Höhn.

Irgendwann in den nächsten Wochen feiert die Menschheit ein bislang einmaliges Jubiläum: Sie wird sechs Milliarden Leute groß. Das jedenfalls behaupten die bevölkerungspolitischen Statistiken der UN und aus diesem Grund hatte man den 12. Oktober 1999 zum symbolischen Zeitpunkt des runden Geburtstagsspektakels bestimmt. Nur freut sich keiner so recht, und die Geburtstagskinder - es waren etwa 220 000 wie jeden Tag - erhielten kein Willkommenspräsent. Die meisten von ihnen gelten, zumindest bei den international agierenden BevölkerungspolitikerInnen, als unerwünscht.

Die Kampagne "Tag der sechs Milliarden" wird auch bei uns von einer aufwendigen Propagandaschlacht gegen die "Überbevölkerung" begleitet. Im Unterschied zu den Aufklärungskampagnen in den ärmeren Ländern drohen hier ganz andere Szenarien. Der Fülle von Informationsmaterialien, die vor allem die Deutsche Stiftung für Weltbevölkerung (DSW) verbreitet, ist neben vielen schönen Worten über "Gesundheitsverbesserung für Frauen" zu entnehmen, dass es "zu viele" Menschen vor allem dort gebe, wo sie arm sind, ganz besonders in Afrika. "Zwischen 1900 und 1975 fand etwa 80 Prozent des Weltbevölkerungswachstums in den Entwicklungsländern statt, heute sind es sogar 98 Prozent", heißt es in den jährlichen Mitteilungen der Stiftung. Gemeinsam mit der Cinemax AG und der Zeitschrift Geo startete die DSW am 10. Oktober eine Matinee-Reihe "Die Bevölkerung wächst. Die Erde nicht!"

KritikerInnen werfen der DSW vor, eine fahrlässig rassistische Politik zu vertreten, die an die Vorurteile weißer Mittelstands-Metropolen-BewohnerInnen anknüpfe. Die Stiftung, die als deutsche Kooperationspartnerin für den UN-Bevölkerungsfonds (United Nations Populations Fund - UNFPA) fungiert und als Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) eingetragen ist, zählt zu den effektivsten in diesem Spektrum. Ihrem aktuellen Jahresbericht ist zu entnehmen, dass das Stiftungsvermögen 1998 fast zweieinhalb Millionen Mark betrug. Umgesetzt wurden gute vier Millionen Mark, davon zwei in der Sparte "Projektarbeit Entwicklungsländer". Die Mittel kommen von privaten Spendern, und - wie bei anderen NGO auch - aus dem internationalen Geldgeberklüngel: Packard, Rockefeller, Gates, Hewlett, Weltbank, auch ein bißchen Europa-Geld aus Brüssel. Unter den nationalen Förderern tauchen u.a. die Drogeriekette Rossmann, die Geo, die Robert-Bosch-Stiftung sowie die Gottlieb-Daimler- und Karl-Benz-Stiftungen auf.

Am 6. und 7. Oktober veranstaltete die DSW gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt eine Tagung in der Berliner Humboldt-Universität. Es handelte sich um das zweite Forum Globale Fragen, gegründet im April 1999 und damit ein Produkt rot-grüner Entwicklungspolitik. Nach Aussagen der VeranstalterInnen wurde die Konferenz von "etwa zweihundert hochrangigen in- und ausländischen TeilnehmerInnen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft" besucht. Und für KennerInnen der bundespolitischen Entwicklungspolitik versprach aber vor allem die ReferentInnenmischung einige Brisanz.

Neben Gastgeber Joseph Fischer und dessen Staatsminister Ludger Volmer waren dort u.a. angekündigt: Barbara Lochbihler, Geschäftsführerin von amnesty international Deutschland, Dietrich Garlichs von Unicef Deutschland, Brigitte Erler für die Aktion Courage - SOS Rassismus und die Grüne Claudia Roth als Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses. Dass sich diese illustre Runde aus dem Spektrum früherer KritikerInnen an herrschender Entwicklungs- und Bevölkerungspolitik heute gemeinsam mit Vertretern des Bundesverbandes der Deutschen Industrie an einen Tisch setzt - Aktionsplan Sponsoring für eine gute Sache, könnte die Begründung heißen - verwundert kaum noch jemanden. Für die politische Aufwertung einer weiteren Referentin dürfte es jedoch selbst in den Reihen grüner Realas und Realos schwierig sein, eine Erklärung zu finden.

Vorweg: Es kam nicht zum Eklat, und selbst der Protest aus dem Publikum blieb marginal. Es trat auf Charlotte Höhn vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung mit einem Referat zum Thema "Die Rolle der Frau und das Weltbevölkerungswachstum". Vor fünf Jahren noch galt die Professorin selbst für viele SozialdemokratInnen und UnionspolitikerInnen als nicht mehr tragbar.

Der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Freimut Duve titulierte sie als "Hitlers Erbin", CDU-Innenminister Manfred Kanther suspendierte sie kurzzeitig von ihrem Posten. Der Grund: In einem Interview mit der Berliner Historikerin Susanne Heim hatte sich sich die Bevölkerungsfachfrau Höhn zu Aussagen hinreißen lassen wie: "Die durchschnittliche Intelligenz der Afrikaner ist niedriger als die anderer." (taz, 12. September 1994). Höhn hatte damals auch den NS-Bevölkerungstheoretikers Gerhardt Mackenrodt verteidigt, der für das nationalsozialistische "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" mit zu verantworten hatte: "Mal im Ernst. Ist das erstrebenswert, dass sich Menschen, die krank sind, vermehren? Ist das vielleicht gut?"

Sowohl die Einladung an Höhn als auch deren unwidersprochene Teilnahme an der Veranstaltung vergangene Woche in Berlin machen deutlich, wie weit und wie schnell der Paradigmenwechsel innerhalb der rot-grünen Regierung zum Thema Bevölkerungspolitik fortgeschritten ist. Vor zehn Jahren wäre eine solche Veranstaltung auch von einem Teil derjenigen, die nun auf dem Podium saßen, gestört oder verhindert worden.

Ungeachtet der Zusammenkünfte internationaler und bundesdeutscher BevölkerungspolitikerInnen wird vielleicht irgendwann in diesen Tagen wirklich ein Mensch geboren, der für Sekundenbruchteile der erste von über sechs Milliarden ist. Niemand weiß, wann und wo es geschehen wird. Andere Daten sind zuverlässiger: Noch immer wird vom reichsten Fünftel der Weltbevölkerung 66mal mehr an Materialien und Ressourcen verbraucht als vom ärmsten Fünftel. Wasser, Lebensmittel, Holz, Waffen, alles. Das wissen sogar die Vereinten Nationen.