Jakartas doppeltes Spiel

Gegen die Zusammenarbeit von indonesischer Armee und Milizen ruft die Unabhängigkeitsbewegung Ost-Timors nach einer internationalen Interventionstruppe

Kaum waren die Ergebnisse des Referendums bekanntgegeben, eskalierten die pro-indonesischen Milizen den Konflikt. Die ost-timoresische Hauptstadt Dili ging in Flammen auf, die Zahl der Toten geht in die Hunderte. Schon direkt nach dem Votum hatten die Milizen mindestens drei lokale UN-Angestellte umgebracht, ihren Terror aber vorrangig in den Städten im Westen der Provinz ausgeübt. Straßensperren der Milizen riegelten dort ganze Teile des Territoriums ab, Zeugen beobachteten Mitglieder der berüchtigten indonesischen Kopassus-Eliteeinheiten, die mit den Milizen zusammenarbeiteten.

Der Ursprung der Milizen datiert aus den siebziger Jahren. Die ersten entstanden noch vor der Invasion der indonesischen Militär- und Polizeikräfte. Aber seit Ende des vergangenen Jahres erlebten die Milizen einen mächtigen Aufschwung. In einem Bericht von amnesty international vom 21. Juni heißt es, Ende 1998 und Anfang 1999 hätten sich in verschiedenen Distrikten mindestens 22 neue Pro-Integrationsmilizen etabliert. Es gebe starke Hinweise, daß diese Truppen mit Unterstützung der indonesischen Nationalarmee und in geringerem Ausmaß von der Polizei operieren; die indonesischen Behörden seien in eine generelle, gut organisierte Kampagne verwickelt, um die Bevölkerung zu bedrohen und einzuschüchtern, mit dem Ziel, daß sie eine Autonomie innerhalb Indonesiens akzeptiere.

Die indonesische Regierung räumt zwar ein, daß sie Mitglieder dieser Gruppen rekrutiert und trainiert hat, jedoch nur als unbewaffnete "Dorfschützer". Diese Version läßt sich nicht halten. Am Montag veröffentlichte die australische Zeitung Sidney Morning Herald durchgesickerte Einschätzungen der UN-Mission für Ost-Timor (Unamet). Demnach haben in der vergangenen Woche die 14 000 indonesischen Soldaten, die unter von Verteidigungsminister Wiranto handverlesenen Offizieren im Einsatz sind, die Milizattacken geduldet und in einigen Fällen direkt angeleitet. Und bei vielen Übergriffen hat das Militär der 8 000 Mann starken indonesischen Polizeitruppe in Ost-Timor befohlen, passiv zu bleiben - unter offenen Drohungen gegen die Polizisten oder deren Familien, sollten sie eingreifen.

Welche strategischen Überlegungen hinter dem Einsatz der Milizen steckt, ist umstritten. Nach Ansicht der Menschenrechtsgruppe Kontras aus Dili könnte die andauernde Gewalt der Milizen u.a. darauf abzielen, die fortwährende Präsenz der indonesischen Armee in Ost-Timor zu rechtfertigen. Xanana Gusmao, der inhaftierte Präsident der Ost-Timor-Unabhängigkeits-Koalition, zieht in Betracht, daß die Kluft zwischen den offiziellen Statements aus Jakarta und den Taten des indonesischen Militärs möglicherweise darauf verweist, daß das Militär nicht mehr ganz loyal zu Präsident Habibie steht.

In einem Interview mit dem australischen Journalisten Mark Davis erklärte Gusmao im März: "Wir können nicht sagen, ob General Wiranto (Chef des indonesischen Militärs, damals noch Abri; d. Red.) und Habibie und Alatas (indonesischer Außenminister; d. Red.) übereinstimmen, ob Abri an ihrer Entscheidung festhalten wird. Viele Interessen sind involviert, und Abri verteidigt ihre eigenen Interessen." Mittlerweile hat sich Abri formal in zwei Teile gespalten: in TNI, die indonesische Nationalarmee, und die Polizeikräfte; beide unterstehen aber noch dem Verteidigungsministerium.

Aber die Erklärung, die Milizen seien als Reflex auf einen Bruch innerhalb des indonesischen Establishments - zwischen Habibie und Armeechef Wiranto oder zwischen Wiranto und Schurken innerhalb des Militärs - entstanden, greift zu kurz. George J. Aditjondro, Dozent an der Universität Newcastle, beschrieb in einem Artikel für die australische Zeitung The Age die Business-Interessen der indonesischen Oligarchie in Ost-Timor, die hinter dem Milizen-Terror stehen.

Allein der Clan des indonesischen Ex-Diktators Suharto kontrolliert demnach mehr als 564 000 Hektar Land auf Ost-Timor. Die Dachorganisation des ost-timoresischen Widerstands, hat angekündigt, nach Erreichen der Unabhängigkeit diese Ländereien zu übernehmen - ein Grund, warum die Unabhängigkeit bekämpft wird. Und Aditjontro beschreibt detailliert ein eng verbundenes Netzwerk aus ehemaligen oder aktiven Armeegenerälen - und deren Familien -, die mit einer Handvoll ost-timoresischer Chefs zusammenarbeiten, welche sich in Kollaboration mit Jakarta die Taschen gefüllt haben. Die höchsten Ränge der indonesischen Armee und der zivilen Bürokratie seien eng verbunden mit dem früheren inner circle um Suharto, der mittlerweile von seinem Nachfolger Habibie übernommen wurde.

Die ökonomische Bedeutung der Suharto-Ländereien liege u.a. darin, daß auf ihrem Gebiet die seit portugiesischer Kolonialzeit bekannten Ölvorkommen zu finden sind. Deshalb entwirft Aditjondro zwei Szenarien für ein mögliches Vorgehen Jakartas, mit dem diese Interessen zu schützen sind: Hinter dem Vorgehen der Milizen könnte sich einerseits eine Strategie verbergen, die darauf abzielt, Ost-Timor aufzuteilen: in einen westlichen, ölreichen Teil, der weiterhin eng mit Indonesien zusammenarbeiten würde; und in einen östlichen Teil ohne Öl, dem die Unabhängigkeit erlaubt werde. Oder andererseits eine Strategie, die die Unabhängigkeit ganz Ost-Timors erlauben würde, sobald gesichert sei, daß ein neuer Staat das Eigentum der indonesischen Oligarchie und ihrer ost-timoresischen Kollaborateure respektiert.

Angesichts von Aufforderungen aus den Reihen der ost-timoresischen Unabhängigkeitsbewegung, eine "internationale Friedenstruppe" nach Ost-Timor zu entsenden, hat der indonesische Verteidigungsminister Wiranto seine Position schon skizziert. Gegenüber Reportern sagte er am Sonntag, daß Ost-Timor noch ein Teil Indonesiens sei, bis das Votum für die Unabhängigkeit von Indonesiens höchstem gesetzgebenden Gremium formal gebilligt wurde; das wird nicht vor November erwartet. Bis dahin, sagte Wiranto, ist Indonesien für die Sicherheit in Ost-Timor zuständig, und wies Rufe nach einer internationalen "friedenserhaltenden" Truppe zurück.

Der australische Verteidigungsminister Alexander Downer hat schon zu einer "Koalition der Gutwilligen" aufgerufen, um eine bewaffnete Interventionstruppe nach Ost-Timor zu entsenden. Ohne eine Zustimmung Indonesiens oder ein Mandat des UN-Sicherheitsrates komme dies aber nicht in Betracht, so seine Position am Wochenende.

Die portugiesische Repräsentantin für Ost-Timor, Ana Gomes, hat in einem Appell die UN aufgefordert, militärisch zu intervenieren, um einen "Völkermord" auf Ost-Timor zu verhindern.

Die USA, ohne die eine solche Truppe kaum Durchschlagskraft entwickeln würde, hielten sich am Wochenende offiziell noch bedeckt. Vielleicht ist aber im Hintergrund schon ein Deal im Gange. Davon geht zumindest Prof. Tom Plate von der University of California aus, "Experte" in der regionalen US-Außenpolitik. "Ich glaube, daß ein Deal unter US-Beteiligung gemacht wurde, wonach Jakarta die Resultate des Ost-Timor-Referendums anerkennen und einlösen wird im Gegenzug zu amerikanischer Unterstützung für die Unterdrückung aller anderen separatistischen Bewegungen - daß Amerika entgegenkommend wegsehen und das nicht aufbauschen wird", zitiert ihn der Sidney Morning Herald.

Und so markiert die Debatte um eine internationale Interventionstruppe der Mächte, die in den letzten Jahrzehnten bestens mit dem indonesischen Regime zusammengearbeitet haben, zugleich die Grenzen der nationalen Unabhängigkeitsbewegung Ost-Timors.