Forstarbeit in Uniform

Die mexikanische Armee übernimmt derzeit jeden Job in Chiapas

Wird aus dem low intensity war nun wieder ein offener Krieg? Der Konflikt in Chiapas zwischen der mexikanischen Regierung und der Guerillaorganisation EZLN spitzt sich in jüngster Zeit enorm zu. Im August ist es zu mehreren Zusammenstößen zwischen der Armee und der Bevölkerung in den Gemeinden gekommen, die die EZLN unterstützen. Die EZLN selbst erklärte, sie rechne jederzeit mit einer Offensive der Armee.

Die derzeitige Spannung ist Ergebnis einer weitergehenden Militarisierung der Region, die Anfang Juni einsetzte. Zu jenem Zeitpunkt wurden in mehreren Gemeinden von Ocosingo, einer Hochburg der EZLN, militärische Operationen durchgeführt - angeblich zur "Bekämpfung von Gangsterbanden, nicht politischen Gruppen", wie Eduardo Montega Liévano, Staatsanwalt des Bundesstaates Chiapas, erklärte. Tags darauf wurde von offizieller Seite als Erklärung für den Truppenaufmarsch angeboten, man suche nach Marihuana-Pflanzungen. Mehrere Hundert Bewohner der Region flüchteten aus Angst vor Übergriffen und Folter in die umliegenden Wälder. Als ob die Armee sich Sorgen um die Zufluchtsorte der Einwohner machte, waren in den vergangenen Monaten 6 000 Soldaten zu "Aufforstungsarbeiten" in den nahegelegenen lakandonischen Urwald geschickt worden.

Im August kamen weitere Truppen hinzu. Unter anderem wurden 500 Soldaten in dem Dorf Amador Hern‡ndez stationiert. Ihre Mission ist die Sicherstellung des Baus einer Straße, die San Quintin mit Amador Hern‡ndez und Las Tacitas verbinden soll, nahe dem Rückzugsgebiet der Guerilla. Tatsächlich ist der Bau von Straßen in der Region sehr umstritten. Die 1996 begonnenen Bauarbeiten dieser Strecke werden vom Ministerium für Verkehr und Kommunikation und dem Verteidigungsministerium gemeinsam durchgeführt, wobei das Verteidigungsministerium die Federführung hat. Diese Straße ist eine von mehreren, deren Bau nach dem zapatistischen Aufstand von 1994 geplant wurde. Das Gesamtprojekt bezweckt die Verbindung von mehr als 5 000 indigenen Gemeinden in der unwegsamen Region.

Die Regierung erklärt, der Bau der Straßen habe die ökonomische Integration der Region mit ihren Kaffeepflanzungen zum Ziel. Der staatliche Koordinator für Dialog und Verhandlungen, Emilio Rabasa Gamboa, behauptet, die Regierung sei sich des sozialen Problems der Entwicklung der Region bewußt. Eine Straße bringe Krankenhäuser und Schulen in die Region, daher sei ihm die Opposition der EZLN unverständlich. Die Zapatisten wollten den Konflikt verlängern, da er für sie "zu einer Lebensart geworden sei".

Die zapatistischen Gemeinden hingegen erklären, der Bau diene lediglich der besseren Mobilität des Militärs, und lehnen das Projekt grundsätzlich ab. Schon im Mai waren die Bauarbeiten ins Stocken geraten, als Sympathisanten der EZLN Bauarbeiter bedrohten und die Zerstörung der Maschinen ankündigten. Seitdem befinden sich entlang der Baustrecke zahlreiche Lager der Armee, deren Soldaten auch für den Arbeitsdienst eingespannt werden. Zudem ist die Benutzung der bereits fertiggestellten Streckenabschnitte nur militärischen Fahrzeugen gestattet.

Die Opposition der Gemeinden gegen den Bau der Straße führte auch in jüngster Zeit zu mehreren Demonstrationen und Zusammenstößen mit der Armee. So wurde gegen eine Kundgebung in Amador Hern‡ndez am 15. August durch die Armee Tränengas eingesetzt, vier Menschen wurden verletzt. Am 25. August kam es zu Zusammenstößen in dem Dorf San José La Esperanza. Das Militär erklärte, eine Gruppe von 40 mit Macheten bewaffneten Personen habe eine Abteilung von hundert Soldaten angegriffen.

Die Bewohner hingegen gaben an, etwa 60 Soldaten seien morgens in das Dorf eingefallen und hätten drei Personen entführt. Der Versuch der Bewohner, die Entführung zu verhindern, habe gewaltsame Auseinandersetzungen zur Folge gehabt, bei denen mehrere Einwohner verletzt wurden. Auffällig ist, daß in Erklärungen von offizieller Seite die Ereignisse tags darauf als "Einzelfall" heruntergespielt wurden.

Auch für die gemäßigt linke Oppositionspartei PRD (Partido de la Revoluci-n Democratica) hat die Straße nur einen "rein militärischen" Zweck. Es wird unterstrichen, daß an beiden Enden des umstrittenen Streckenabschnitts militärische Basen zu finden seien. Zudem fällt auf, daß die Strecken sich auf jene Gebiete konzentrieren, in denen die Unterstützung für die EZLN groß ist. So befinden sich in der Nähe von La Realidad, jenem Ort, in dem Subcomandante Marcos seine Presseveröffentlichungen vornimmt, 2 000 Soldaten: zum "Schutz von Bauarbeiten". Die Gesamtzahl der in der Region um den lakandonischen Urwald stationierten Soldaten beträgt nach einem Bericht der PRD 16 450, darunter auch spezielle Schnelleingreiftruppen, Artillerie und Fallschirmjäger.

Die EZLN wertet die neue Militarisierung als Vorbereitung für einen Angriff. Comandantes der Guerilla verschickten am 23. August Briefe an die Öffentlichkeit mit dem Inhalt, daß sie "jeden Moment einen Angriff auf La Realidad erwarten". Javier Elorriaga von der der EZLN nahestehenden Frente Zapatista de Liberacion Nacional erklärte gegenüber Jungle World, die neuen Angriffe seien Folge des Scheiterns von Versuchen ökonomischer Einflußnahme und paramilitärischer Bekämpfung. Dem Staat bleibe keine Alternative außer der unmittelbar militärischen Bekämpfung der EZLN. Elorriaga spricht von "Kriegsführung niederer Intensität, an die sich die Öffentlichkeit gewöhnt" habe.

Als politische Erklärung für die zunehmende Aktivität der Armee wurde von Marcos der Versuch der EZLN angeführt, sich mit anderen sozialen Bewegungen zu solidarisieren. Tatsächlich fand im Rahmen dieser Vernetzung in La Realidad ein "Nationales Treffen zur Verteidigung des kulturellen Vermögens" statt, an dem sich neben Zapatisten auch Vertreter des zentralen Streikkomitees der Unam (Universidad Nacional Autonoma de Mexico) und Mitarbeiter des Nationalen Instituts für Anthropologie und Geschichte (INAH), das privatisiert werden soll, beteiligten. Auf dem Treffen wurde die Gründung einer "Sozialen Nationalen Front gegen die Privatisierungen und zur Verteidigung unserer geschichtlichen Erinnerung und kulturellen Erbes" beschlossen. Es beteiligten sich über 400 Vertreter von mehr als 20 Organisationen.

Die Anreise von politisch Aktiven aus Mexiko-Stadt stieß bei den lokalen Behörden auf wenig Sympathien. Als die Studenten der Unam auch noch anfingen, sich an den Demonstrationen der Zapatisten zu beteiligen, war die Geduld des Gouverneurs von Chiapas, Roberto Albores Guillén, erschöpft. Er ließ mehrere von ihnen festnehmen und drohte dem Rest mit Ausweisung aus dem Bundesstaat. Seine Begründung lautete, sie würden den Frieden stören und seien keine Chiapaneken.

Indes meldete das Netzwerk Ziviler Beobachter, ein Zusammenschluß von mehr als 30 NGOs, daß Agenten der Migrationsbehörde in den vergangenen drei Wochen Hotels und Herbergen in San Crist-bal de las Casas nach Ausländern durchsuchten, die verdächtigt werden, die EZLN zu unterstützen. Diese würden, nach Feststellung von Namen und Herkunft, aufgefordert, das Land zu verlassen. Tatsächlich verbietet die mexikanische Verfassung allen Ausländern die politische Betätigung im Lande.