Härter arbeiten und mehr gedenken

Asienpfanne Teil II: In Südkorea wird nach zwei Jahren Krise mit den Ellenbogen gegessen

Glaubt man der Wirtschaftspresse, hat sich die Lage in Südkorea normalisiert: Die Aktienkurse steigen, die Landeswährung Won hat fast ihren hohen Stand früherer Zeiten erreicht. Die zunehmende Anzahl von Selbstmorden bei südkoreanischen SchülerInnen, die vom immer noch zunehmenden Streß künden, paßt dazu.

Nur die Dauerkrise beim zweitgrößten Mischkonzern (Chaebol) des Landes, Daewoo, stört diesen Trend: 16 Konzernsparten sollen, so gab ein Sprecher des Unternehmens Mitte August bekannt, in naher Zukunft verkauft werden. Um die drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, soll aus dem Industrie- und Dienstleistungskonglomerat Daewoo ein kleines, niedliches Unternehmen werden, das hauptsächlich Kraftfahrzeuge und das dazu passende Zubehör produziert sowie Möglichkeiten zur Finanzierung anbietet.

Die Krise in Südkorea -eine vorübergehende Erscheinung, oder ist das ostasiatische "Wunder" wie eine Seifenblase geplatzt? Die hochentwickelte materielle wie immaterielle Infrastruktur sowie Qualifikation und Motivation der koreanischen Arbeiter sprechen gegen das Ende des asiatischen Entwicklungsmodells.

Wird jedoch die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin bereit sein, sich der Ideologie des Wachstums um jeden Preis zu unterwerfen - und das auch noch mit deutlich verringerter materieller Kompensation? Oder haben sich durch die Krisenmaßnahmen neue Reserven mobilisieren lassen, die eine modifizierte Fortsetzung des alten Akkumulationsmodus erlauben?

Vorerst deutet vieles darauf hin, daß eine mittelfristige Stabilisierung gelungen ist. Die Arbeiter und Angestellten sind in ihrer Mehrheit bereit, noch härter zu arbeiten, und noch dazu auf einen Teil ihrer in den vergangenen zwanzig Jahren erkämpften Lohnerhöhungen und verbesserten Arbeitsbedingungen zu verzichten. 1998 sind erstmals seit einem Vierteljahrhundert die Nominallöhne gesunken - um real 9,8 Prozent. Die Arbeitsproduktivität in der Industrie konnte hingegen 1997 um 12,9 Prozent und ein Jahr später noch einmal um 13 Prozent gesteigert werden.

Obwohl die Neuordnung der großen Konzerngeflechte, der Chaebols, noch lange nicht abgeschlossen ist, sind die Aktienkurse heute fast wieder so hoch wie vor Beginn der großen Wirtschaftskrise. Der Wechselkurs des koreanischen Won hat sich seit seinem Tief im Dezember 1997 wieder um 75 Prozent erholt. Trotz einer deutlich rückläufigen Entwicklung in den letzten Monaten lag die Arbeitslosenquote Mitte Juli offiziell bei 6,2 Prozent - einer Zahl, die man allerdings fast verdoppeln muß, wenn man sie mit europäischen Zahlen vergleichen will.

Auffällig ist die verbreitete Scheu, die eigene Arbeitslosigkeit zuzugeben. Die Scham über das individuelle Scheitern ist in einer Gesellschaft, in der "Stärke" viel gilt, groß. Ursache dafür ist die massenhafte, überall in der Gesellschaft spürbare Angst, die schon die gesamte kapitalistische Entwicklung Koreas begleitet hat und die nur notdürftig in den Zeiten des Wachstums verdrängt worden war.

So gibt es wenig Solidarität zwischen noch Beschäftigten und Arbeitslosen. Frauen können kaum mit der Solidarität ihrer männlichen Kollegen rechnen, die Zahl der ArbeitsimmigrantInnen ging allein im vergangenen Jahr um ein Drittel zurück. Also eine Rückkehr zur Normalität der Ellenbogengesellschaft - nur noch krasser?

Südkoreas Arbeiter haben weltweit den Ruf, sich für ihre Firma und ihr Land aufzuopfern. Die Entwicklung, die zu diesem Image geführt hat, begann nach dem Einmarsch der US-Armee im September 1945 und fand im Korea-Krieg zwischen 1950 und 1953 ihren schrecklichen Höhepunkt.

In dieser Zeit wurden alle progressiven Bewegungen zerschlagen. Nach dem Militärputsch von Park Chung-Hee 1961 zeigte sich, wie vollständig jeglicher Glauben an eine soziale Alternative im Bewußtsein der Bevölkerung verschwunden war. Die Massen wurde durch Identifikation mit den wirtschaftlichen Wachstumszielen des Staates in eine aggressive kapitalistische Gesellschaft integriert.

Dem Regime des "starken Staates" entsprach auf der Unternehmensebene ein Managementsystem, das als eine Kombination aus Kasernenhofdisziplin und Paternalismus bezeichnet werden kann; dazu gehörte auch die sogenannte Lebenszeitbeschäftigung für die Stammbelegschaften. Der "Erfolg" dieser Politik wurde vor allem im Westen als die "hohe asiatische Arbeitsethik" gefeiert - ohne deren zwanghafte Durchsetzung zu reflektieren.

Das System funktionierte durch die Gleichzeitigkeit von extensiver und intensiver Ausbeutung der Arbeitskraft und der Natur. Die staatliche Planung setzte dabei nicht auf den sogenannten "freien Markt", sondern auf einen selektiven Schutz vor den Einflüssen des Weltmarkts. Resultate waren eine systematische Modernisierung der Wirtschaftsstruktur und langfristige Wachstumsraten, die diejenigen fast aller anderen Länder der Welt übertrafen.

Eine so intensive Ausbeutung war allerdings nicht beliebig lange durchzuhalten. Die harten Kämpfe nach 1987 für eine materielle Kompensation signalisierten bereits die sich abzeichnende Erschöpfung des ursprünglichen Akkumulationsmodus. Materielle Zugeständnisse können zwar eine Zeit lang eine gewisse Loyalitätssicherung erreichen, nicht aber die an Grenzen gestoßene reale Erschöpfung von Mensch und Natur als Ressource wirklich "entschädigen".

Die formaldemokratischen Konzessionen vom Sommer 1987 nährten bei progressiven Intellektuellen wie bei den Arbeitern die Illusion, auf der Grundlage des inzwischen erreichten Entwicklungsstandes der Produktivkräfte könne der bruchlose Übergang zu einem modernen Wohlfahrtsstaat westeuropäischer Prägung erfolgen. Die "Nationale Sicherheitsgesetze" galten jedoch weiter, es wurde noch immer gefoltert, die demokratischen Gewerkschaften waren weiterhin illegalisiert und die Gefängnisse voll mit Menschen, die versucht hatten, Gewerkschaften aufzubauen oder Streiks zu organisieren. Die Enttäuschungen darüber konnten zunächst teilweise verdrängt werden durch die sichtbar wachsende Teilhabe am Wohlstand für einen großen Teil der Bevölkerung. Die Loyalität wurde nun im Gegensatz zu den früheren Phasen nicht mehr nur mit Terror erzwungen, sondern "erkauft".

In dem Maß, wie sich die Folgen des jahrzehntelangen Raubbaus an den lebendigen Kräften der Gesellschaft zeigten, stieg auch der geforderte Preis für die Kompensation. Drei Jahrzehnte lang schien es angesichts der erfreulichen Dynamik der kapitalistischen Entwicklung opportun, dem Standort Korea entgegen den heiligen Prinzipien des Neoliberalismus einen Sonderweg zuzubilligen.

In den neunziger Jahren zeichnete sich jedoch ab, daß dieser Preis nach Weltmarktstandard mittlerweiler zu hoch geworden war. Der Druck der OECD, des IWF und der US-Regierung bei den (seit den achtziger Jahren geführten) Verhandlungen über Liberalisierung und Deregulierung wurde ständig erhöht. Zwar konnte so der Einfluß des Staates zurückgedrängt werden; gleichzeitig wurde er aber damit so geschwächt, daß er nicht mehr in der Lage war, die geforderten Bedingungen durchzusetzen. Teile des lokalen Kapitals und auch die inzwischen kämpferische Arbeiterbewegung widersetzten sich. So konnten die Gewerkschaften durch einen Generalstreik Ende 1996 noch die Deregulierung des Arbeitsmarkts verhindern.

Es bedurfte erst der Finanz- und Währungskrise im Herbst 1997 und der Intervention des Internationalen Währungsfonds, um die Maßnahmen in kürzester Zeit durchzusetzen, mit denen die Regierungen bis dahin gescheitert waren.

Kim Dae-Jung, seit seinem Kampf gegen den Diktator Park Chung-Hee weltweit als aufrechter Demokrat - Eingeweihten aber auch als autoritär und machtbesessen - bekannt, war noch vor dem akuten Ausbruch der Krise mit einer Art von sozialdemokratischem Programm zur Wahl angetreten. Klassische sozialdemokratische Strategien hätten aber eine dauerhafte Beteiligung der Arbeiter an einer steigenden Produktivität vorausgesetzt.

Was von dem Wahlprogramm übrig blieb, ist eine Art neo-sozialdemokratischer Politik: Durch inhaltsleere "Konsens"-Appelle wird die Bevölkerung aufgefordert, die Last der Krise gemeinsam zu tragen. Wer diese "Gemeinsamkeit" durch unangepaßtes Verhalten gefährdet, wird ausgegrenzt. Die Gewerkschaften haben dieser Tendenz wenig entgegenzusetzen, für sie ist es schon schwierig genug, ihre Basis überhaupt zu mobilisieren.

Problematisch ist nicht nur der geringe Organisationsgrad und die immer noch nicht überwundene Struktur der Betriebsgewerkschaften; die Frage ist auch: Mobilisierung wofür? Die Gewerkschaftsführung setzt auf ein verstärktes Gewicht in der Politik: Sie lehnt eine Teilnahme an geplanten Konsensgesprächen ab, strebt dafür aber direkte Verhandlungen mit der Regierung an. Es geht ihr um eine "Teilnahme an der Staatsmacht". Um ihrer Verhandlungsposition Nachdruck zu verleihen, ist die Gründung einer eigenen Arbeiterpartei geplant. Die Orientierung auf die Politik kann die Hilflosigkeit gegenüber dem neoliberalen Rollback ebensowenig verschleiern wie die vielen rhetorischen Drohgebärden.

Manche Kommentatoren hatten bereits in den Arbeiterkämpfen um die Jahreswende 1996/97 Anzeichen für eine neue Kampfbereitschaft gesehen. Doch diese Hoffnung hatte sich schon vor dem Crash als zu optimistisch erwiesen. Die Krise führte nicht zu einer qualitativ neuen Stufe der Kämpfe, im Gegenteil. Dominierend wurde eine Mischung aus Ratlosigkeit und einer wütend-entschlossenen Reaktion zur Rettung der Nation. Dazu paßt, daß Präsident Kim Dae-Jung gerade die Errichtung einer Gedenkstätte für den früheren Militärdiktator Park Chung-Hee verfügt hat.

Die Autoren arbeiten am Institut für sozialökonomische Handlungsforschung (Seari) der Universität Bremen. -

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