Dorf soll schöner werden

Gefährliche Orte LXXI: Die Oranienstraße macht ihr eigenes Quartiersmanagement - "von unten"

Damals, 1981, war die Kreuzberger Welt noch in Ordnung. Silke Fischer, frisch aus Westdeutschland zugezogen, besetzte mit Gleichgesinnten ein Haus an der Anhalter Straße und schuf damit das Kreuzberger Kultur- und Kommunikationszentrum Kukuk, in jenen Tagen Kristallisationspunkt der Besetzerszene. "Es gab hier eine unheimliche Euphorie, die von Leuten getragen wurde, die andere Lebensformen ausprobieren wollten. Man teilte ein Lebensgefühl und trug das auch nach außen." Redet die mittlerweile zweifache Mutter dagegen vom heutigen Kiez, kotzt es in kruden Brocken aus ihr heraus: "Marode, verrottet, Hundescheiße auf der Straße, einfach nur Siff, Scheißatmosphäre, man grüßt sich nicht mehr."

Im Kreuzberg von Silke Fischer "pissen und kacken die Junkies herum und lassen ihre Spritzen überall liegen", ziehen "Leute, die aufgrund von Sprachproblemen keinen Schulabschluß bekommen haben, durch die Gegend und produzieren Scheiße". Die "Instabilität" werde dadurch verschärft, daß immer mehr Deutsche und "gebildetere Türken" wegzögen. Als im Frühjahr auch einige ihrer Freunde und Bekannte ihren Umzug ankündigten, wußte sie, daß es an der Zeit ist zu handeln. "Zur gleichen Zeit fand auf Senatsebene die Diskussion um das Quartiersmanagement statt. Die Idee fanden wir inhaltlich unheimlich gut und wollten das auch hier aufgreifen."

Das Schlagwort "Quartiersmanagement" geistert seit Anfang letzten Jahres durch die Berliner Politik. Damals offenbarte der Sozialstrukturatlas auch den Regierungsverantwortlichen "soziale Belastungen und Polarisierungen" in den Innenstadtbezirken. Die Ursache der zunehmenden sozialen Entmischung war schnell ausgemacht: die Flucht der Mittelschichten. Um diese zu stoppen, sollten Wege gefunden werden, die Lebensqualität in den betroffenen Gebieten zu erhöhen. Dabei belegt zumindest für Kreuzberg eine Studie des Stadtforschungsinstituts Topos, daß die Verarmung kein Wanderungsproblem, sondern hausgemacht ist - seit 1992 sind vor allem jene abgewandert, die sich die Mieten nicht mehr leisten können. Auch der Wegzug von Deutschen ist ein Mythos: Der Ausländeranteil sank bis Ende letzten Jahres von knapp 45 Prozent im Jahre 1992 auf 42 Prozent.

Mit einem Budget von zwei Millionen Mark ausgestattet, wurden Quartiersmanager mit der Aufgabe betraut, Bewohner zur "Wohnumfeldverbesserung" zu mobilisieren. An runden Tischen sollten sich Initiativen, Organisationen, Gewerbetreibende und Privatleute zusammenfinden, um nach Lösungen für die sozialen Probleme zu suchen - unter anderem am Kottbusser Tor, wo sich auch Silke Fischer einfand, als sich die Mitarbeiter des "Quartiersmanagements am Kottbusser Tor" (KonTor) im März vorstellten.

Im Verlauf der folgenden drei Treffen entstand die IG Oranienstraße. "Die Initiative ging von den Gewerbetreibenden aus, weil deren ökonomische Situation in den Keller gegangen ist", sagt Fischer. Da sich die Kaufkraft innerhalb des Viertels nicht erhöhen lasse, seien sich die Beteiligten schnell einig gewesen, daß das Image verbessert werden müsse, um Besucher anzuziehen. Als erste Maßnahme wurde also ein Straßenfest geplant.

Auf dem läuft Silke Fischer nun gestreßt umher, moderiert hier die Modenschau eines Herrenausstatters, streitet dort mit Autofahrern, die eine Absperrung durchbrechen wollen, und ist zufrieden: "Mir persönlich ist es zwar zu voll, aber es ist toll zu sehen, wie wir das hier gemeinsam auf die Beine stellen." Um sie herum ein buntes Treiben, in dem sich Kreuzberg von seiner besten Seite zeigt. Jede Subkultur der letzten drei Jahrzehnte scheint - bei einer deutlichen Überrepräsentanz der achtziger Jahre - einige Delegierte entsandt zu haben. 40jährige Punks, ergraute Autonome, militant gekleidete Rastafaris und grün-alternative Familien schieben sich an diesem sonnigen Samstag zwischen den Ständen mit Wasserpfeifen, Comics und Dildos durch die Oranienstraße. Metallische Rhythmen vom DJ-Pult vor der Schnabelbar, Hindi-Filmmusik aus dem SO 36, die Makabar hat einen Saxophonisten und einen Trommler ins Fenster gesetzt, zu deren Musik eine 80jährige mit Schürze und Einkaufsnetz ekstatisch über den Gehweg tanzt. Der Nachwuchs schnüffelt Helium aus Luftballons der Grünen, manscht mit Ton und sitzt mit offenem Mund vorm "Umwelttheaterstück".

Während den Kleinen die flüchtige Freude der Gesichtsbemalung geboten wird, können sich die Älteren am Stand eines Tattoo-Studios auf Fotos in Pschyrembel-Ästhetik Anregungen für dauerhafte Körperbilder holen. Auf den vier Bühnen wird alles zwischen Reggae, HipHop, Punk und türkischem Hardcore geboten. "Früher haben wir versucht, die Revolution gegen das System zu machen. Jetzt machen wir die Revolution in unseren Herzen und versuchen, das Lachen auf die Straße zurückzuholen", sagt Fischer.

Daher wollen die Beteiligten der IG Oranienstraße auch nach dem Fest aktiv bleiben. Im Gespräch sind unter anderem ein Weihnachtsmarkt und die Gründung eines Ausbildungsverbundes der Kleinbetriebe. Auf Silke Fischers Wunschliste stehen "wirkliche Integration, an der sich auch die Türken und die Arabs beteiligen", und die Beseitigung von Müll, Hundekot und Plakaten. Außerdem sei man "voll dabei, die H-Dealer hier herauszukriegen. Wir wissen ja, wer die sind und gehen dahin und sagen: 'Ey Junge, verpiß dich!'" Wohin? "Das ist mir doch egal. Wir lösen doch nicht die Probleme der Stadt."

"Die IG Oranienstraße ist für mich ein Paradebeispiel, wie Quartiersmanagement funktioniert", sagt Eberhard Mutscheller vom KonTor. "Die Leute kommen zusammen und stellen gemeinsam etwas auf die Beine." Quartiersmanagement könne auch gar nicht mehr sein, als der Versuch, Leute zusammenzubringen, glaubt der Unternehmensberater. "Es ist der Eindruck entstanden, als ob wir alle Probleme lösen könnten. Das ist natürlich nicht so. Wir sind vier Leute mit je einer halben Stelle und können nicht mehr tun, als zu beraten." Ob das Konzept des Quartiersmanagements lediglich Notstandspolitik ist, bei der die Verbesserung der Lebensverhältnisse durch Konfliktmoderation, eine aktive Rolle des Staates durch Privatinitiative ersetzt wird, ist für Mutscheller eine "politische Frage, die man mit dem Stadtentwicklungssenator diskutieren müßte".

Derzeit versuchen er und seine Kolleginnen das Neue Kreuzberger Zentrum, einen riesigen Wohnsilo am Kottbusser Tor, durch einige bauliche Maßnahmen freundlicher zu gestalten, die Schaffung eines Bolz- und eines Spielplatzes anzuschieben und Jugendlichen bei der Suche nach Ausbildungsplätzen zu helfen. Interkulturelle Konflikte sind ihm bei seiner Arbeit ebensowenig begegnet wie Junkies, die das Viertel verunstalten: "Ich sitze öfter bei denen. Die sind nicht nur harmlos, sondern haben sogar angefangen zu fegen und den Müll wegzuräumen, damit man ihnen nicht vorwerfen kann, sie seien dreckig."