Gute Fremde, schlechte Fremde

In der Oberlausitz im sächsischen Dreiländereck lebt man vom Tourismus. Einige Gäste zahlen und wandern wieder über die Grenze nach Hause. Die anderen bezahlen auch und werden dann abgeschoben.

Sieht so eine "national befreite Zone" aus? - Die junge Frau aus Zittau fürchtet, daß diese Einschätzung zutrifft. Der junge Mann aus einer anderen sächsischen Stadt hat Bedenken gegen die Übernahme solcher Parolen, die seiner Meinung nach nur dazu dienen, die Rechtsradikalen aufzuwerten. Beide nehmen am diesjährigen "Grenzcamp" teil und gehören zur ortsansässigen linken Szene.

"Die Menschen sind hier bodenständig und gastfreundlich", heißt es im Touristenfaltblatt über die Gegend. Und: "In der Oberlausitz lebt ein arbeitsamer Menschenschlag, dessen Güte und Herzlichkeit sich oft hinter der derb und poltrig klingenden Oberlausitzer Mundart verbirgt." Eine Warnung soll das nicht sein, sondern die Einladung, im Dreiländereck im Südosten Sachsens Urlaub zu machen. Die Idylle lockt hier auf Hochglanz: Wandern, Berge, Natur, lauschige Dörfer und Städtchen mit historischen Sehenswürdigkeiten. Die Welt ist, glaubt man der Touristenwerbung, hier zwischen Zittau, Löbau, Bautzen und Görlitz noch unglaublich in Ordnung und zudem keineswegs deutschnational verdreckt. In Zittau gibt es eine Internationale Fachhochschule, in Görlitz ein erhaltenes Jüdisches Bad und eine renovierte Synagoge, im Kloster St. Marienthal bei Ostritz Weinberge und ein 1992 eröffnetes Internationales Begegnungszentrum.

Tourismus ist heute die wichtigste Einnahmequelle der Gegend. Gemeinsam mit den benachbarten Ländern Tschechien und Polen hat man ein Konzept "Euroregion Neiße" erstellt und präsentiert die Region, als stünden die Grenzen nur auf dem Papier: Oberlausitz-Niederschlesien, Nordböhmen und die Woiwodschaft Jelenia G-ra in Westpolen. Gemeinsames Werbematerial (in drei Sprachen) wendet sich vorrangig an den deutschen Wanderer, aber vor allem ganz im Süden des Landstriches sind auch Touristen aus Tschechien anzutreffen. Hier ist die Grenze an vielen Stellen fast offen - für Menschen mit weißer Haut und der entsprechenden Aufmachung, die sie als zahlende Gäste ausweist. Gesichtskontrolle auf der tschechischen Seite, nicht einmal das Gepäck wird kontrolliert.

Zittau, seit 1996 große Kreisstadt, hat im Sommer 1999 noch ganze 28 000 Einwohner. Vor zwanzig Jahren waren es noch doppelt so viele. Damals wurde in der Region noch viel Braunkohle abgebaut, und es wurde genäht - die Textilindustrie in der Lausitz beschäftigte vor allem Frauen. Die offizielle Arbeitslosigkeit in der Region liegt 1999 bei etwa 22 Prozent. Ohne den Tourismus würden hier die Lichter ausgehen, die nächtlich das Schinkel-Rathaus und allerlei alte Kirchenbauten anstrahlen. Im neuen Stadtrat, der am 13. Juni des Jahres gewählt wurde, ist die PDS mit sieben Sitzen zweitgrößte Partei nach der CDU (13 Sitze). Dieses Jahr, erzählt Bürgermeister Gerd Arnold mit Stolz, sei in Zittau besonders viel los: die Sächsische Landesgartenschau findet hier statt, und man hat wieder ein großes Stadtfest im Juli organisiert. "Wunderschön" sei das gewesen - bis eben zu jenen Überfällen der Rechtsradikalen.

Während des Festes wurden zwei unterschiedliche Veranstaltungen aus dem alternativen Spektrum von Rechtsextremen aufgemischt - und die örtliche Polizei griff gar nicht oder erst viel zu spät ein. Drei schwerverletzte Personen, diverse Körperverletzungen, Diebstähle und zerstörte Kneipeneinrichtungen waren die Bilanz. Beim zweiten Überfall wurden 31 Angreifer vorübergehend festgenommen. Oberbürgermeister Jürgen Kloß (CDU) geriet in die öffentliche Kritik, weil er zum wiederholten Male das Vorgehen der Rechtsextremen verharmlost haben soll. Und wenn ein Bürgermeistersohn im Umfeld Rechtsradikaler gesehen worden sein soll, mag das keiner so richtig dementieren oder bestätigen.Kleinstadtgeschichten. Hier kennt jeder jeden.

Gerd Arnold wirkt zornig und enttäuscht, denn seiner Meinung nach haben diese Vorfälle dem Ansehen der Stadt nachhaltig geschadet. Das ist für den Tourismus zweifellos von Nachteil. Doch es wäre zu einfach, in solchen Aussagen einzig den Fremdenverkehrsaspekt zu erkennen, den der Stellvertreter des Oberbürgermeisters zwar betont, aber keineswegs allein in den Vordergrund rückt. Die Oberen von Zittau haben am 29. Juli einen Sonderstadtratsbeschluß gefaßt, der immerhin ungewöhnliche Passagen enthält: "In unserer Stadt ist kein Platz für rechtsextremes Gedankengut, aus diesem Grunde wird jeder Art von Rechtsextremismus deutlich eine Abfuhr erteilt", heißt es da. Und: "Der Oberbürgermeister hat zu gewährleisten, daß Fehlleistungen der Stadtverwaltung und der Polizei im Zusammenhang mit dem Stadtfest untersucht und entsprechend abgestellt werden. Die betroffenen Vereine werden um Entschuldigung für das Fehlverhalten gebeten und ihnen wird entsprechende Hilfe bei der Beseitigung der Schäden zugesichert."

Man mag dies verharmlosend finden. Und die angesprochenen Vereine - Alraune e.V., Café Emil und Rosa Power e.V., alle Zittau - haben nicht nur entsprechende Strafanzeigen gestellt, sondern bereits angekündigt, daß sie insbesondere das Verhalten der Polizeiverantwortlichen während der Überfälle nicht hinnehmen werden. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Internationalen Hochschulinstituts der Stadt forderten in einem Offenen Brief Konsequenzen. An der Fachhochschule für Umwelttechniken und Wirtschaftswissenschaften studieren seit 1993 vor allem Studenten aus osteuropäischen Ländern, und was diese Studiengänge auszeichnet, ist das mehrsprachige Angebot (auch polnisch).

Viele der Studentinnen und Studenten haben die rechtsradikalen Überfälle im Juli miterlebt. Seitdem, so einer von ihnen, gehen zumindest diejenigen, die nach eigener Einschätzung "ausländisch" aussehen, abends nicht mehr allein auf die Straße. Zittau und Umgebung haben schon lange einen schlechten, d.h. rechten, Ruf, und der ist durch die Juli-Geschehnisse noch schlechter geworden. Schwul-lesbische Tanzveranstaltungen beim Stadtfest und ein Multi-Kulti-Zentrum können das nicht neutralisieren, und neu ist eben, daß die Rechten mit durchschlagendem Erfolg genau diese Reste von Alternativkultur zum Hochglanztourismus angegriffen haben.

Daß es in der Gegend einige rechtsextreme Aktivisten gibt, die recht rührig agieren, ist ein alter Hut. Ewald Althans erwähnte seine Freunde in Zittau bereits im Film "Beruf Neonazi" mit lobenden Worten. 1992 geriet das Städtchen in die Schlagzeilen, nachdem einer von ihnen während eines bewaffneten Überfalles auf ausländische Jugendliche ums Leben kam. "Unser lieber Freund Holger Müller wurde ermordet" - so steht es auf den NPD-Webseiten im Internet. Die von Müller und seinen Kumpanen Angegriffenen haben sich in diesem Falle gewehrt.

Ebenfalls 1992 wurde der Nationale Jugendblock Zittau e.V. gegründet. Jedes Jahr veranstalten die Rechten in Zittau einen Gedenkmarsch für ihren "lieben Freund", und jedes Jahr beschweren sie sich darüber, daß "linke Terroristen ungehindert" gegen diese Aufmärsche vorgehen könnten. Immerhin 80 000 Mark Fördergelder sollen in die akzeptierende Jugendarbeit im Haus des "Nationalen Jugendclubs" geflossen sein. Man unterhält dort zwei Streetworker. 1993 wurde vor dem Jugendhaus Rosa in Zittau der ebenfalls 18jährige Michael Gäbler erstochen - nachweislich von einem Rechtsextremisten. Und immerhin residiert im Dreiländereck ein Kreisverband der NPD (Löbau-Zittau), der emsig heimatkundliche Pamphlete verteilt - und sich selbstredend von jeglichen Gewalttaten und Überfällen distanziert.

Für eine so kleine Stadt eine beachtliche Liste. Auch im Zusammenhang mit den Taxi-Fahrer-Urteilen - "Einschleusen von Ausländern" - spielt die Oberlausitz eine unrühmliche Rolle. Es war das örtliche Amtsgericht, das 1997 Haftstrafen gegen Taxifahrer verfügte, die "offensichtlich illegal eingereiste Personen" transportiert hatten.

"Die Gastfreundlichkeit der Oberlausitzer und Niederschlesier ist beinahe sprichwörtlich", heißt es im Touristenblättchen. "Ein paar Schritte und schon ist man in den Nachbarländern Tschechien und Polen." Genauso ist es. Im Unterschied zu diesen aber patrouilliert im Nachbarland Deutschland der Bundesgrenzschutz in den Dörfern. Auf offener Straße werden Leute, die irgendwie nicht wie Touristen aussehen, angehalten und müssen sich ausweisen. Und wen der BGS nicht sieht, der muß sich vor den gastfreundlichen Oberlausitzerinnen und Niederschlesiern fürchten. Die Mehrzahl der Flüchtlinge, die über die Grenze kommen, werden nämlich denunziert. Man will hier keine "Illegalen" in den Dörfern. Das aber unterscheidet die Oberlausitz nicht von Hessen, Bayern, Baden-Württemberg oder Niedersachsen oder irgendeiner anderen Gegend, in der man Touristen ausnimmt, Wanderer abschröpft und es ansonsten ganz hübsch aussieht.

In der "Euroregion Neiße" aber ruft der BGS die Bevölkerung zur freiwilligen Mitarbeit auf, und wer nicht pariert, gilt als Schlepper oder Linksradikaler. Anscheinend ist es nicht schwer, rassistische Politik zu fördern, während gleichzeitig der "Fremdenverkehr" subventioniert und gehätschelt wird.