»Die wollen uns hier nicht haben«

In Fürstenberg mag man die "Ravensbrückerinnen" nicht gern. Zum Jahrestag der Befreiung des Frauen-KZ sorgen neue Auflagen der Behörden für Ärger

"So sah das nicht aus, damals", sagt die alte Dame aus Berlin, "nein, so haben wir das nie gesehen. Ja, wir mußten am See vorbeimarschieren auf dem Weg zu Siemens, aber das war ja damals nur ein Trampelpfad." - "Und man kann nicht den See anschauen und die Vögel hören, wenn die Aufseherin mit scharfen Hunden daneben steht." Es ist eine Polin, die sich an die Hunde erinnert. Sie muß um die achtzig sein und trägt Feiertagskleidung. Die beiden Frauen sitzen auf Plastikstühlen neben einem fahrbaren Imbiß und essen bei strahlender Frühlingssonne Pflaumenkuchen. Es ist der 25. April 1999 mittags, 80 Kilometer von Berlin entfernt.

Es gibt Orte, die idyllisch wirken, obgleich es ihnen eigentlich nicht zusteht. Zu diesen Orten zählt das Gelände der Gedenkstätte des Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, das malerisch am Schwedtsee nahe Fürstenberg liegt. Tiefhängende Weiden und Schilffelder vermitteln den Eindruck eines Naturschutzgebietes, und die trotz Verfallserscheinungen immer noch properen Häuschen an der Zufahrtsstraße - Veranden, Gärten, Seeblick - wirken wie schwedische Urlaubsdomizile.

Wie jedes Jahr im April treffen sich hier die Frauen zum Jahrestag der Befreiung. Gertrud Müller, die Ehrenvorsitzende der Lagergemeinschaft Ravensbrück, ist eine kleine drahtige Dame, die Kette raucht. Gerade hat sie eine energische Rede gegen die Nato-Bombardierungen in Serbien gehalten und dafür viel Beifall unter den Zuhörerinnen bekommen.

Auch ein paar jüngere Frauen sind gekommen, viele sogar. Ein paar Männer sind auch dabei, Ehemänner, Freunde, geladene Gäste. Die zum Teil sanierten Häuser an der Straße waren früher SS-Wohnungen. Und wären da nicht die Schilder, die zum Gelände der Gedenkstätte weisen, wären da nicht die hohen, stacheldrahtbewehrten Mauern und der große Parkplatz am See, dann wäre dies ein Ort, der zum Ausruhen und zu fröhlichen Ufer-Gelagen einladen würde. Das Potential hat man in Fürstenberg zu Beginn der neunziger Jahre durchaus erkannt: Die niedlichen Häuser wären sicherlich - hätte man ihre Geschichte ein wenig übertüncht - gut zu vermieten gewesen. Und wo Touristen sind, braucht man auch einen Supermarkt. Der Bau für einen Lebensmittelmarkt war nahezu fertiggestellt, als es 1994 zum Eklat kam. Nicht zuletzt der internationale Protest verhinderte, daß der Plan umgesetzt wurde. Die Supermarktkette erhielt ein Ersatzgrundstück.

Ein nicht ganz voll besetzter Bus ist aus Hamburg gekommen, einer aus Berlin. Der Berliner war morgens um neun Uhr am Alexanderplatz losgefahren. Organisiert haben diese Fahrt die "Berliner Freundinnen der Lagergemeinschaft". Das sind die jungen Frauen hier - alle unter fünfzig, sechzig. Die meisten sind zwischen zwanzig und vierzig. Töchter also und Enkelinnen, und zwar keineswegs nur von überlebenden Häftlingen, sondern meist von Täterinnen und Tätern.

Ein paar Hundert leben noch von jenen Frauen, die hier zwischen 1939 und 1945 drangsaliert, als Zwangsarbeiterinnen für Siemens, Mercedes und andere Firmen geschunden wurden. Insgesamt 130 000 Frauen aus zwanzig Ländern waren hier inhaftiert, viele wurden anschließend in andere Arbeits- und Vernichtungslager deportiert. An die 3 000 von ihnen, Kranke, Zurückgelassene, überlebten bis zur Befreiung durch die sowjetische Armee am 30. April 1945. Viele von ihnen starben noch im selben Jahr an den Folgen der KZ-Haft.

Einige der Frauen, die jetzt zum Jahrestag der Befreiung angereist sind, sind mit ihren Kindern gekommen. Auch während der Ansprachen schreit im Hintergrund ein Baby. Einige der jungen Frauen tragen grellgefärbtes Haar, andere Lederjacken. Unübersehbar handelt es sich bei einigen auch um lesbische Paare. Wären da nicht die vielen alten Damen dazwischen, könnte man vermuten, sich auf einem Kreuzberger Straßenfest zu befinden. Die Jungen hören sich den recht altertümlich summenden Berliner Ernst-Busch-Chor an, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie haben bunte, wilde Blumenarrangements mitgebracht. Die Älteren antworten geduldig auf jede Frage und scheinen sich trotz mancher Befremdlichkeiten über die Anwesenheit der Jungen zu freuen.

Die Gedenkstätte wurde bereits im September 1959 errichtet. Allerdings war ihr Areal begrenzt - der größte Teil der Fläche des ehemaligen Frauen-KZ wurde zu DDR-Zeiten als Garnisonsstützpunkt der Sowjets genutzt. Und in den Häusern mit Seeblick wohnten die dazugehörigen Offiziere, manche mit ihren Familien. Nach deren Rückzug entdeckte Fürstenberg die große Freiheit. Am liebsten hätte man wohl auf die Gedenkstätte ganz verzichtet und ein großes Touristenzentrum gebaut.

Die jüngeren Frauen, die "Freundinnen der Lagergemeinschaft", haben damals protestiert, gemeinsam mit den Überlebenden. Einige von ihnen haben sich intensiv mit der Geschichte des Lagers beschäftigt, viel Zeit in den Archiven verbracht, Filme gedreht, Gespräche geführt. Wenigen Lagergemeinschaften und Häftlingsverbänden ist es gelungen, wie in Ravensbrück, eine Verbindung zu den Jüngeren herzustellen.

Die Gedenkveranstaltung am 25. April - 54 Jahre Befreiung des KZ, 60 Jahre Bestehen - steht unter dem Motto "Widerstand". Gertrud Müller, die Ehrenvorsitzende der ehemaligen Häftlinge, ruft zum Widerstand gegen die Kriegsbeteiligung der Deutschen im Balkan auf. Viele Blumensträuße werden an diesem Sonntag an der Erinnerungsmauer für die Häftlinge aus Jugoslawien abgelegt.

Schnell verbreitet sich nach der offiziellen Veranstaltung unter den Frauen die Nachricht, daß es wieder einmal Schwierigkeiten mit den Behörden gibt. Vor zwei Jahren war der Lagergemeinschaft symbolisch der Schlüssel für eines der ehemaligen SS-Häuser übergeben worden. Hier war ein Gästehaus geplant, das von den Überlebenden und ihren Freundinnen genutzt werden sollte. Die Renovierung ist nun bald abgeschlossen - als Bauherr fungiert das Stadtamt Fürstenberg.

Und just zwei Tage vor der Gedenkveranstaltung erhielt die Lagergemeinschaft einen Brief; die Rechtslage sei klärungsbedürftig. "Die wollen uns hier nicht haben", sagt eine der Überlebenden. "Aber die werden sich an uns die Zähne ausbeißen. So wie mit der Entschädigung."