»Der Ball ist rund« bald nur noch online

Abschied von der Frequenz

Der Hessische Rundfunk hat angekündigt, die Radiosendung »Der Ball ist rund« nur noch bis Jahresende auszustrahlen. Der Moderator Klaus Walter wird bald nur noch online zu hören sein.

Es hätte eine richtig schöne Feier werden können: 2009 hätte »Der Ball ist rund« 25jähriges Jubiläum gefeiert. Doch der Hessische Rundfunk (HR) hat entschieden, eine der letzten anspruchs­vol­len, kommentierten Musiksendungen im kom­men­den Jahr abzuschaffen. Der Aufschrei nach Bekanntgabe dieser Entscheidung war groß, denn »Der Ball ist rund« und sein Moderator Klaus Walter haben viele Freunde, ach was, glühende Verehrer. Schnell wurde eine Protestseite eingerichtet (derballistrund.org), verbunden mit einer Petition, auf der sich innerhalb der ersten Woche über 2 000 Leute eingetragen haben. Hier findet sich alles, was im Kulturleben Rang und Namen hat, Musiker, Künstler, DJs, Filmemacher, Journalisten und Professoren. Aber nicht nur sie. Auch Polarforscher, Rennfahrer und Menschen, die sich selbst als »Arbeiter« bezeichnen, wollen auf Klaus Walter im HR nicht verzichten. Dass sich unter den Unterzeichnern auch viele Schüler und Studenten finden, straft das Argument der Leitung des HR Lügen, »der Ball« sei nicht mehr zeitgemäß. Das Gegenteil ist der Fall. »Der Ball«, wie viele Fans die Sendung im Sinne eines liebevoll Vertrauten abkürzen, ist wahrscheinlich die letzte zeitgemäße Musiksendung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Hier rotiert nicht der gängige Mainstream, sondern Musik aus allen erdenklichen Sparten von Soul bis Indie-Pop wird kenntnisreich vorgestellt, wodurch die Sendung der musikalischen Ausdifferenzierung der Ränder gerecht wird, also jenem Pluralismus, den die meisten Musikfans mittlerweile im Internet und längst nicht mehr im Radio finden. Im Netz bekommen sie, was das Radio nicht mehr spielt: freakigen Folk, nerdi­gen Schrubbelpop, mit verrauchter Stimme vorgetragene Country-Songs und die neueste Wohnzimmer-Electronica aus Manchester, Montreal oder München. Allerdings bekommen sie es nicht so schön kommentiert und klug miteinander verknüpft, wie es all die Jahre bei Klaus Walter der Fall gewesen ist.
Als Walter 1984 auf Sendung ging, war dies für viele die einzige Möglichkeit, überhaupt mit Musik jenseits des Mainstreams in Kontakt zu kommen. »Danke für Hüsker Dü«, schreibt eine Hörerin in ihrer Petition, und viele andere schließen sich an, und nicht nur, weil sie bestimmte Bands durch die Sendung kennen gelernt haben. Ohne Klaus Walter, so lautet der Tenor, wäre ich ein anderer Mensch geworden. Das mag pathetisch klingen, doch wer damals nicht gegenüber vom »SO 36« aufgewachsen ist, sondern im Tau­nus oder in der Pfalz, bekam erst dank dem »Ball« mit, dass es so etwas wie ein Abweichen vom Mainstream gibt, eine musikalische Dissidenz.
Und das soll heute nicht mehr zeitgemäß sein? Die Tatsache, dass inzwischen jeder auf »­myspace.com« die eigenwilligste Musik finden kann, nützt gar nichts, so lange der Benutzer nicht weiß, wonach er überhaupt suchen soll. Hierfür braucht es nach wie vor einen Musik-Junkie wie Klaus Walter, der nicht ohne Grund von vielen Anhängern als »deutscher John Peel« bezeichnet wird. Erst seine Auswahl macht den gro­ßen Indie-Dschungel überschau- und begehbar.

Doch um die Debatte »Internet versus Radio« ging es dem HR erst einmal gar nicht, als er entschieden hatte, die Sendung abzuschaffen. Mit einer radikalen Offenheit, die eine neue Qualität besitzt, verkündete die Programmleitung vielmehr ihren Weg hin zu einem substanzlos populistischen Mainstream-Sender: »HR3 muss sein Programm mehr fokussieren auf die Mitte und den Mainstream und rund um die Uhr durchhörbar sein. Ball und Rebell passen nicht mehr zu HR3.« Ein perfides, wenngleich wohl unfreiwilliges Wortspiel: Mit »Rebell« ist nicht der musikalische Rebell gemeint, sondern Volker Rebell, ein weiterer altehrwürdiger HR-Moderator, der seine Koffer packen muss.
Verzichten müssen wir auf Klaus Walter künftig dennoch nicht. Seit Anfang des Jahres produziert er wöchentlich Sendungen für das Hamburger Internetradio byte.fm. Und zwar ehrenamtlich, wie Selbstausbeutung vornehm heißt, zuhau­se vom eigenen Tonstudio aus. Mit Euphorie engagiert er sich für diesen noch jungen, von Ruben Jonas Schnell gegründeten Sender und hofft, dass er ein Auffangbecken für all jene Moderatoren werden kann, die bei den Öffentlich-Rechtlichen keine Chance mehr haben. Damit wird allerdings das ästhetische Problem zu einem ökonomischen. Natürlich muss niemand den so genannten Dudelfunk im Radio beklagen, wenn es auch künftig großartige Sendungen von Klaus Walter im Netz geben wird. Aber wer zahlt die Rechnung? Wie lan­ge wird ein hoch­qualifizierter Moderator ohne Honorar durchhalten können? Nicht ganz unwich­tig ist dabei allerdings auch die Frage, wie es um den Kulturauftrag der Öffentlich-Rechtlichen und die dafür erhobenen Rundfunkgebühren bestellt ist.
Möglicherweise war Klaus Walters Engagement für byte.fm den Verantwortlichen beim HR von Anfang an ein Dorn im Auge und vor ­allem eine willkommene Legitimation, ihn ab­zusägen – schließlich hat er ja einen neuen Sendeplatz. Davon abgesehen wird diese Entscheidung, die innerhalb der gegenwärtigen »Umstrukturierung« der Medien kein Einzelfall ist, als ökonomische langfristig auch ästhetische Folgen haben. Je mehr kulturell Hochwer­tiges in den Bereich des Un- oder Unterbezahlten abgedrängt wird, desto wahrscheinlicher ist auch dort ein Qualitätsverlust. Wer kennt sie nicht, die stammelnden Nerds im Freien Radio, die beim Kommentieren ihrer Reggae-Sendung noch bekiffter wirken als die Bands, deren Musik sie spielen? Moderatoren mit dem Profil eines Klaus Walter werden auf diese Weise erst gar nicht mehr herangezogen.
Seit einigen Jahren bietet der HR seine Sendun­gen auch als Live-Stream im Netz an. Aber mal abgesehen von hessischen Exilanten, die hin und wieder gerne die Songs von DJ Ötzi mit heimischem Lokalkolorit anmoderiert hören wollen, wird es wohl kaum jemanden geben, der sich dieselbe Musik im Netz anhört, die sowieso täglich aus seinem Küchenradio kommt, ob dieses nun in Augsburg, Cuxhaven oder Dresden angeschaltet wird. Eine Sendung wie den »Ball« findet man jedoch bundesweit in keinem Küchenradio, und sie ist deswegen wohl auch das einzige HR-Format, das über die hessischen Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Ein derartiges Allein­stellungsmerkmal abzuschaffen, dazu gehört schon eine gehörige Portion Provinzialität.

Dass die Petition gegen die Abschaffung der Sendung in der HR-Leitung noch irgendein Umdenken bewirken wird, ist unwahrscheinlich. Als 2004 die Sendung »Schwarzweiß – Musik in ­Farbe« beim HR1 abgeschafft werden sollte, wo Klaus Walter ebenfalls Moderator war, sammelte die Initiative »Rette dein Radio« Tausende Stimmen. Allerdings ohne Erfolg. Der »Niedergang zum Schnarch- und Schunkel-Sender«, wie die Frankfurter Rundschau die Entscheidung damals kommentierte, war bereits beschlossene Sache. Eine Sendung, in der Popmusik als Stoff so ernst genommen wird, dass dort auch mal einstün­dige Spezialsendungen über das New Yorker »DFA«-Label ausgestrahlt wurden, ist den Programmdirektoren in jeder Hinsicht zu viel ge­wesen. Sie konnten mit dem Format nichts anfangen. Für den Pop-Sender HR3 war das zu ­anspruchsvoll, aber auch in den Kultursender HR2 hätte man dies schwerlich abschieben können, denn Musik jenseits eng gesteckter E-Kriterien, so scheint es, hat nach Ansicht der Sende­leitung nichts mit Kultur zu tun. Im Gegensatz zu Hörspiel, Neuer Musik und Jazz haftet der ­Musik, die Klaus Walter und seine Kollegen und Kolleginnen bei »Schwarz­weiß« spielten, wohl noch immer das Image des Irrelevanten an: für Pop zu schwer zugänglich, für Kultur zu poppig. Hätten Rundfunkdirektoren schon immer so getickt, wären Bob Dylan und Jimi Hendrix wohl bloße Insider-Tipps geblieben.
»Durchhörbar« sollen sie nun werden, die ganzen Sender des HR. Und dies »rund um die Uhr«. Das hört sich nach Durchfall an: rund um die Uhr flüssig. Und es unterstellt, dass Townes Van Zandt, The Go-Betweens, Peaches oder Will Oldham eine schrecklich undurchhörbare Musik absondern, die bei den meisten Menschen da draußen nichts als Ohrensausen hervorruft.
Der HR erklärt seine Hörer zu unmündigen Dep­pen, die bei allem, was sich nicht wie von Timbaland produziert anhört, den Sender wechseln. Ob­wohl der Programmleitung nicht entgangen sein dürfte, dass in »Der Ball ist rund« auch Stücke von Madonna und Missy Elliott gespielt werden, also durch und durch »durchhörbare« Musik. Der Unterschied zum Formatradio besteht allerdings darin, dass Klaus Walter diese Musik ernst nimmt. Ein weiteres Sakrileg. Denn nach der »Umstrukturierung« des Senders, so ist zu befürchten, wird zwar bei HR3 rund um die Uhr Musik von Britney Spears bis Herbert Grönemeyer laufen, dies jedoch als rein akustischer Kitt, als Quoten erheischender Zeittotschläger. Mit Widerwillen und Desinteresse werden Moderatoren dort künftig Musik spielen, ohne dass ihnen irgendetwas an Musik gelegen ist.