Die AfD betreibt Wahlkampf als Volkstumskampf

Keine Rente im Volkstumskampf

Die AfD könnte dieses Jahr in mehrere Landesparlamente und in den Bundestag einziehen. Die Flügelkämpfe in der Partei halten indes an.

Im Wahljahr 2017 entscheidet sich, ob die »Alternative für Deutschland« (AfD) sich bundesweit parlamentarisch etabliert. Die Landtagswahlen im Saarland Ende März werden ebenso wie die im Mai in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zeigen, wie die Rechtspopulisten im Westen der Bundesrepublik abschneiden. Dass die AfD im September in den 19. Deutschen Bundestag einziehen wird, gilt als so gut wie sicher. Unklar ist, welche Kandidaten die Partei repräsentieren werden. 
2017 dürften sich auch die Kräfteverhältnisse innerhalb der AfD klären. Der konservativ-nationalliberale Flügel um den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen gilt wegen der Turbulenzen in der von ihm glücklos geführten baden-württembergischen Landtagsfraktion als geschwächt. Die völkischen Sozialpopulisten um Alexander Gauland und Björn Höcke treten dagegen auch in der Öffentlichkeit immer selbstbewusster auf. Zusammen mit der unter anderem von den Publizisten Götz Kubitschek (Sezession) und Jürgen Elsässer (Compact) gegründeten neurechten Initiative »Ein Prozent« riefen Gauland und Höcke anlässlich des Berliner Terroranschlags medienwirksam zu einer »Mahnwache« vor dem Kanzleramt auf. Auf größeren Publikumszuspruch mussten die Organisatoren jedoch verzichten, Gegendemonstranten und polizeiliche Auflagen verhinderten den großen Auftritt. »Berlin ist komatös, leprös, verfault. Erst wenn die Ostdeutschen eines Tages auf die Hauptstadt marschieren, wird es anders werden«, schäumte daraufhin der Compact-Herausgeber Elsässer.
Dieser Tonfall gibt einen Vorgeschmack auf den anstehenden Wahl- und Kulturkampf. Tatsächlich ist die AfD vor allem in den neuen Bundesländern als parlamentarischer Arm der Volksfront von rechts erfolgreich. Die Wähler- und Mitgliedschaft werden dabei vor allem durch die gemeinsame Feindschaft gegen die »Altparteien« und deren »Willkommenskultur« zusammengehalten. Die Stärke der AfD in aktuellen Umfragen täuscht über die Konflikte in der Partei hinweg. Neben auch persönlich motivierten Machtkämpfen um die Bundessprecherin Frauke Petry sorgen neurechte Einflüsse für Schlagzeilen. Meuthens Eintreten für eine »staatlich erzwungene private Vorsorge« in der Rentenpolitik verdeutlicht zudem die sozialpolitische Schwäche der AfD.
Vorerst überlagern parteiinterne Skandale die politischen Sachthemen. Im Saarland werden die Wahlen beispielsweise von einem Landesverband organisiert, der seit seiner Gründung im Jahr 2013 den Ruf der Bundespartei beschädigt. Wegen der Offenheit nach ganz rechts sollte der saarländische Landesverband sogar aufgelöst werden. Das Bundesschiedsgericht der AfD entschied sich Ende Oktober gegen die Auflösung. Die Affäre schwelt jedoch weiter. Als unter anderem darüber berichtet worden war, dass der saarländische Spitzenkandidat Rudolf Müller in seinem Antiquitätengeschäft auch NS-Devotionalien verkauft haben soll, forderten die AfD-Bundessprecher Petry und Meuthen den Landesverband auf, nicht zur Wahl anzutreten. Neben Baden-Württemberg kündigt sich also mindestens eine zweite Fraktion an, die parlamentarische Chaostage aufführen könnte. 
Dort erregt die AfD nicht durch parlamentarische Initiativen Aufsehen, sondern durch Zerwürfnisse. Mit den Worten »Die sind krasser als die NPD« verließ vor Jahresende die Landtagsabgeordnete Claudia Martin Partei und Fraktion. In der Fraktion zirkulierte nach Berichten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Arbeitspapier zur Flüchtlingspolitik, demzufolge Geflüchtete nach »ethnisch homogenen Gruppen« sortiert und in »Sonderlagern« kaserniert werden sollen. Es ist bezeichnend, dass die AfD nach Angaben der FAZ fast zur gleichen Zeit ein Strategiepapier verabschiedet hat, wonach die Rechtspopulisten die »Altparteien« mit »sorgfältig geplanten Provokationen« vor sich hertreiben wollen. Dabei wirkt die AfD angesichts ihrer parteiinternen Querelen oftmals wie eine Karikatur der »Altparteien« und deren Postenvergabe.
Ein Musterbeispiel für diesen Stil bietet der nordrhein-westfälische Landesverband, der von dem Europaabgeordneten Marcus Pretzell geführt wird. Bei der Aufstellung zum Spitzenkandidaten erhielt Pretzell, der im Dezember Petry geheiratet hat, lediglich 217 von 400 Stimmen. In den »Altparteien« wäre dies ebenso ein Grund für einen Rücktritt wie die Vorwürfe, es habe im Umfeld Pretzells Absprachen bei der Auswahl und Verhinderung von Kandidaten für die Landtagswahlen gegeben.
Noch sieht die Wählerschaft der Partei über derlei hinweg. Gerade in Nordrhein-Westfalen wird sich zeigen, ob die anfangs als neoliberale Professorenpartei geschmähte AfD weiter in die einstigen Hochburgen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften vordringt. Kompetentes Personal hat die Partei jedoch nicht. Der als proletarischer Hoffnungsträger gehandelte Gewerkschafter und ehemalige Sozialdemokrat Guido Reil, der als Steiger im letzten Bergwerk des Bundeslands arbeitet, kam bei der Aufstellung der Kandidaten nur auf Listenplatz 26. Eine »Arbeiterpartei« für das bevölkerungsreichste Bundesland ist die AfD ihren Kandidaten nach zu urteilen nicht.
Das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt jedoch, dass neurechte Ideologen nicht nur in den neuen Bundesländern das Wort führen. Ende Oktober polemisierte Martin Renner, neben Pretzell Landessprecher der Partei, auf der Homepage des Verbands gegen die »Freibeutergesellen« der Kanzlerin. Der raunende Duktus wirkt, als hätte Renner Reden und Texte von Höcke oder Elsässer collagiert. Renners Schmähschrift gegen die »nunmehr 70 Jahre währende identitätszerstörende und linksideologische Indoktrination« hätte, wenn sie etwas feiner formuliert worden wäre, auch in Kubitscheks Sezession erscheinen können. Von der »Umerziehung« durch die »neomarxistische Frankfurter Schule« bis hin zur Klage über die »Zuwanderungsflut« und den »linken Hass auf das Eigene« fehlt kein Topos rechter Kulturkritik. Im Gegensatz zu den baden-württembergischen Plänen klingt Renners Forderung nach »legitimen Rückführungsprogrammen« eher nüchtern. Für das migrantisch geprägte Nordrhein-Westfalen bietet Renner den Entwurf einer chauvinistischen Leitkultur: Die »Überlegenheit unserer abendländischen Kultur« müsse wieder »zum Zielpunkt unserer Bildungsvermittlung« werden.
Auffällig ist, dass in Texten wie dem Renners konkrete Vorschläge zur Sozialpolitik fehlen. Der Volkstumskampf überlagert die soziale Frage. Das ist kein Zufall, herrscht hier doch keine Einigkeit. Gerade die Rentenpolitik zählt zu den Reizthemen zwischen Sozialpopulisten und Wirtschaftsliberalen. »Zugegeben, die AfD hat noch kein fertiges Rentenkonzept vorgelegt«, musste Petry deshalb auch Anfang Oktober in dem von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geführten Streitgespräch mit Sahra Wagenknecht zugeben. 2017 wird sich entscheiden, ob die AfD ein deutsches Pendant zum Front National wird oder sich als rechtskonservative FDP präsentiert. Wahrscheinlich ist, dass die vermeintlichen Liberalen um Meuthen, der glücklos zwischen Ordoliberalismus und Opportunismus changiert, sowohl politisch als auch programmatisch scheitern werden.
Das Wort führen in der AfD derzeit die extremen Rechten. Renner macht sich in seinem für die politische Ausrichtung der Partei symptomatischen Text keine Illusionen über das Konfliktpotential seiner Offensive gegen den »linken, sozialistischen und kollektivistischen« Zeitgeist. »Wir werden als ›Alternative für Deutschland‹ politische Konzeptionen entwickeln, die – auch innerhalb der AfD – heftig umstritten sein werden«, schreibt er. Doch Austritte wie der von Claudia Martin dürften die Ausnahme bleiben. Renners Anrufung des »Abendlandes« verbindet die Professoren und Prekarier, die die »Kanzlerdiktatorin« (Alexander Gauland) im Wahljahr 2017 aus dem Amt schaffen wollen. Deshalb wird die AfD bis September nicht nur einen Wahl-, sondern vor allem einen Volkstumskampf führen.