Antisemitische Aufmärsche gegen den Krieg in Gaza

Salam, Qassam!

In Deutschland wird gegen den Krieg in Gaza protestiert. Der Unterschied zwischen Friedensdemonstrationen und antisemitischen Aufmärschen ist dabei kaum auszumachen.

Die Szenerie war geradezu bizarr: 10 000 Menschen waren am vergangenen Samstag in Duisburg dem Aufruf zu einer Demonstration mit dem Titel »Stoppt den Krieg in Gaza!« gefolgt. Die »Islamische Gemeinschaft Millî Görüs«, die wegen ihrer islamistischen Programmatik vom Verfassungsschutz beobachtet wird, hatte zu ihr aufgerufen. In der Innenstadt kam der Aufzug an einem Wohnhaus vorbei, dort hingen in zwei Fenstern im dritten Stock Israel-Flaggen. Die Demonstranten riefen: »Kindermörder Israel!« Manche warfen Schneebälle, Messer und Steine gegen das Gebäude, einige Jugendliche versuch­ten sogar, das Haus zu stürmen. Die Polizei drang schließlich in die Wohnung ein und entfernte die Fahnen unter dem Jubel der Demons­tranten. Ihre Maßnahme begründete sie später damit, sie habe die aufgeheizte Situation »deeskalieren« wollen.

Ähnliches geschah am vergangenen Wochen­ende auch in anderen deutschen Städten. In Mainz beispielsweise machten die Teilnehmer einer anti­israelischen Kundgebung unter Rufen wie »Ihr Judenschweine!« Jagd auf Gegendemons­tranten, die Israel-Flaggen gezeigt hatten. Ein Polizeisprecher gab jedoch letzteren die Schuld: Dem Südwestrundfunk sagte er, das Zeigen von isra­elischen Flaggen sei eine »Provokation« gewesen, weil es sich bei den Trägern der Fahnen gar nicht um Israelis gehandelt habe.
In Berlin zogen etwa 7 000 überwiegend palästinensische Demonstranten durch den Stadtteil Mitte, Augenzeugen zufolge entboten ungefähr 100 von ihnen gegen Ende des Aufzugs den »Hitlergruß« und riefen: »Juda verrecke!« In Hannover wurde während einer Demonstration, an der etwa 3 000 Menschen teilnahmen, unter lautem Applaus eine israelische Fahne verbrannt und »Tod, Tod Israel!« sowie »Juden raus!« gerufen. Auch dort zeigten einzelne Teilnehmer den »Hitlergruß«, die Polizei sah aber offenbar keinen Grund einzuschreiten.
Diese Beispiele sind nur eine kleine Auswahl. Seit dem Beginn der Operation »Cast Lead«, mit der sich die israelische Armee gegen den Raketenterror der Hamas zur Wehr setzt, gab es in Deutschland Dutzende antiisraelischer Demons­trationen. Organisiert werden sie zumeist von palästinensischen und islamischen Vereinen und Verbänden, ihre Teilnehmerzahlen liegen nicht selten im vier-, manchmal sogar im fünfstelligen Bereich. Auf kaum einer dieser Kundgebungen fehlten Transparente oder Pappschilder, auf denen Israel unterstellt wurde, einen »Holocaust an den Palästinensern« zu verüben. Auch Sprechchöre wie »Kindermörder Israel« und »Intifada bis zum Sieg« sind obligatorisch. Etliche Demons­tranten führten zudem Porträts von Hamas- oder Hizbollah-Größen mit sich und schwenkten Fahnen dieser Organisationen. Kundgebungen, die als »Friedens-« oder »Antikriegsdemonstrationen« angekündigt werden, entpuppen sich regelmäßig als aggressive, antisemitische Massenaufmärsche von Hamas-Anhängern. Wer gegen sie protestiert, muss um seine körperliche Unversehrtheit bangen.
Pro-israelische Demonstrationen sind dagegen äußerst selten. Am vergangenen Wochenende gab es sie in Köln, Frankfurt, München und Berlin, keine von ihnen kam auf mehr als 1 500 Teilnehmer, in Köln waren es sogar nur etwa 100. In allen Fällen musste die Polizei die Demonstranten außerdem vor antiisraelischen Anfeindungen schützen. Große Kundgebungen wie in London, wo nach Schätzungen der Veranstalter ungefähr 15 000 Menschen ihre Solidarität mit dem jü­dischen Staat zeigten, scheinen hierzulande undenkbar.

Was aber ist mit den Linken und den Friedensbewegten? Zu etlichen Demonstrationen gegen ­Israel riefen auch sie auf oder beteiligten sich an ihnen. Gelegentlich hielt dort zudem einer von ihnen eine Rede, wie etwa Norman Paech, der außenpolitische Sprecher der Linkspartei. Anfang Januar bezeichnete er auf einer Demonstration in Hamburg die Operation »Cast Lead« als einen »von langer Hand vorbereiteten Angriff«. Die ­israelische Politik sei »kriminell« und habe nun zu einem »Massaker unter der palästinen­sischen Bevölkerung im Gaza-Streifen« geführt. Dieser »barbarische Akt« sei »durch kein Recht auf Selbstverteidigung oder Notwehr legitimiert«. Überhaupt gebe es für Israel »kein Recht auf Verteidigung, sondern nur die Verpflichtung, die Besatzung vollständig aufzuheben«, während die Palästinenser, »wie jedes Volk ­unter rechtswidriger Besatzung«, ein »Recht auf Widerstand« hätten. Die Hamas habe eine Waffenruhe angeboten, doch Israel sei dazu nicht bereit gewesen, weshalb man den Beschuss mit Qassam-Raketen verstehen müsse: »Wer eine Politik der Strangulierung und Entwürdigung verfolgt, darf sich nicht wundern, wenn aus der Verzweiflung und Ohnmacht der Opfer Terrorakte entstehen, die die israelische Bevölkerung in der Nachbarschaft des Gaza-Streifens treffen.«
Ähnlicher Meinung war Udo Steinbach, der Islamwissenschaftler und ehemalige Leiter des Deutschen Orient-Instituts, auf den sich auch Linke gerne berufen. Auf einer vom »Islamischen Kulturverein Hadara« organisierten Kundgebung in Marburg »gegen die israelischen Massaker in Gaza« sagte er: »Die Raketen der Hamas reichten erst 20 Kilometer weit, dann reichten sie 40 Kilometer weit, und jetzt reichen sie 60 Kilometer weit. Es ist klar: Eines Tages wird auch Tel Aviv bedroht sein können.« Diese Aussicht freute die Demonstrationsteilnehmer so sehr, dass sie Steinbach frenetischen Applaus spendeten, worüber dieser sich sichtlich freute, wie in einem Youtube-Video erkennbar ist. Zuvor hatte Steinbach bereits in einem Interview in den »Tagesthemen« Israels »Untergang« prophezeit. »Am Ende sind sie es vielleicht selbst, die ein bitteres Ende zu ertragen haben werden«, sagte Steinbach über die Israelis, denn die »arabischen Massen« stünden auf der Seite der Palästinenser und der geballte Volkszorn könne sich gegen Israel richten.
Auch auf der traditionellen »Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Demonstration«, die am Sonntag in Berlin stattfand, war der Gaza-Krieg das beherrschende Thema. Es gab sogar einen eigenen »Palästina-Block«, der den »Widerstand gegen den israelischen Staatsterror und seine Unterstützung durch die Bundesregierung« entfachen wollte. Bereits die vorangegangene »Rosa-Luxemburg-Konferenz« war zu einer einzigen Palästina-Solidaritätsveranstaltung und zu einem Tribunal gegen Israel geworden. Der italienische Philosoph Domenico Losurdo beispielsweise sprach unter dem Beifall der 1 600 Teilnehmer von einem »barbarischen Einsatz der israelischen Kriegsmaschinerie«, der das »palästinensische Volk« »heldenhaft« widerstehe. »Die Solidarität mit dem Märtyrervolk unserer Tage schlechthin ist ein wesentliches Element des Internationalismus«, befand er weiter. Und Sara Flounders vom »International Action Center« in New York forderte: »Wir müssen die Intifada zu uns nach Hause bringen und eine Kampagne zum Boykott Israels starten.«

Ansonsten äußern sich linke und friedensbewegte Gruppierungen vor allem schriftlich. Das »Netzwerk Friedenskooperative« etwa verlautbarte in einer Pressemitteilung, die Terrorgruppen Hamas und Hisbollah sowie »Staaten wie Syrien und Iran« müssten »in Friedenslösungen eingebunden« werden. Die »Friedenskooperative« vertreibe »als Symbol dafür Friedensfahnen mit der hebräisch/arabischen Aufschrift ›Shalom/Salam‹«. Ihr Sprecher Manfred Stenner ließ zudem wissen: »Ohne Dialog geht es nicht! Der Versuch, mit militärischen und zudem unverhältnismäßigen Mitteln eine ›Lösung‹ herbeibomben zu wollen, bewirkt das Gegenteil.«
Hans Christoph Stoodt wiederum, Pfarrer und Sprecher der Frankfurter »Anti-Nazi-Koordination«, nannte einen Aufzug in Frankfurt, auf dem eine israelische Fahne verbrannt worden war und antisemitische Parolen wie »Kindermörder Israel« gerufen worden waren, in einem Interview mit der Tageszeitung Junge Welt »eine der größten Friedensdemonstrationen der vergangenen Jahre«. Israel warf er vor, einen »Angriffskrieg« zu führen und damit erst den Antisemi­tismus zu schüren. Tags darauf ging die Junge Welt – die den Terror der Hamas als »Widerstand« gegen Israel feiert – noch einen Schritt weiter und druckte die deutsche Übersetzung ­eines Beitrags ab, den Khaled Meshaal, der Leiter des Politischen Büros der Hamas, zuvor in der englischen Tageszeitung The Guardian veröffentlicht hatte.
Auf die Idee, den Terror der Hamas gegen Israel und die Demonstrationen ihrer Anhänger in Deutschland und Europa als antisemitisch zu bezeichnen, kommt dagegen niemand. Im Gegenteil beteiligen sich Linke und Friedensbewegte vielfach auch noch an den wohl größten judenfeindlichen Aufmärschen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und nicht einmal hinterher kommt ihnen ein Wort der Distanzierung über die Lippen. Zwar betont man bisweilen so routiniert wie großzügig, der jüdische Staat habe ein »Existenzrecht«. Wenn er dieses aber – wie im Gaza-Streifen – auch militärisch verteidigt, handelt er sich mindestens den Vorwurf der »Unverhältnismäßigkeit« ein, wenn nicht gleich von »Massakern« oder einem »Völkermord« die Rede ist. Die muslimischen und palästinensischen Demonstranten hingegen, die zu Holocaust-Vergleichen greifen und Israel nichts als Tod und Verderben wünschen, können nicht nur mit Verständnis rechnen, sie erfahren auch noch Unterstützung durch ihre deutschen Bündnispartner.