Indien will gegen islamistische Camps in Pakistan vorgehen

Auf der Spur der Erdnüsse

Indische Politiker und Medien machen Pakistan für die Anschläge in Mumbai verantwortlich. Über das Versagen von Polizei und Geheimdiensten wird kaum geredet.

Als »Indiens 11. September« bezeichnen die meisten Tageszeitungen des Landes die dreitägige Terrorserie in Mumbai im November vergangenen Jahres. Der islamistische Angriff traf das Land jedoch nicht gerade in Zeiten des inneren Friedens. In Kaschmir und im Nordosten des Landes kämp­fen etliche Separatistengruppen für Unabhängigkeit, in 15 der 23 Bundesstaaten sind maoistische Gruppen aktiv, Islamisten überziehen das Land seit Jahren mit einer Serie von Bombenattentaten, im vorigen Jahr zogen extremistische hindu-nationalistische Gruppen nach und töteten mit einer Bombe sechs Menschen.
Trotz einer gewissen Gewöhnung an politische Gewalt und Bombenattentate hat die Terrorserie in Mumbai die Bevölkerung verunsichert. In den ersten Wochen nach den Anschlägen richtete sich die Kritik vor allem auf die indische Regierung und die ineffizienten Geheimdienstbehörden. Doch stand bereits unmittelbar nach dem Attentat für die Massenmedien, die Regierungskoalition und die Opposition die Beteiligung offizieller pakistanischer Stellen fest.
Diejenigen, die an der von der Kongress-Partei geführten Regierung der United Progressive Alliance (UPA) Kritik hatten, vermochte Premierminister Manhoman Singh gekonnt mit innenpolitischen Reformen und aggressiver Rhetorik gegen Pakistan zum Schweigen zu bringen. So wurde einige Tage nach den Attentaten der Innenminister abgesetzt und mit einem eilig erlassenen Gesetz eine zentrale Behörde geschaffen, die für terroristische Straftaten in ganz Indien zuständig ist. Der Unlawful Activities (Prevention) Act wurde verschärft, fortan ist es Sache des Angeklagten, seine Unschuld zu beweisen. Verdächtige können 30 Tage in Polizeigewahrsam und 180 Tage in Untersuchungshaft gehalten werden, bevor sie einen Anwalt kontaktieren dürfen.
Immerhin verhinderte die Intervention von Men­schenrechtsgruppen, dass Aussagen, die ausschließlich vor Polizeibeamten gemacht werden, vor Gericht verwertbar sind. Somit sind auch alle bisherigen Angaben Mohammad Ajmal Amir Kasabs, des einzigen überlebenden Attentäters von Mumbai, juristisch wertlos. Dass sie unter Folter gemacht wurden, bezweifeln die wenigsten Kommentatoren indischer Zeitungen. Große Empörung blieb bislang allerdings aus.

Obwohl die Ineffizienz des korrupten Polizei- und Geheimdienstapparats, der unter anderem Warnungen der CIA ignorierte und Polizisten mit veralteten Flinten in den Kampf schickte, offensichtlich war, wird keine abschließende Untersuchung der Versäumnisse stattfinden. Auch dies löste keine Empörung aus, die öffentliche Aufmerk­samkeit in Sachen Terrorismus gilt derzeit voll und ganz Pakistan.
Anfang Januar übergab Indien der pakistanischen Regierung und Diplomaten einiger ausgewählter Staaten ein 180seitiges Dossier. Detailliert wird darin der Ablauf der Attentate nachgezeichnet. Informationen über Ausbildungslager in Pakistan und Namen der Drahtzieher der Lashkar-e-Taiba (LeT) lieferte Kasab. An den Tatorten gefundene Milchtüten, Erdnusspackungen und österreichische Handgranaten der Firma Arges, die in Pakistan produziert wurden, lassen wenig Zweifel an der Herkunft der Attentäter.
Angesichts der nachgewiesenen Unterstützung islamistischer Gruppen in Kaschmir durch den pakistanischen Geheimdienst ISI ist nicht auszuschließen, dass einzelne pakistanische Geheimdienstler Kenntnis von den Attentatsplänen hatten oder sogar logistische Hilfe leisteten. Der Bericht liefert aber keine Beweise für eine Verwick­lung des ISI oder anderer offizieller Stellen. Doch die meisten Inder teilen die Ansicht des Ma­rinekommandanten Admiral Sureesh Meshta. »Die Pakistanis sagen, dass keine Behörde beteiligt war«, sagte Meshta in der vorigen Woche. Doch habe es zumindest indirekte Unterstützung gegeben. »Wie auch immer, Tatsache bleibt, dass ein Staat die Verantwortung trägt für nichtstaatliche Akteure, die aus ihm hervorgehen.«
Die Regierung der UPA hofft, dass internationaler Druck Pakistan zur Auslieferung einiger Terrorverdächtiger zwingen kann. Eine Konfrontation der beiden Atommächte, die einen Abzug pakistanischer Truppen von der afghanischen Gren­ze zur Folge hätte und die Regierung von Prä­sident Asif Zardari weiter destabilisieren würde, liegt nicht im Interesse der USA und der EU-Staaten. Die Drohungen mit einem Krieg sollen die westlichen Regierungen dazu bewegen, in Pakistan auf eine Auslieferung zu drängen.
Die Regierung Zardaris ließ mehr als 120 Verdächtige verhaften, setzte in der vergangenen Woche eine Untersuchungskommission ein, sicher­te Indien volle Kooperation zu und forderte gleich­zeitig, das »blame game« einzustellen. Doch der Sprecher des Innenministeriums, Rehmann Malik, sagte, dass kein pakistanischer Staatsbürger ausgeliefert werde: »Kein Land kann uns unsere Vorgehensweise diktieren.«

Von den USA kann Indien allenfalls Vermittlungs­bemühungen erwarten. Der Besuch des britischen Außenministers David Miliband Mitte Janu­ar versetzte gar »ganz Indien in Bestürzung und Wut«, resümierte die Tageszeitung The Hindu. Miliband mahnte, den Kaschmir-Konflikt zu lösen, und appellierte an die indische Regierung, von mi­litärischen Maßnahmen abzusehen. Vor allem der Verweis auf Kaschmir erzürnte die Politiker. »Kaschmir mit Mumbai in Zusammenhang zu bringen, direkt oder indirekt, ist völlig unhaltbar. Es schwächt die Einheit und die Integrität im Kampf gegen den Terror«, sagte Abhishek Singhvi, Sprecher der hindu-nationalistischen BJP. Sein Parteikollege Ravi Shankar Prasad schrieb die man­gelnde Analysefähigkeit des 48jährigen britischen Ministers dessen »Jugend und mangelnder Erfahrung« zu und ist sich in diesem Punkt mit dem Sprecher des indischen Außenministeriums, Vishnu Prakash, einig.
Offenbar halten die indischen Politiker den Kon­flikt bereits für beendet. Die Wahlen im Bundesstaat Kaschmir im Dezember verliefen ruhig, vor allem wohl, weil die Mehrheit der Bevölkerung ruhigere Verhältnisse wünscht. Die meisten militanten Gruppen riefen zwar zum Wahlboykott auf, verzichteten aber diesmal darauf, Kandidaten und Wähler zu ermorden.
Im Mai wird das indische Parlament gewählt, angesichts der gegenwärtigen Stimmung wäre eine Entspannungspolitik gegenüber Pakistan un­populär, und die Auslieferung der pakistanischen Verdächtigen ist unwahrscheinlich. Mehrere Tageszeitungen zitierten vorige Woche ein anonymes Regierungsmitglied, dessen Angaben zufolge das Kabinett unmittelbar nach den Attentaten Camps islamistischer Gruppen in Pakistan angreifen lassen wollte. Weil die indische Armee auf die zu erwartende Reaktion Pakistans nicht ausreichend vorbereitet gewesen sei, habe man von diesen Plänen Abstand genommen.

Zwar rechnete die indische Regierung dieser Quelle zufolge nur mit einem begrenzten Krieg, der nach einigen Tagen aufgrund des internationalen Drucks beendet werden sollte, bevor ein Ein­satz von Atomwaffen auch nur diskutiert wird. Doch selbst für kürzere Gefechte fehlt dem indischen Militär angeblich die notwendige Kampfkraft. Diese Darstellung dementierte allerdings der indische Verteidigungsminsiter A. K. Antony vergangene Woche. Er sagte, dass die Streitkräfte bestens für jegliche Herausforderung gerüstet seien.
Die gegenwärtige Politik der Regierung wird von den Massenmedien bereitwillig unterstützt. Die der Kongress-Partei nahestehende Wochenzeitung India Today veröffentlicht seit Anfang Januar die Serie »Declare War on Terror«. Die Attentate in Mumbai hätten klar gemacht, schreibt das Blatt, dass Pakistan »nicht bloß eine Obsession Indiens oder ein beliebtes Objekt für Ablenkungsmanöver ist: Die Islamische Republik ist Jihadistan, unser reueloser Peiniger.«
Allerdings scheinen langsam wieder Zweifel auf­zukommen. Am Sonntag. einen Tag vor den Feiern zum Republic Day, wurden nach Angaben der Polizei zwei Terroristen nahe Neu-Delhi erschossen, die pakistanische Pässe bei sich trugen. Dieser allzu passende Fund erregte Misstrauen bei vielen Medien. »Es hätte uns überrascht, wenn die Polizei vor dem Republic Day nicht einige ›Terroristen‹ präsentiert hätte«, kommentierte die Zeitung Daily Mail.