Deutsche »Kriegsverräter«

Edelmann und Kriegsverräter

»Kriegsverrat« war Widerstand – diese historische Tatsache können selbst konser­vative Patrioten nur noch schwer leugnen. Werden von den Nazis als »Kriegsverräter« verurteilte deutsche Soldaten doch noch rehabilitiert?

2008 war ein trauriges Jahr für die Deutschen. Philipp von Boeselager, das letzte Mitglied des national-konservativen Kreises der Hitler-Attentäter vom 20. Juli, starb im Mai. Die bürgerlichen Medien veröffentlichten unzählige Nachrufe auf den Freiherrn. »Unentlohnt« sei dieser für seine Taten geblieben, beklagte etwa Frank Schirrmacher in der FAZ. Und dass der mora­lische Impetus des Widerstands in Zweifel gezogen werde, so Schirrmacher, habe den »Edelmann« Boeselager erbost und geschmerzt.
Wenn der Widerstand anderer Menschen in Zwei­fel gezogen wird, findet das jedoch wesentlich weniger Beachtung. Die Betroffenen, die von den Nationalsozialisten wegen »Kriegsverrats« verurteilt wurden, sind immer noch nicht reha­bi­li­tiert. Eine Expertenanhörung der Fraktion der Linkspartei im Bundestag in der vergangenen Woche verdeutlichte einmal mehr, dass es keinen Grund dafür gibt, die Urteile aufrechtzuerhalten.
Bereits Ende 2006 hatte Jan Korte von der Bundestagsfraktion der Linkspartei einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung wegen »Kriegsverrats« verurteilter Personen in den Bundestag eingebracht (Jungle World 45/2007). Dieser fand jedoch keine Mehrheit, alle übrigen Bundestagsparteien wollten zunächst Sachverständige anhören. Nicht auszuschließen sei nämlich, so hieß es damals in den Begründungen, dass »Kameraden« durch die Handlungen von »Kriegsverrätern« tatsächlich gefährdet worden seien. »Wer Kriegsverrat beging, hat oft in einer verbrecherischen Weise den eigenen Kameraden geschadet, ja, sie oft in Lebensgefahr gebracht, in der sie dann auch umgekommen sind, dies zum Beispiel dann, wenn der Verräter zu den feind­lichen Linien überwechselte und, um sich dort lieb Kind zu machen, die Stellungen der eigenen Kameraden verriet«, sagte Norbert Geis von der CSU.

Der wissenschaftliche Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamts in Potsdam, Rolf-Dieter Müller, versuchte im vergangenen Jahr, diese Einwände zu bestätigen. Im Namen der CSU präsentierte er in einer Stellungnahme den Fall des Generals Edgar Feuchtinger, der seiner Geliebten militärische Geheimnisse preisgegeben und damit seine eigene Truppe in Gefahr gebracht haben soll. Feuchtinger sei daraufhin wegen Kriegsverrats verurteilt worden – nach Ansicht Müllers ein besonders »krasser Fall«, in dem eine Rehabilitierung ausgeschlossen sei. Mittlerweile hat sich der Fall als freie Erfindung herausgestellt: Auf Nachfrage von Helmut Kramer vom Forum Jus­tizgeschichte in Hamburg konnte Müller weder nachweisen, dass es bei dem Urteil gegen Feuchtinger tatsächlich um »Kriegsverrat« ging, noch konnte er Originaldokumente zu dem Fall vorlegen. In der neuerlichen Anhörung betonte Kramer, dass es für den Gesetzentwurf nur auf vorliegende Urteile ankomme, nicht auf die Behauptung angeblicher oder hypothetischer Taten.
Die CDU/CSU zeigt sich nach Müllers Fauxpas zwar »offen«, Norbert Geis verlangt jedoch weiterhin »neue, gesicherte Fakten«. Was der Mann noch erwartet, ist indes unklar. Denn ob andere deutsche Soldaten durch Handlungen später verurteilter »Kriegsverräter« gefährdet wurden, lässt sich nach Aussage des Historikers Wolfram Wette nicht feststellen. Vielmehr ist die Argumenta­tion der Rehabilitierungsgegner Kramer zufolge ein »Rückfall in die Adenauer-Ära«, als die »Ehrenrettung« der Wehrmacht noch oberste Priorität besaß.
Tatsächlich diente der Tatbestand des »Kriegsverrats« zumeist dazu, politischen Widerstand oder illoyales Verhalten zu unterbinden. So berichtete Wette in der Anhörung von den Soldaten Friedrich Rath und Friedrich Winking, die im Mai 1944 versucht hatten, in einem LKW der Wehrmacht 13 Juden aus Ungarn nach Rumänien zu schmuggeln. Sie wurden entdeckt und wegen »Kriegsverrats« zum Tode verurteilt. Die Urteilsbegründung, der »feindlichen Macht« sei »Vorschub geleistet« worden, ist Wette zufolge ein Beispiel für die »von den NS-Militärrichtern konstruierten Szenarien«. Geflohene Juden hätten in der Denkweise der Nazis einen »Zuwachs der feind­lichen Macht« dargestellt, weil das »Judentum« in der NS-Ideologie von vornherein als Feind betrachtet worden sei, so der Historiker. In seinem Buch »Das letzte Tabu« hat er eine umfangreiche Dokumentation mit weiteren Anklageschriften und Urteilen von 39 Fällen des »Kriegsverrats« geliefert.

Während diese Urteile zumeist einfache Soldaten trafen, tat sich die NS-Militärjustiz erheblich schwerer damit, die nationalkonservativ geprägten Widerstandsgruppen in den Reihen der höheren Dienstgrade zu belangen. So wurde der Offizier und Oberstabsarzt Christian Schöne nur zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt, nachdem er in einem Kettenbrief an Angehörige vermisster Soldaten im Sommer 1943 die Ermordung von Juden kritisiert hatte. Der Stabsgefreite Josef Salz hin­gegen wurde wegen »Kriegsverrats« zum Tode verurteilt, weil er sich in seinem Tagebuch kritisch über das Naziregime geäußert hatte. Nach Wettes Ansicht folgten die Richter auf ihre Art dem Of­fiziers-Korpsgeist, wohingegen die einfachen Soldaten durch die Bestrafung des »Kriegsverrats« brutal diszipliniert werden sollten.
»Der einfache Soldat hatte zu funktionieren, nicht über Unrecht nachzudenken«, sagte Helmut Kramer während der Anhörung zusammenfassend. Dieses Denken prägt Kramer zufolge auch die Diskussion um die Rehabilitierung. Tatsächlich spiegele sich der doppelte Standard für die Eliten einerseits und die einfachen Deutschen andererseits in der Erinnerungsdiskussion insgesamt wider. Der Nationalsozialismus sei dieser zufolge ein Projekt der Eliten gewesen, ebenso werde den Attentätern des 20. Juli alle Jahre wieder mit pompösen Feierlichkeiten ein Recht auf Widerstand nachträglich zugebilligt. Die ­Untaten durchschnittlicher Deutscher haben hingegen in der Geschichte ebenso wenig Platz wie die widerständigen Handlungen einfacher Bürger. Deswegen müsse auch ein Soldat, der eine kleine Tat des Widerstands geleistet habe, weiterhin als schändlicher Verräter an der Nation dargestellt werden. Und schließlich werde der Verrat an der »soldatischen Kameradschaft« seit jeher von allen Staaten hart bestraft. Daher dürfe wohl auch für die deutsche Wehrmacht nichts anderes gelten.

Obwohl die historischen Tatsachen recht eindeutig sind, ist deshalb nicht zu erwarten, dass eine pauschale Rehabilitierung auf große Zustimmung in den »patriotischen« Kreisen der deutschen Politik stoßen wird. Die Linkspartei will das Thema indes in den nächsten Wochen nochmals im Bundestag zur Debatte stellen. Bislang hat die SPD den Vorschlag abgelehnt – weil er von der »Linken« stammt.
Während der Anhörung zeigte sich der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe jedoch offen für Gespräche und nannte es »albern«, dass eine Fraktion wegen parteipolitischer Erwägungen nicht mit der anderen zusammenarbeiten wolle. Petra Pau von der Linkspartei bat darum, das Anliegen nicht durch »persönliche Eitelkeiten« oder den Anspruch auf ein »Copyright« zu gefährden. Ihr Parteikollege Jan Korte ist mittlerweile leicht optimistisch, was die Verabschiedung des Gesetzentwurfs angeht. Fragt sich nur, ob die SPD noch vor der Bundestagswahl mit der »Linken« gemeinsame Sache machen will.

Geändert: 13. März 2009