Die Finanzkrise macht sich auch in Dubai bemerkbar

Schluss mit Luxus

In Dubai befinden sich die größten künstlichen Inseln, die größte Shopping Mall und angeblich die Hälfte aller Baukräne der Welt. Weitere gigantische Projekte sind geplant, doch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise macht sich auch hier bemerkbar. Immer mehr wohlhabende Einwohner werden arbeitslos und verlassen die Stadt, Dubai versucht derzeit, sich vor dem Niedergang zu retten.

Abhijat ist wohl einer der wenigen die sich über die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise freuen. Sein kleines Haus in Satwa, einem der wenigen noch übrig gebliebenen Viertel mit einfachen Einfamilienhäusern in ganz Dubai, hat dank der Krise vorerst nicht den Abrissplänen der Regierung weichen müssen.
Das für Dubais Verhältnisse ziemlich arme Stadt­viertel wird großteils von Indern und Pakistanis bewohnt, die sich hier oft schon vor über 20 Jahren niedergelassen haben. Damals lag Satwa am Rande der Stadt und bildete ein ärmliches Wohnviertel für die dringend benötigten Arbeitskräfte. Mittlerweile ist eine ganze neue Generation in Satwa groß geworden. Durch das rapide Wachstum der Stadt wurde das ehemalige Zuwandererviertel bereits vor Jahren mit Wolkenkratzern, Hotelbauten und Shopping Malls umstellt. Die Baugründe, die einst am Rande der Wüste lagen, sind heute ein begehrtes innerstädtisches Gebiet zwischen dem alten Stadtzentrum bei Shindagha und Deira und den Nobelgegenden von Dubai Marina und Jumeirah mit seiner »Palme«, einer künstlichen Halbinsel mit Luxuswohnungen und Villen und dem riesenhaften Hotelkomplex »Atlantis«.
In solch einer Umgebung war kein Platz mehr für ärmliche Einfamilienhäuser mit kleinen und billigen Geschäften und Lokalen. Hier sollte nach dem Willen von Scheich Muhammad bin Raschid al-Maktum, dem Emir von Dubai, und seiner Stadt­verwaltung unter dem Namen »Jumeirah Village City« ein neues Luxusviertel für Reiche Dubaiyin und Expats entstehen. Die indischen und pakistanischen Arbeiter hätten in weit entfernte Arbeiterquartiere weichen müssen, wenn sie mit ihren niedrigen Einkommen überhaupt etwas gefunden hätten. Hier in der Nähe des Strandes sollte keine Armut mehr zu sehen sein, stattdessen ein Luxusbau nach dem anderen entstehen. Die Bewohner hatten bereits Briefe erhalten, in denen sie zum Auszug aufgefordert wurden, die Abrissbirne war schon angefahren und hatte bereits erste Häuser demoliert, als die Finanzkrise das Projekt vorerst zu Fall brachte.

Die Finanzblase Dubais droht nun zu platzen. Vorerst wird jedoch noch an den gigantischen Plänen von Scheich al-Maktum festgehalten. »The Palm Jumeirah« ist bereits fertig und großteils bebaut, »The World«, eine künstliche Inselwelt in der Form einer Weltkarte, wird gerade fertig gebaut und ist zu einem großen Teil schon verkauft. Und auch der gigantische Vergnügungspark Dubailand, gegen dessen Dinosaurier, Eiffelturm und Taj Mahal in Originalgröße Disneyland geradezu mickrig aussehen wird, steht weiterhin under construction. »The Palm Jebel Ali« und »The Palm Deira«, die noch größeren künstlichen Inselprojekte, mussten jedoch bereits verkleinert werden, und ob »The Universe«, das um »The World« herumgebaut werden sollte, jemals verwirklicht wird, muss sich erst erweisen. Schließlich zeigen sich auch bereits die ersten ökologischen Folgen des katastrophalen Energieverbrauchs und der Zerstörung der Küste durch die künstlichen Inseln.
Die Pläne von Scheich al-Maktum, die Stadt in einigen Jahren mit zehn Millionen Einwohnern zu füllen, scheinen derzeit jedenfalls illusorisch zu sein, denn Dubai verliert erstmals einen Teil der Bevölkerung. Schuld daran ist nicht nur die Wirtschaftskrise, sondern auch das strikte Aufenthaltsrecht. Wer in Dubai arbeitslos wird, verliert innerhalb eines Monats seine Aufenthaltsberechtigung und muss ausreisen. Die offiziellen Zahlen des seit Beginn der Wirtschaftskrise einsetzenden Bevölkerungsschwunds sind derzeit noch ein gut gehütetes Staatsgeheimnis. Schätzungen zufolge sind es jedoch fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung. Insider aus der Stadtverwaltung befürchten, dass die Stadt bis zum Sommer ein Viertel ihrer zwei Millionen Einwohner einbüßen könnte.
Dabei verliert Dubai nicht nur seine Arbeitskräfte, sondern auch seine Kaufkraft. Denn nicht nur indische und pakistanische Bauarbeiter flüchten mittlerweile, sondern auch immer mehr wohlhabende europäische Expats. Wer von ihnen den Job verliert, steht vor einer schwierigen Entscheidung: entweder rasch einen neuen Job suchen oder so schnell wie möglich mit dem verdienten Geld abhauen. Denn so viel man in Dubai verdienen kann, so viel kostet das Leben hier. 5 000 Euro Monatsgehalt sind durchaus übliche Gagen, für die man nicht besonders erfolgreich sein muss. Eine Wohnung ist dafür unter 2 000 Euro im Monat auch kaum zu haben.
Immer mehr arbeitslos gewordene Geschäftsleute, Immobilienspekulanten oder Börsenmakler verschwinden deshalb über Nacht. Einige tausend Autos, vom Audi 4 aufwärts, wurden in den vergangenen Monaten einfach dauerhaft am Flughafen geparkt. Die vielfach auf Pump gekauften Luxuskarossen sind derzeit unverkäuflich und bleiben einfach dort stehen, während ihre Besitzer mit dem erarbeiteten Geld das Weite suchen.

Für westliche Touristen ist diese Krise jedoch noch nicht zu sehen. Noch stehen in der ganzen Stadt Baukräne – angeblich die Hälfte aller Baukräne der Welt – und machen Dubai zu einer gigantischen Baustelle. Die gesamte Küste bis zur Grenze von Abu Dhabi im Westen und das Hinterland bis weit in die Wüste hinein ist eine einzige Baugrube. Dazwischen stehen bereits fertiggestellte Hochhäuser, die Universitäten der »Dubai Academic City«, das »Dubai Knowledge Village« oder die »Media City«. Das derzeit höchste Gebäude der Welt, der Burj Dubai, wird gerade fertig­gestellt und soll im September 2009 eröffnet werden. Im Januar erreichte er seine volle Höhe von 818 Metern. Im Februar wurde ein künstlicher Meeresarm zwischen dem Burj und der ihn umgebenden, ebenfalls gerade neu gebauten »Old town« eingelassen.
Zu dem Komplex gehört auch die im November 2008 eröffnete größte Shopping Mall der Welt, die Dubai Mall. Zu dieser eine Million Quadratmeter großen Anlage, davon allein 500 000 Quadratmeter Verkaufsfläche, gehören unterschiedlichste Lokale, eine gekühlte Eislaufhalle und das gewaltigste Aquarium der Welt. Dieses besitzt mit einer Breite von 32,88 Metern und einer Höhe von 8,3 Metern das größte Fischschaufenster der Welt. Das Acrylglas, mit dem die Wassermassen zurückgehalten werden, ist 75 Zentimeter dick. Zu bewundern sind Tausende Fische, darunter unterschiedlichste Haie und Rochen.
Das Publikum scheint von dem gigantischen Aquarium begeistert zu sein. Einheimische, Saudis, Iraner und Libanesen scharen sich ebenso um das Aquarium wie westliche Expats. Einheimische und Saudis mit mehreren Ehefrauen in Schleier und Niqab im Schlepptau verbringen ihre Freizeit ebenso in der Shopping Mall wie junge Libanesinnen im Minirock oder Iranerinnen in Hot Pants.
Der Eindruck dieser jungen Frauen täuscht jedoch. Dubai ist eine sehr männliche Stadt. Nur 24 Prozent der Bevölkerung sind Frauen. Viele Männer, die hierher zur Arbeit kommen, können es sich schlicht nicht leisten, ihre Familien mitzunehmen. Zwar gibt es auch weibliche Arbeitsmigrantinnen, Kindermädchen oder Hausangestellte, der Großteil der Arbeiter sind jedoch angesichts des Baubooms Männer. Dieser Männerüberschuss begünstigt allerdings eine andere Form weiblicher Arbeitsmigration: Dubai ist eines der größten Zentren der Prostitution im Nahen Osten. Viele Frauen aus Russland, Nigeria, Indien, dem Libanon, dem Iran und sogar aus Saudi-Arabien gehen hier der Prostitution nach. Die gesamte Golfregion gilt dabei als eines der Hauptziele von Frauenhandel aus Afrika. Aber nicht nur in die Prostitution werden Frauen gehandelt. Auch Sklavenarbeiter, männlichen wie weiblichen Geschlechts, werden von Menschenhändlern an den Golf gebracht und hier unter Entzug ihrer Papiere ausgebeutet. Darüber wird jedoch genauso wenig gesprochen wie über die erzwungene Prostitution. Dass Dubais Neoliberalismus auch auf der Sklavenarbeit und den Körpern von afrikanischen sowie asiatischen Frauen und Männern aufgebaut wurde, gehört zu den öffentlichen Tabus dieser Gesellschaft.
Dieser Tabuisierung dient nicht nur die Unterdrückung jeder politischen Äußerung oder das allgemeine Gewerkschaftsverbot, sondern auch die öffentlich zur Schau gestellte islamische Moral, hinter der Phänomene wie die weit verbreitete Prostitution versteckt werden.
Dubai ist nämlich konservativer, als es auf den ersten Blick scheint. Manch naive Touristin, die glaubte, sich oben ohne sonnen zu müssen, wurde hier bereits verhaftet. An sich gilt in Dubai immer noch das islamische Recht. Nichtmuslimen wird der Zutritt zu Moscheen normalerweise untersagt, und selbst die Toiletten bei den Moscheen sind meist nur für Muslime zugänglich.
Selbst in der Dubai Mall kann man auf islamistische Propaganda stoßen. Der aus der Türkei stammende islamische Kreationist Adnan Oktar, der unter seinem Künstlernamen Harun Yahya publiziert, verfügt sogar über einen eigenen Infostand in der Mall. In den hier vertriebenen Schriften wird nicht nur sein Lieblingsfeind, der Darwinismus, angegriffen. Harun Yahya hat mitt­ler­weile auch einiges zur Wirtschaftskrise zu sagen: »Der Landwirtschaft sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, Zinsen sollten abgeschafft und Steuern gesenkt werden«, ist auf einem Plakat zu lesen. In einem Land, das außer der Stadt selbst und der kleinen Oase Hatta ausschließlich aus Wüste besteht und ohnehin eine Steueroase darstellt, wirken diese Empfehlungen eher skurril.

Dubai versucht derzeit, noch mit anderen Maßnahmen dem Niedergang zu entgehen. Zur Rettung des bis 2008 rapide angewachsenen Tourismus wurden bereits die Preise stark gesenkt. Selbst im 7-Sterne-Hotel Burj al-Arab, in dem bislang keine Nacht unter einem Preis von 700 Euro verbracht werden konnte, kann man mittlerweile schon für 300 Euro übernachten. Auch sonst sind nach Angaben des Reiseveranstalters Tui die Preise um 50 Prozent reduziert.
Ob dies genügt, den Exodus aus der Stadt aufzuhalten, ist jedoch fraglich. Angesichts der Abwanderung von Arbeitskräften und Kapital überlegt sich Dubai erstmals Änderungen im Aufenthaltsrecht. Das bisher gültige Kafala-System, bei dem das Aufenthaltsrecht von Arbeitern an einen konkreten Arbeitgeber als »Sponsor« gebunden war, liefert Nichtstaatsbürger – und das sind in Dubai 80 Prozent der Bevölkerung – voll und ganz den Unternehmern aus. Da Dubai bis 2015 den Anteil ausgebildeter Arbeitskräfte auf 25 Prozent anheben will, wird nun auch überlegt, zumindest ihnen eine größere Aufenthaltssicherheit zu bieten. Ungelernte Arbeiter aus Südasien oder Afrika, so erwartet man, werden ohnehin weiterhin als Verschubmasse und billige Arbeitssklaven zur Verfügung stehen.
Die meisten dieser ungelernten Arbeiter kommen aus Südasien. 40 Prozent aller Arbeitskräfte der Vereinigten Arabischen Emirate sind indische Staatsbürger, in Dubai selbst ist dieser Anteil noch höher. Wie prekär deren Arbeits- und Lebensbedingungen sind, zeigt sich auch an der Suizidrate. Nach Angaben des indischen Konsulats in Dubai nahmen sich 2008 allein in Dubai 149 indische Arbeiter das Leben. So tödlich kann der islamische Neoliberalismus made in Dubai sein. Arbeitsunfälle sind dabei allerdings nicht eingerechnet. Sicherheit am Arbeitsplatz ist für indische Migranten in Dubai nicht vorgesehen.
Die NGO Mafiwasta, die sich für die Rechte von Arbeitern und Arbeiterinnen in den Vereinigten Arabischen Emiraten einsetzt, ist daher auch wenig optimistisch, was die Zukunft der ungelernten Arbeiter in Dubai betrifft. Nicholas McGeehan, der Gründer von Mafiwasta, glaubt nicht, dass sich irgendjemand Gedanken darüber macht, was mit den indischen und pakistanischen Bauarbeitern geschehen soll, wenn hier der Bauboom in der Wirtschaftskrise enden sollte: »Für die un­gelernten Arbeiter wird hier sicher nichts unternommen, damit sie mit dieser Situation zurechtkommen.« Dabei ist die Situation auch für jene, die noch Arbeit haben, schlimm genug. Auf ihrer Website kritisiert Mafiwasta die Ausbeutung der Arbeitsmigranten, die in den schlimmsten Fällen als Form der Sklaverei begriffen werden könne: »Die Arbeitgeber konfiszieren regelmäßig die Pässe der Arbeiter und bringen sie dazu, einen neuen Vertrag auf Arabisch zu unterzeichnen, der niedrigere Löhne als die ursprünglich versprochenen vorsieht.« Die internationale Öffentlichkeit zeige kein Interesse an der katastrophalen Situation dieser Arbeiter: »Die prekäre geopolitische Lage am Golf scheint dazu zu führen, Kritik so bald als möglich unter den Teppich zu kehren.«
Es wird sich zeigen, wie lange sich dies noch unter den Teppich kehren lässt, wenn Dubai nun in die Rezession gerät und 20 Prozent reiche Golf­araber einer weitaus größeren Masse Ausgebeuteter und Verarmter gegenüberstehen.