Kuschel-Partys und die moderne Single-Kultur

Angriff der Kuschel-Guerilla

Wer wissen will, was in der postmodernen Singlekultur läuft, sollte eine Cuddle Party besuchen – oder sich von Schmusekönigin Amma in die Arme nehmen lassen.

Gewöhnlich hat das Wort »Kuschelsex« einen despektierlichen Unterton. Wer derlei praktiziert, so wird unterstellt, lebt in panischer Angst vor den aggressiven Elementen der eigenen Sexualität und sucht in infantilen Zärtlichkeiten nach einer Sicherheit, die stets illusorisch bleiben muss. Der sexuell emanzipierte Erwachsene dagegen weiß, dass es beim Sex zur Sache geht und das Kuscheln allenfalls hinterher kommt. Insbesondere dem linken Alltagsbewusstsein ist Zärtlichkeit ein Greuel, sofern sie nicht eine der Völker ist. Wie die bürgerliche Höflichkeit gilt sie als Zier, auf deren Zurschaustellung verzichten sollte, wer von seiner peer group nicht zum Spießer erklärt werden will.
Gegen eine Rehabilitierung der Zartheit wäre in Zeiten organisierter Asozialität also wenig einzuwenden. Wer sich aber etwas genauer die Bündnispartner für solch ein Projekt anschaut, dem dürfte die Lust auf Streicheleinheiten schnell vergehen: Die neuchristlich grundierte Knuddelbegeisterung, die seit einigen Jahren aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland übergeschwappt ist, um unter dem Einfluss der heimischen Volksmentalität zur grotesken Kenntlichkeit entstellt zu werden, praktiziert Zärtlichkeit als Knockout-Strategie, mit der autistische Monaden sich ihre Unberührbarkeit beweisen.
Auf zwei Ebenen agieren die Vorkämpfer an der volksdeutschen Schmusefront: als flexible Guerillaformationen im öffentlichen Raum und als Kadergruppen hinter verschlossenen Türen. In Anlehnung an das amerikanische Vorbild nennt sich die erste Variante »Free Hugging«, die zweite »Cuddle Party«. Die Vertreter der Guerillafraktion mögen dem ungeübten Auge zunächst wie lästige PR-Büttel erscheinen, die den Passanten in der Einkaufsstraße mit debilem Grinsen ein Probeabo aufschwatzen wollen. Erkennbar sind sie jedoch an ihren Körperschilden, auf denen Parolen wie »Fass mich an« oder »Umarmen erlaubt« geschrieben stehen. In Zeiten bürgerlicher Kälte, da kaum ein Mitmensch mehr bereit ist, »loszulassen« und sich zu »öffnen«, wollen die »Free Hugger« uns ins Gedächtnis rufen, wie schön es sein kann, von Unbekannten nach Herzenslust befingert zu werden. Ausgedacht hat sich diese Idee vor fünf Jahren der Australier Juan Mann, der in Sydney erste Versuche mit öffentlichen Spon­tanumarmungen unternahm, die jedoch bald von der Polizei gestoppt wurden – sicheres Zeichen für ihre Subversivität. Nachdem mehrere australische, kanadische und US-amerikanische Schmuseattacken auf Youtube präsentiert worden waren und Musikgruppen wie die »Sick Puppies« das Konzept in ihren Videos aufgegriffen hatten, wurde der basisdemokratische Druck jedoch bald so stark, dass die Staatsmacht mit dem Rücken zur Wand stand und klein beigeben musste.
Seither trauen sich auch deutsche Kampfesgenossen immer häufiger, sich nichtsahnenden Passanten als lebende Schnuffeltücher anzudienen, in mehreren deutschen Städten gibt es ­einen jährlichen »Free Hugging Day«, diplomierte Fußgängerzonen-Umarmer erzählen dem evangelischen Magazin Chrismon begeistert: »So viele Leute habe ich auf der Zeil noch nie lachen sehen«, und der Frankfurter Soziologe Tilman Allert prophezeiht bereits einen durch »Umarmungsinflation« ausgelösten »Sorgfaltsverlust«, gegen den die »Power-Umarmer« indessen längst Abhilfe geschaffen haben. Vergleichbar der Freiwilligen Selbstkon­trolle, haben sie sich nämlich strenge Regeln auferlegt. Kein »Free Hugger« darf mit seinen Opfern Namen oder Adressen austauschen, und »Grenzüberschreitungen« werden mit prompter Denunziation geahndet. So wird die frohe Botschaft »Wir suchen alle nach Liebe und müssen uns nicht voreinander verstecken« mit einer Generalklausel gegen potenzielle Triebtäter abgesichert. Wer sich durch das Knuddelangebot auf dämonische Weise angeturnt fühlen sollte, hätte mithin gründlich missverstanden, was die Schmusekönigin Mata Amritanandamayi, genannt Amma, die auf ihren weltweiten »Kuscheltouren« in den vergangenen fünfzehn Jahren 25 Millionen Menschen umarmt hat und gegenüber okzidentalen Kusch­lern als Veteranin erscheint, in den Farben indischer Poesie so formuliert: »Von mir fließt ein ununterbrochener Strom der Liebe zu allen Wesen dieser Welt. Wenn du einen Fluss fragst, warum er fließt, was könnte er darauf antworten?«
Amma, die in ihrer Heimat als Revolutionärin gefeiert wird, weil sie die Berührungsregeln des indischen Kastensystems unterläuft, hat für ihre Menschheitsbegrapschung bereits den Gandhi-King-Preis für Gewaltlosigkeit sowie den Interfaith Award bekommen und gilt unter deutschen Kuschelaktivisten als Heldin. Schöner als sie könnte kein westlicher Passionsschmu­ser erklären, daß es beim »Free Hugging« nicht darum geht, den Individuen ihre universale Berührungsfurcht zu nehmen, sondern im Gegenteil darum, sich der ganzen Welt verbunden zu fühlen, ohne einem einzigen ihrer Bewohner je zu nahe zu treten. Sich sein Streichelquantum beim »Free Hugger« um die Ecke abzuholen wie das tägliche Quantum Sex beim Lebensabschnittspartner, der zu allem übrigen längst keine Lust mehr hat – darin ­besteht das »Glücksversprechen« der global agierenden Bussibrigaden, die im Namen »menschlicher Wärme« die Sinnlichkeit exorzieren. Übertroffen werden sie nur von ihren Genossen von der Partyfront, die in Deutschland auf der Seite www.kuschelparty.com organisiert sind und offen aussprechen, was Mama Amma lyrisch verbrämt: »Viele Singles haben nicht das Gefühl, dass sie zu wenig Sex haben – nein! – es fehlen die Kuscheleinheiten (…) Denn hier geht es ganz klar nicht ums ›Anbaggern‹ oder ›heiß machen‹. Die Teilnehmer sollen sich geborgen fühlen (…)«. Weil sich nur geborgen fühlen kann, wer nicht heiß-, sondern kaltgemacht worden ist, bieten achselschweißfreie Kuschelhonoratioren inzwischen in Dutzenden deutscher Städte von Tuttlingen bis Flensburg »Events für Erwachsene« an, »wo sie ihr Bedürfnis nach Berührung und Kuscheln in einer nicht-sexuellen Atmosphäre leben können«.
Da weder ungelenkes Herumtasten noch orgiastischer Überschwang, sondern allein »geschütztes Kuscheln« das »Immunsystem« fördert, sollten deutsche Kuschelpartys, wie es im selbstauferlegten Gesetzeskatalog des Knuddelvereins heißt, allerdings nur von »gesunden Erwachsenen« besucht werden, die im Falle sexueller Belästigung sofort den dafür abgestellten »Kuschelwächter« rufen und jederzeit bereit sind, sich den Befehlen der »Kuschel­leitung« zu beugen. Auch Kiffer und Trinker sind nicht gern gesehen, denn nur wer »hellwach und bewusst« kuschelt, kuschelt korrekt. Man befindet sich schließlich nicht bei den Dionysien, sondern weit eher wohl in einer öden Mietwohnung, und an solchen Orten gilt: »Wenn sich die Stimmung zu sehr aufheizt, wird unterbrochen.« Solcherart instruiert, kann der streichelbedürftige deutsche Sinnsucher sich mit vollem Engagement seiner Kur widmen, mit deren Früchten er schon am nächsten Tag als ehrenamtlicher Teilzeitknuddler seine Mitmenschen beglücken darf. Ein kleiner Wermutstropfen mag lediglich darin liegen, daß die Teilnahme an Kuschel-Events kostenpflichtig ist. Zumindest die Berührungen sind aber garantiert umsonst.