Der »Internationale Aktionstag« zur Wirtschaftskrise: Teilnehmen, um das falsche Ganze zu entlarven

Keine Illusionen

Fast alles spricht gegen eine Teilnahme an der Großdemonstration zur Wirtschaftskrise. Gerade deswegen sollte man hingehen und das falsche Ganze entlarven.

Tony Soprano, fiktiver Mafiaboss aus Suburbia, wird von Panikattacken geplagt und kann seinen Job nur mit Hilfe von Prozac und Psychotherapie erledigen. Denn das erhoffte Glück stellt sich auch mit Haus, Frau und Kindern nicht ein. In einer Sitzung sagt er seiner Therapeutin: »Ich habe gestern im history channel gesehen, dass wir die einzige Nation sind, die das Glück in der Verfassung garantiert. Wo bleibt mein verdammtes Glück?« Die Antwort der Therapeutin fällt ebenso richtig wie staatstragend aus: Verfassungsmäßig verbrieft sei nur das Streben nach Glück, nicht das Glück selbst.
Der Antibürger Soprano ist hier ganz Staatsbürger – auch wenn er bürgerliche Verkehrsformen sonst außer Acht lässt. In der Krise appelliert er an den Staat und will von ihm sein Glück bekommen. Erfüllen wird sich dieses Versprechen bekanntlich nie. Indem Staaten das Streben nach Glück in die Form kapitalistischer Konkurrenz bannen, sorgen sie allein dafür, dass das Hamsterrad nie stillsteht. Die zur Hoffnung verdammten und doch permanent frustrierten Bürger drängen wieder und wieder zur Anrufung des Staates. Er soll wirkliches Glück herbeiführen, während seine rechtlichen Garantien doch nur die Voraussetzungen des endlosen Hauens und Stechens garantieren.

Der ideologische Reflex, der in der staatlichen Kontrolle des Wirtschaftslebens einen Sieg des Politischen sieht, ist in eben dieser verzweifelten Konstellation zu Hause. Nicht zufällig steht die Daseinsvorsorge auf der Agenda der De­mons­tranten: Krankenversicherung, kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr und das Existenzgeld möge der Staat bitte bereitstellen. Auch wenn die Forderungen im Detail ohnehin niemand ernst nimmt, versöhnt der bloße Vollzug des Appells den Bürger mit seinem Staat.
Antikapitalismus im realpolitischen Gewand setzt sich immer dem Systemimperativ der Machbarkeit aus. Verkannt wird, dass Staat und Markt keine Gegensätze sind. Die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand diente noch nie dem Wohl der Menschen, sondern sollte stets die Voraussetzungen für die reibungslose Reproduktion des Kapitalverhältnisses schaffen. Um den Markt gegen die Instabilität der Konkurrenz abzusichern, schuf Hjalmar Schacht 1935 das Energiewirtschaftsgesetz. Seitdem durften kommunale Energieunternehmen Monopole bilden, um eine stabile Energieversorgung insgesamt zu gewährleisten. Kaum anders verhält es sich mit den übrigen Gütern der öffentlichen Daseinsvorsorge, die am Samstag eingefordert werden.

Sowohl Form (Appell) als auch Inhalt (Almosen) der Aufrufe sind also kompatibel mit dem falschen Ganzen. Fast alles spricht somit gegen eine Teilnahme an der Demonstration. Und gerade deswegen dafür. Denn der einzige Weg aus der Krise ist die Verhinderung von deren versöhnender Entschärfung. Heute wie 1917 gilt: »Entlarvung an Stelle der unzulässigen, Illusionen erweckenden ›Forderungen‹« (Lenin). Eine antinationale und kommunistische Intervention auf der Demonstration stört wenigstens die Staatsaffirmation. Den täglich tausend guten Gründen gegen Staat und Kapital fügt die Krise weitere hinzu, denn die Krise verschärft die Lage derjenigen, die in diesen Formen überleben müssen. Was als verantwortliche Forderung zur Beendigung des Leidens auftritt und sich deshalb mit Fundamentalkritik zurückhält, ist jedoch kein Ausweg: Jede Forderung ruft den Staat als Garanten der persönlichen Wohlfahrt an und macht damit ein Jenseits des Staats weiter undenkbar. Gerade deswegen tut antinationale Agitation Not, gerade deswegen sind am Samstag die besseren Argumente in Stellung zu bringen. Dass man sich bei der Entlarvung die Finger schmutzig macht, gehört dazu. Vermeiden lässt sich das nur im Lesekreis.
Erst recht am Samstag ist also daran zu erinnern: Die einzige Arbeitszeitverkürzung, die ihren Namen verdient, heißt Kommunismus. Und der ist bekanntlich nicht mit dem Staat, sondern nur gegen ihn zu haben. Denn es ist der Staat, der mit seinem Gewaltmonopol verhindert, dass der gesellschaftliche Reichtum den unmittelbaren Pro­duzenten zugute kommt, der also immer, über­all und notwendig gegen die Interessen der Menschen da ist. Jede Sorge um die Verbesserung Deutschlands ist eine Parteinahme gegen die Menschen – hier und erst recht anderswo. Jede Forderung, die das Gemeinwohl oder die Binnennach­frage betrifft, und jede soziale Befriedung durch Almosen ist ebenso gegen die Menschen gerichtet, wie die Losung, Misswirtschaft und Gier seien für die Krise ursächlich, eine Lüge ist.
Wir fordern nichts – denn uns geht es ums Ganze.