Die Nebenkläger im Prozess gegen Demjanjuk

Die Prozedur vorm Prozess

Nach Iwan Demjanjuks Abschiebung aus den USA bereiten sich ein Überlebender von Sobibór und Vertreter der Opfer auf ihre Rolle als Nebenkläger im Prozess gegen den mutmaßlichen KZ-Aufseher vor.

Ob ein Prozess in München als »Schutzimpfung gegen Hass« wirken würde, wie es sich Abraham Cooper, der stellvertretende Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles, im Hinblick auf die deutsche Gesellschaft erhofft, darf bezweifelt werden. Am Dienstag voriger Woche landete Iwan »John« Demjanjuk erst einmal mit einem Charterflugzeug in München. Der 89jährige gebürtige Ukrainer soll als Aufseher im Vernichtungslager Sobibór im Jahr 1943 Beihilfe zur Ermordung von über 29 000 Jüdinnen und Juden geleistet haben. Nun erscheint ein Prozess gegen ihn immerhin möglich.
Freilich: In einem Gerichtsverfahren ginge es um Verbrechen, denen gegenüber jede konventionelle Strafe lächerlich bleiben muss, erst recht nachdem der Angeklagte sein beschauliches, bürgerliches Leben bereits fast zu Ende leben konnte. Aber immerhin würde ein Schuldspruch dem berechtigten Wunsch der Überlebenden und Hinterbliebenen entsprechen, den Tätern nicht das letzte Wort zu überlassen. Deshalb wollen auch die Vertreter der Opfer nicht nur im Zuschauerraum des Gerichts Platz nehmen, sondern Demjanjuk als Nebenkläger gegenübertreten. Im Prozess könnte ihnen sogar eine entscheidende Rolle zukommen.
Der französische Nazijäger Serge Klarsfeld hat bereits angekündigt, im Namen französischer Opfer im Prozess auftreten zu wollen, ebenso der in Polen geborene Sobibór-Überlebende Thomas Blatt. In den Niederlanden hat sich in den vergangenen Wochen eine Gruppe von Angehörigen der Opfer zusammengefunden, die sich am Prozess auch als Nebenkläger beteiligen wollen. Darunter sind einige Angehörige, die von Mitarbeitern der Zentralen Stelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg angesprochen wurden – ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang in der deutschen Justiz. Nebenkläger, die sich aktiv in die Angelegenheiten der Staatsanwaltschaft einmischen können, werden von dieser ansonsten eher als störend empfunden. »Angeworben« werden sie so gut wie nie.
Dass es diesmal anders ist, kann nicht an mangelnden Beweisen liegen. Auf Zeugenaussagen sind die Ankläger Demjanjuks nicht angewiesen. Sämtliche Vorwürfe gegen ihn sind mit Dokumenten belegt. Die Nazis selbst hielten die Arbeit ihrer Tötungsfabrik in Sobibór säuberlich in Listen fest. Dass die Ermittler der Zentralen Stelle in Ludwigsburg sich dennoch – wohlgemerkt in ihrer Eigenschaft als Privatpersonen – dafür einsetzen, ihren Münchner Kollegen einige Nebenkläger an die Seite zu stellen, könnte mit dem monatelangen Hin und Her innerhalb der deutschen Justiz zu tun haben, das der Auslieferung Demjanjuks voranging. Selbst nachdem die Ludwigsburger monatelang Beweise gesammelt hatten, mussten die Münchner noch zum Jagen getragen werden.
Hierzulande erregten vor allem jene vier Wochen Interesse, in denen amerikanische Gerichte Demjanjuk noch eine letzte Chance gaben, seine Reise­unfähigkeit zu beweisen. Zuvor hatte sich die deutsche Justiz allerdings fast ein Jahr Zeit genommen, bis überhaupt der Haftbefehl erlassen wurde, der eine Auslieferung ermöglichte. Allein drei Monate brauchte die Münchner Staatsanwaltschaft, um die Ermittlungsergebnisse, die ihr fertig aus Ludwigsburg übersandt worden waren, zu lesen und erneut zu prüfen. Der Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle, Kurt Schrimm, äußerte am Ende sogar öffentlich Kritik an der stoischen Ruhe der Münchner Kollegen. Ausrichten konnte er dagegen allerdings nichts. Für eine Anklage ist allein die Münchner Staatsanwaltschaft zuständig.
Obwohl dort die Anklageschrift gegen Demjanjuk seit Wochen in der Schublade liegt, sagte der Münchner Oberstaatsanwalt Anton Winkler in der vergangenen Woche, mit einer Erhebung der Anklage gegen den 89jährigen müsse noch gewartet werden. Vielleicht müsse man weitere Fragen prüfen. Demjanjuks deutscher Pflichtverteidiger Günther Maull rechnet mit mehreren Monaten.
Wenn tatsächlich in München der Prozess gegen Demjanjuk eröffnet wird, könnte den Nebenklägern aus Polen, Frankreich und den Niederlanden nicht nur die wichtige Rolle zukommen, den Opfern ein Gesicht zu geben. Sie würden auch, was vielleicht wichtiger ist, den »im Namen des Volkes« handelnden Staatsanwälten auf die Finger schauen können.