Antisemitische Vorfälle in Spanien

Die Front der Antizionisten

An der Universität Madrid störten linke Gruppen unter »Juden-raus!«-Rufen eine Konferenz mit jüdischen Teilnehmern. Das war nicht der einzige antisemitische Vorfall in Spanien in letzter Zeit. Auch spanische Medien arbeiten seit dem Gaza-Krieg zunehmend mit antisemitischen Klischees. Sogar aus dem US-Kongress kam die Forderung an die spanische Regierung, Maßnahmen gegen den Antisemitismus einzuleiten.

»In unserem Land gibt es kein Problem der Religionen«, das Hauptproblem der Juden seien »manche unserer Kollegen in der Linken und im Einheitsjournalismus«. Mit diesen Worten nahm die bekannte linke Journalistin Pilar Rahola vergangene Woche in Madrid den Preis Senador Ángel Pulido entgegen, den alljährlich die jüdische Gemeinde Spaniens vergibt. Bereits Mitte Mai hatten 14 Kongressabgeordnete aus den USA den Umgang der spanischen Medien mit dem Nahost-Konflikt kritisiert. In einem offenen Brief an Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero forderten sie die spanische Regierung auf, »so­fortige Maßnahmen im Kampf gegen den Antisemitismus« einzuleiten.
Neben den antijüdischen Ausschreitungen bei so genannten Friedensdemonstrationen im Rahmen der israelischen Offensive im Gaza-Streifen Anfang des Jahres prangerten sie darin die Verwen­dung antisemitischer Stereotype in Presseartikeln und Karikaturen an. Beispielhaft dafür ist ei­ne Karikatur, die in der großen linksliberalen Tageszeitung El Pais veröffentlicht wurde: Ein klei­nes Mädchen fragt einen orthodoxen Juden (inklusive großer Hakennase), wie es möglich sei, dass jemand, der den Holocaust überlebt habe, in der Lage sei, einen weiteren herbeizuführen. Der Jude antwortet ihr: »Es gibt jetzt Schlafmittel, die wirken bis ins Gewissen.« Noch während der Brief der US-Abgeordneten auf dem Weg nach Spanien war, ereigneten sich weitere Vorfälle, die in der spanischen Linken zu einer längst überfälligen Debatte führen könnten.

An der Universität Madrid, der zweitgrößten Europas, gab es Ende April eine Podiumsdiskussion zum Thema »Rassismus und Antisemitismus im heutigen Spanien«, zu der unter anderem der Vorsitzende der Vereinigung jüdischer Gemeinden in Spanien, Jacobo Israel Garzón, eingeladen war. Zwei Fragen der Veranstaltung, ob Antisemitismus in der spanischen Gesellschaft heutzutage noch ein Problem darstelle und wie er sich äußere, beantworteten sich gleich zu Beginn von selbst. Als Israel Garzón die Sozialwissenschaftliche Fakultät betrat, wurde er nach Aus­sagen anderer Podiumsteilnehmer von Studenten mit Palästina-Flaggen und »Juden raus!«-Rufen empfangen. Sie verteilten ein Flugblatt, in dem die Veranstaltung als Teil der Kampagne der »jüdischen Lobby« bezeichnet wurde, mit der sie den von ihnen begangenen »Genozid« totschweigen wolle. Israel Garzón sei ein »wuchersüchtiger« Geschäftsmann, dessen Lügen und mediale Kampagnen jedoch »seine Verbrechen« nicht vertuschen könnten. Man werde die »hebräische Lobby« entlarven, die »wahrhafte Finanz­elite, die auf Manipulation und den Opferkult spezialisiert ist«.
Gonzalo Álvarez Chillida, Antisemitismusforscher und Professor für Geschichte an der Fakultät, verurteilte in einem offenen Brief an die Universitätszeitung Tribuna Complutense den Vorfall und betonte, dass sich diese Szene »nicht, wie man meinen möchte, an der Universität Heidelberg im Jahre 1930« abgespielt habe, sondern vergangenen Monat an der Universität Madrid. Ebenso seien die Protagonisten weder »spanische Faschisten« gewesen noch »katholische Fundamentalisten, die sich eine Neuauflage der von der ›heiligen‹ Königin Isabel verordneten Vertreibung wünschten«, sondern »eine Gruppe, die sich selbst als anti­faschistisch ansieht«. Falls ihr Anliegen eine Kritik an der israelischen Politik gewesen sei, so Álvarez Chillida weiter, sei dies auch möglich, »ohne ›die Juden‹ zu verurteilen und noch weniger mit den plumpsten Klischees des historischen Antisemitismus«. Er sei weiterhin überzeugt, dass die linke Kritik an der Politik des Staates Israel keinen neuen Antisemitismus darstelle, jedoch mit der Ausnahme derjenigen, »die den israelischen Staat benutzen, um die Juden anzugreifen, mit denselben Ausdrücken wie die faschistischen Antisemiten und Fundamentalisten aller Zeiten«.
Das Kollektiv »Wir sind alle Palästina« der Sozialwissenschaftlichen Fakultät lieferte mit seiner Stellungnahme zu dem (ihrer Meinung nach größtenteils erfundenen) Vorfall gleich einen wei­teren Beleg für diese »Ausnahme«. Sie sehen die Veranstaltung sowie die Vorwürfe als Teil der »Opfer-Strategie«, deren Ziel es sei, kritische Stimmen am »Zionismus« zum Schweigen zu bringen. Diese Strategie habe »seit dem Zweiten Weltkrieg die Opfer des Holocaust benutzt, um bei der Auslöschung der arabischen Bevölkerung in Palästina Straflosigkeit zu erhalten«. Der Vorwurf des An­tisemitismus (durchweg in Anführungszeichen geschrieben) diene nur dazu, ihren »Status des ewigen Opfers« aufrecht zu erhalten, ist weiter in der Erklärung zu lesen.

Der antisemitische Vorfall an der Universität Madrid fand in den Medien kaum Beachtung. Eben­sowenig wie der zweite Übergriff, der sich nur wenige Tage darauf ereignete und eine kleine diplomatische Krise hätte auslösen können. Der Botschafter Israels in Spanien, Raphael Schutz, wurde auf offener Straße als »dreckiger Jude« und »jüdischer Bastard« beschimpft und verfolgt, als er nach dem Fußballspiel Madrid–Barcelona mit seiner Frau das Bernabéu-Stadium in Madrid verließ. Die Anwesenheit seiner beiden Bodyguards habe verhindert, dass die Angreifer – drei Real-Madrid-Fans – handgreiflich wurden, sagte Schutz. Nach einer Entschuldigung des spanischen Außenministers Miguel Ángel Moratinos verzichtete Israel auf eine offizielle Beschwerde.
Einer Studie des Pew Research Centers zufolge sind die antijüdischen Einstellungen in Spanien in den Jahren 2005 bis 2008 von 21 auf 46 Prozent gestiegen, den höchsten Wert in einem europäischen Land. Während der israelischen Offensive im Gaza-Streifen fanden in Spanien antiisraelische Proteste mit über 100 000 Teilnehmern statt, die zu den größten in Europa gehörten. Diesen Zusammenhang will die spanische Linke, die statt­dessen weiterhin den grundlegenden Unterschied zwischen Antizionismus und Antisemitismus be­tont, offenbar nicht sehen.