Einsame Punks auf Partnersuche

Punk sucht Fahrrad

Auch Punks sind manchmal einsam. »Abgefuckt liebt dich«, die Kontaktbörse für Punks, Ois und Skins im Internet, hilft ihnen bei der Suche nach Freundschaft, Liebe oder Sex. Für alle, die »Fisch sucht Fahrrad« zu spießig finden, gab es die Singleparty für Abgefuckte. In Berlin-Kreuzberg.

Wenn man den Begriff »Singleparty« hört, denkt man häufig an verkrampfte Stehpartys, bei denen mittelmäßige Alleinunterhalter versuchen, die Tanzwut der Uhu-Singles mit einem »richtig fetzigen Oldie« zum Leben zu erwecken. Ein einsamer Mann am Tresen versucht sein Glück bei der Bardame. Manche Frau entdeckt in sich die ge­borene Dancing Queen, und nach einigen Gläsern Sekt klingen Anmachsprüche auch nicht mehr so peinlich. Der Kerl im rot-orange gestreiften Hemd kann mit seinem Jamba-Gedicht doch noch landen. Am Ende des Abends schunkeln einige vorläufige Pärchen schwitzend, aber zufrieden zu romantischen Liedern mit seichtem Inhalt. Andere, die nicht genügend Alkohol getrunken haben oder einfach keinen sportlichen, verständ­nisvollen, gut aussehenden und gebildeten Mann gefunden haben, tratschen mit ihren Freundinnen um die Wette. Natürlich geht das auch anders. Das lässt zumindest die Werbung einer Singleparty für Punks, Ois und Skins vermuten, zu der das Berliner Label Puke Music und die Internetplattform »Abgefuckt liebt dich« einladen. Auch mit Flyern wird geworben. Kostenloser Eintritt für Frauen soll für ein ausgeglichenes Mischungsverhältnis sorgen. Ganz nach Punker-Attitüde sollen Buttons mit den Aufschriften »Ficken«, »Freundschaft« oder »Mal sehen« dem Gegenüber klar machen, was Sache ist. Für Stimmung werden DJs, Karaoke und ein Revival der Fernsehsendung »Herzblatt« sorgen. Ein Programmpunkt erinnert allerdings etwas an ein provinzielles Wiesenfest: »Versteigerung von Männlein/Weiblein«. Ort des Geschehens ist das Kato, eine Rocker-Hochburg mitten in Kreuzberg, direkt unter den Gleisen der U-Bahn-Station Schlesisches Tor. Endlich hat man die Möglichkeit, mit Usern wie »Warzenbein«, »Pissa« und »Ficken_für_nen_Groschen« von Angesicht zu Angesicht zu kommu­nizieren. Das klingt nach unterhaltsamen Peinlichkeiten, aufgeschlossenen Menschen und guter Musik. Vor allem aber nach einem Kontrastprogramm zu den Klischeevorstellungen von einer Singleparty. Oder etwa doch nicht? Es ist circa 23 Uhr, Einlass war vor zwei Stunden. Die Raucher machen es sich rund um das Gebäude bequem und beobachten durch die großen Fensterfronten das Geschehen. Am Eingang kann man lästige Utensilien wie Jacken und Taschen los­werden, nichts soll vom Tanzen oder Pogen abhalten. Männer bezahlen für den Eintritt vier Euro, aber »wenn man sein ausgedrucktes Abgefuckt-Profil mitbringt, nur zwei Taler!« erklärt der gutgelaunte Punk an der Kasse. Das ist wohl für alle Beteiligten eine gute Sache. Die Plattform kann sich neuer Mitglieder erfreuen, und die Singles sparen Geld. Auch die besagten Buttons sind an der Kasse erhältlich. Der Herr mit dem schwarzen Iro grinst und stützt seine Arme auf den Tisch: »Also der mit der Aufschrift ›Freundschaft‹ geht nicht so gut weg.« Das helle Licht im Eingangsbe­reich ist sehr ehrlich und beweist, dass einige Besucher bereits jetzt ordentlich getrunken haben. Die unvermeidliche Suche nach Zigaretten wird für einen Mann mit blondem und herabhängendem Iro zu einer Geduldsprobe. Er tastet jede einzelne Tasche ab und brabbelt Unverständliches vor sich hin. Ein anderer Gast ist so nett und schenkt ihm eine Zigarette. Er trägt einen »Freund­schaft«-Button, der betrunkene Raucher hingegen nicht. Um mir ein grobes Bild von »Warzenbein« und Co. zu machen, sehe ich mich etwas um. Das Kato besteht aus zwei großen Räumen. Der eine lässt ausschweifendes Tanzen zu und ist mit ei­ner Bühne und einer Bar bestückt. Der andere lädt durch sein gemütliches Ambiente zum Sitzen und vor allem Trinken ein, nach übermäßigem Alkoholkonsum sogar zu einem kleinen Nicker­chen auf Barhocker und Tresen. Einige Skinheads und Renees nutzen bereits die Sitz­ge­le­gen­hei­ten. Die Stimmung scheint gut zu sein und der Alkohol ebenfalls. Offensichtlich sind die meisten von ihnen bereits in einer Beziehung, da sie ihre Partner mitgebracht haben und keine Buttons tragen. Auf der Tanzfläche steht eine größere Grup­pe von männlichen Punks. Obwohl der Raum spärlich ausgeleuchtet ist, er­kennt man, dass sie erst vor kurzem ihre Haare frisch gefärbt haben, die in leuchtenden Farben erstrahlen. »Ja, man will ja auch gut aussehen und der Lady was für das Auge bieten«, erklärt Erik. Er trägt eine schwarze Lederjacke mit vielen Nieten und Aufnähern. Erst gestern hat er seine Haare grün gefärbt. Auf einer Erhöhung sitzen fünf junge Damen, die den gesamten Raum überblicken und sich ange­regt unterhalten. Zwei Berliner Punkgirls, mit rot gefärbten Haaren und dickem schwarzen Kajalstrich, tanzen vor den Boxen. Susi erhofft sich »einen geilen Typen zum Ficken«. Bis jetzt sei aber »leider noch kein Passender« anwesend. Bei­de tragen demonstrativ den »Ficken«-Button. An der Bar sitzt ein schwarz gekleideter junger Mann mit kurzen Haaren, Chucks und einem Nie­tengürtel. »Gar nichts erhoffe ich mir von diesem Abend«, sagt er und nimmt einen Schluck Bier. Die Unterhaltung wird von einem circa 40jäh­rigen Mann mit weißer Schirmmütze unterbrochen. Aus voller Inbrunst grölt er etwas von »sau­fen« und umarmt eine Frau, die neben ihm steht. Nun schmettern sie ein unverständliches Duett. Die Dame hat lila/blau/pink/blondes Haar, welches sie mit zwei schwarzen Span­gen am Hin­terkopf zu Zöpfen geformt hat. Die beiden schei­nen glücklich und völlig überwältigt von der Lied­auswahl des DJs. Jörg erzählt laut und undeut­lich: »Das ist das ganz neue von Loikaemie, das heißt Sauffest! Ach nein, Trinkfest!« Seine Freundin verbessert ihn. »Der Song heißt Trinkfestigkeit«, sagt sie und gibt Jörg ei­nen Kuss. Unter den Glatzen, Iros, Tollen und Feathercuts sticht ein Mann besonders hervor. Er trägt seine Haare lang und ungefärbt, ist mit einem grünen Batikshirt bekleidet und trägt eine Brille mit runden Gläsern. Er heißt Stefan, kommt aus Bran­denburg und wirkt ein wenig verwirrt. Mit großen Augen starrt er auf die Bühne, während er mich fragt, für wen ich arbeite. Auf meine Antwort reagiert er entrüstet. »Tja, das trifft sich gut, ich arbeite für eine bessere Welt«, sagt er. »Hab’ schon verstanden. Du bist nur beruflich hier. Wie immer.« Danach fährt er sich durch die Haare, schiebt seine Brille mit dem Zeigefinger nach oben und entfernt sich ein paar Meter. Neben der Bar stehen zwei Paare aus Ludwigsfelde, die extra wegen dieser Party nach Kreuzberg gekommen sind. Die Mädels tragen tief ausgeschnittene Oberteile, Stulpen und haben beide braune Haare. Ihre Partner tragen die Haare kurz, ebenfalls braun und sind unauffällig gekleidet. »Wir sind hier, weil wir unsere Freunde aus dem Internet treffen wollten, und zum Saufen.« Auf der Bühne steht ein Mann mit Glatze, grüner kurzer Hose und Hemd. Inzwischen sind auch die Raucher im Gebäude, die Tanzfläche ist gut gefüllt. Erwartungsvoll blicken die Partygäste auf die Bühne. Dort stehen drei Stühle, ein Sicht­schutz und ein einzelner Stuhl. Der Mann stellt sich als Moderator der nun folgenden »Herzblatt«-Show vor und bittet den ersten Kandidaten auf die Bühne. Der heißt Marko und trägt eine schwarze Mütze mit langen spitzen Nie­ten, die in der Form eines Irokesen-Schnittes angeordnet sind. Er soll derjenige sein, der sich eine der drei Kandidatinnen aussuchen darf. Noch scheint das Publikum nicht sehr begeistert. Marko stellt sich kurz vor. Der Moderator grinst ihn hämisch an und witzelt: »Sag doch mal etwas Kluges!« Marko zögert nicht lange und ruft mit erhobener Faust entschlossen »Oi!« ins Mikro­phon. Gelächter geht durch die Reihen, die Stimmung lockert sich auf. Besonders lustig findet das Stefan mit dem Batik­shirt, sein hohes und ebenso lautes Lachen verstummt während der gesamten Show nicht. Der Moderator kündigt drei Kandidatinnen an. »Aber bitte keine fette!« ruft Marko noch hastig. Die Damen werden auf den Stühlen drapiert: Kan­didatin Nummer eins ist eine aufblasbare E-Gitarre, Nummer zwei ein Stofftier, die dritte Dame besteht aus einer Flasche Bier und einer Schachtel Zigaretten. Das Publikum ist amüsiert und will Marko bei der Partnersuche helfen: »Nimm die Drei!« oder: »Die Zwei hat einen geilen Schwanz!« wird gerufen. Marko ist wahr­scheinlich eingeweiht und wundert sich deshalb nicht darüber, dass alle drei Damen dieselbe Männerstimme haben. Das Spektakel dauert ziemlich lange, nach und nach verstummt das Gelächter. Schließlich wählt Marko die kühle, flüssige Kandidatin und die Zigarette danach. Nicht nur Marko hat die passende Partnerin für die Nacht gefunden. Auch die Dame mit den roten Haaren, Susis Freundin, hat jemanden gefunden. Sie steht knutschend mit einem Skinhead in schwar­zem Polohemd in einer Ecke. Im Eingangsbereich kümmert sich Bernd von Puke Music um die Gäste und Mitarbeiter. Er erzählt, dass Abgefuckt bereits »eine Million Mitglie­der« habe und dass die Plattform »Subkulturen eine Alternative zu Myspace« biete. Er freut sich, dass auf einer solchen Veranstaltung die »Sze­ne, die in und um Berlin ja besonders groß ist, end­lich mal auf einem Haufen« sein könne. Deshalb soll die Veranstaltung in Zukunft regelmäßig statt­finden. Inzwischen sind einige zu der Party dazuge­stoßen. Vor allem Skinheads. Die Räumlichkei­ten des Kato werden aber nicht komplett ausgenutzt. Thomas, ein Ska-Liebhaber mit Trai­ningsjacke und schwarzer, eckiger Brille, glaubt zu wissen, warum das so ist: »Na, die sind heute alle auf Konzerten! Ich war bis gerade auch noch bei The Madness! Ich hab’ eine Karte für 35 Euro bekommen!« Er schließt sich wieder seinen Freunden an, die bereits Schulter an Schulter tanzen. Für Fotos wird dann noch nett posiert, teils mit erhobener Faust, teils mit wü­tendem Gesicht, aber in Wirklichkeit ist hier natürlich keiner erbost. Die Musik gefällt. Tho­mas zeigt seine besten Flirttricks: Er fasst sich zwischen die Beine und simuliert Onanieren. Offenbar kam das nicht sehr gut an. Auch der junge Single an der Bar ist noch alleine, er unterhält sich mit der Barkeeperin. Für drei weitere Punks ist der Abend bereits gelaufen. Sie sitzen auf dem Boden und heben hin und wieder den Kopf, um eine Phrase eines Liedes mitzusingen oder um für die Jungle World in die Kamera zu lächeln. Plötzlich ist die Tanzfläche wieder voll. Auf der Bühne trällern zwei Damen in kurzen Röcken und Lackstiefeln, wie soll es auch anders sein, beim Tote-Hosen-Klassiker »Alles aus Liebe« mit: »Und dass uns jetzt kein Unglück geschieht, da­für kann ich nicht garantieren!« Karaoke ­kommt richtig gut an. Am Eingang und vor dem Gebäu­de ist auch prima Stimmung. Hier unterhält sich ein frischverliebtes Paar. Sie trägt hellblondes Haar und er eine Glatze. Die junge Frau resü­miert: »Naja, ich finde, dass da irgendwas Lustiges, so wie Schlager, gesungen werden sollte oder so. Aber toll ist es trotzdem.« Als hätte sie es heraufbeschworen, funktio­niert die Musik der Toten Hosen plötzlich nicht mehr, was nahezu einer Katastrophe gleicht. Doch die Veranstalter haben eine Alternative parat, »99 Luftballons« und andere Knüller aus den achtziger Jahren. Die Party kann also weitergehen. Die Stimmung hat ihren Höhepunkt erreicht. Nur ein junger Mann mit kurzen Haaren, schwar­zer Jeans und Kapuzenpulli steht schweigend in einer Ecke. »Ich bin nicht zum Flirten hier, ich kann heute nichts trinken, ich bin Fahrer.« Er ist mit seinen Freunden, die – anders als er – mehr oder weniger textsicher mitsingen und tanzen, aus Potsdam angereist. Er und seine betrunkenen Freunde sind nicht die Einzigen. »Viele kommen aus Brandenburg, Ludwigsfelde, und sogar aus Frankfurt am Main sind welche hier!« Nun wirkt er wieder euphorisch und er­klärt: »Ich bin einfach nicht so extrovertiert.« Obwohl viele extra angereist sind, bleibt der Anteil der Frauen trotz freien Eintritts echt gering. Ein fünfzehnjähriger Courtney-Love-Klon erklärt mir, warum: »Naja, mich hat noch kein einziger angesprochen. Die Kerle sind nicht zum Flirten hergekommen, sondern zum Saufen. Die benehmen sich total peinlich.« Einer ihrer Freunde ist anderer Meinung: »Nee, das Problem ist, dass vie­le Weiber ’ne feste Beziehung wollen und nicht ficken. Deshalb sind so wenige hier.« Beide haben wohl Recht. Die meisten anwesenden Mädels tragen »Ficken«-Buttons. Die, die sich eine Beziehung wünschen, sind nicht hergekommen. Die Mehrheit der Herren ist betrunken und vermutlich zu schüchtern. Das behauptet auch Susi, die am Ende des Abends wieder leer ausgegangen ist: »Ach, die trauen sich nicht mal, dich anzusprechen. Und wenn ich den ersten Schritt mache, dann stehen sie da und gucken.« Noch eines fällt bei dieser Party auf: Sie ist heterosexuell. Kein lesbisches oder schwules Pärchen ist zu sehen, und niemand scheint auf der Suche nach einer Person des gleichen Geschlechts zu sein. Inzwischen ist es halb zwei, die selbsternannten Sänger verstummen und die Originale sorgen wieder für die musikalische Untermalung des Abends. Erneut spreche ich mit Bernd. Er erzählt mir, dass es bei der nächsten Singleparty keine »Herzblatt«-Show geben werde. »Die Leute sind einfach zu jung, die kennen diese Show nicht.« Das war bereits die zweite Veranstaltung dieser Art. Bernd meint, dass heute viele nicht gekommen seien, weil sie das letzte Mal »eher Mainstream und nicht ihre Mucke zu hören bekommen haben, andere Konzerte sind jedes Wochenende, daran lag es nicht«. Mit der heutigen Musik ist er vollkommen zufrieden. »Leute mit Vorschlägen sollen sich an mich wenden, ich bin für Kritik offen.« Nach und nach leert sich das Kato. Einige Alkoholleichen perfektionieren ihre Schlafposition. Zu der Versteigerung von Menschen kam es glücklicherweise nicht mehr, da sich keiner zur Teilnahme bereiterklären wollte. Susi, der obligatorische Single an der Bar, und Courtney werden wahrscheinlich alleine nach Hause gehen. Die Bilanz des Abends: ­Oldies aus den achtziger Jahren und schlechte Anmachsprüche. Kein Kontrast zu gewöhnlichen Single­partys. Punks sind eben auch nur Menschen.