Wowereit und die Zukunft der SPD

Von Berlin lernen

In der SPD wird nach dem Mann der Zukunft gesucht. Klaus Wowereit, der derzeitige Berliner Bürgermeister, hat gute Aussichten: Er hat viele Qualitäten und vor allem keine wirklichen Konkurrenten.

Je klarer es selbst jenen Sozialdemokraten wird, die auf Kohle als Energieträger der Zukunft und auf Vollbeschäftigung als Ziel der Politik setzen, dass der büroklammerhafte Charme von Frank oder Frank-Walter Steinmeier – wer weiß das schon so genau – möglicherweise nicht ganz reichen könnte, um in der nächsten Bundestagswahl die absolute Mehrheit zu bekommen, desto lauter wird die Forderung, Klaus Wowereit solle »in der Zeit danach« die Führung der SPD und viel­leicht sogar die nächste Kanzlerkandidatur übernehmen. Der Gedanke ist durchaus naheliegend, aus einem relativ einfachen Grund: Wer sonst? Es ist ja nicht so, als ginge man im Kopf eine Liste möglicher Kandidaten durch, wöge das Haupt nachdenklich hin und her, um dann zu dem Schluss zu gelangen, dieser und jener sei wohl doch nicht so geeignet. Eher ist es so, dass da erst gar nichts im Kopf auftaucht, was man durchgehen könnte. Wer behauptet, die »Personaldecke« der SPD sei »dünn«, für den ist ein Punkt auch eine kurze Linie.
Nun also »Wowi«. Aber geht das denn? Ist das denn nicht der, der mit den »Linken« regiert? So ist es halt in Zeiten der allgemeinen Sprachver­wirrung: Da kann sich ein Teil der in Berlin regierenden Besitzstandswahrer und Upperclassbuddys »Die Linke« nennen und keiner lacht. Aber selbst die nach eigenen Angaben »aus Versehen konservativ« gewordene, publizistische Platz­pa­trone Jan Fleischhauer, für den sogar der Standstreifen auf der Autobahn am linken Rand liegt, merkt dazu an: »Ein Missverständnis hat aus Wowereit einen Linken gemacht.« So sollte klar sein, dass vom Berliner Bürgermeister nicht der Sozialismus droht.

Wowereits Vorteile sind offensichtlich. So hätte die gesamte Kabarett- und Comedy-Mischpoke jahrelang Inhalt und Brot, indem sie jeden noch so bekloppten Schwulenwitz plötzlich als der politischen Lage angemessen wieder auftischen könnte. Und würde der Mann gar Kanzler werden, könnte man sich jetzt schon auf die dummen Ge­sichter von Ahmadinejad und anderen bei Staats­besuchen und -empfängen freuen. Und schließlich: Der Mann wird immerhin bald zwei Legislaturperioden lang in Berlin »durchregiert« haben, und viele Berliner sind, im Rahmen ihrer diesbezüglich ausgesprochen rudimentären Möglich­keiten, zufrieden. Und wer Berliner befrieden kann, der könnte wohl auch Mullahs dazu bewegen, ihre homoerotischen Phantasien auszuleben, oder den Papst überreden, für »Billy Boy« Mo­dell zu stehen.
Der Mann hat außerdem Erfahrung, wie man mit einem vollständig ruinierten Haushalt regiert. »Arm, aber sexy«, bislang noch ein von der Restrepublik mit Häme bedachtes Motto, könnte bald schon das Versprechen eines besseren Lebensgefühls im Speckgürtel von Frankfurt/Main oder am Tegernsee sein. Von Wowereit kann man lernen, wie man auch dann noch Großmannssucht und Glamour wahrt, wenn man vollkommen pleite ist. Endlich könnte die Hauptstadt wie ein leuchtendes Vorbild in das Land hinausstrahlen, denn sie hat das doch alles längst hinter sich. Die Berliner können helfen, wenn es gilt, die Düsseldorfer Kö in eine Flaniermeile aus Ein-Euro-Shops, »Spätis« mit Telefonkabinen, An- und Verkaufsläden, Wettbüros, ALG-II-Beratungsstellen und Handy-Shops umzuwandeln.

Von Wowereits Berlin kann der Rest der Republik auch vorbildlich lernen, wie man alle Arten von Verhaltensauffälligen, Knallchargen und hoff­nungs­losen Fällen in die Gesellschaft eingliedern kann, ohne dass sie groß stören und ohne dass sie Behandlungskosten verursachen: Stuckrad-Barre darf einfach für die B.Z. schreiben. Ben Becker darf die Bibel vorlesen und glauben, dies sei ein origineller, nie dagewesener Einfall. Die einen Irren dürfen ihr Stadtschloss wieder aufbauen, die anderen dafür in Clown-Kostümen um einen ehemaligen Nazi-Flughafen spazieren. Die einen dürfen schön verschleiert in die Halal-Imbissbude gehen, damit die anderen die Islamisierung und den Untergang des Abendlandes beschwören können. Die einen dürfen glauben, es sei besser, sie verteilten ihre lahme Literatur von Berlin aus an die Feuilletonzombies als von Frankfurt aus. Die anderen dürfen aus Hamburg herziehen und ihr Boulevardblatt, in dem Fickanzeigen gedruckt und Volksbibeln verramscht werden, hier zusammenpanschen. Berlin nimmt sie alle und lässt sich weiter nicht stören.
Diese Seelenheil spendende, spezifische Berliner Mischung aus Ignoranz und grundlosem Selbstbewusstsein repräsentiert Wowereit wie kein Zwei­ter. Und am Ende verkauft er diese Melange als ein Lebensgefühl, das er mit dem Slogan »Be berlin« anpreist. Wie? Das ist im Rest des Landes alles auch nicht anders? Und diesen Motivations­kampagnenquatsch hat es mit »Du bist Deutschland« vorher auch schon gegeben, das ist doch al­les nur geklaut? Na eben, gerade deshalb: Wowereit ist nicht nur der richtige Mann für die SPD, sondern auch für Deutschland.