Noltes Denkwürdigkeiten

Der Briefwechsel zwischen Ernst Nolte und François Furet

François Furet, Spezialist für das 18. Jahrhundert und als intellektueller Multifunktionär in Frankreich eine Großmacht, erregte Anfang 1995 Aufsehen, als er eine voluminöse ideengeschichtliche Abrechnung mit der intellektuellen Attraktivität des Kommunismus vorlegte. In Anspielung auf Freuds religionskritische Studie "Die Zukunft einer Illusion" hieß das Buch "Le Passé d'une illusion" ("Die Vergangenheit einer Illusion"). International wurde kritisch zur Kenntnis genommen, daß sich Furet in einer langen Anmerkung ausdrücklich positiv auf Ernst Nolte bezog und ihn rühmte, das "Verbot des Vergleichs von Kommunismus und Nazismus durchbrochen zu haben". Als bald darauf Furets Wälzer hierzulande unter dem Titel "Das Ende einer Illusion" auf den Markt kam, witzelte Hans-Ulrich Wehler in der Zeit: "Wetten sind erlaubt: Es wird nicht lange dauern, bis Nolte sein Erstgeburtsrecht auf die Ideologiegeschichte der nationalsozialistischen 'Antwort' auf die bolschewistische 'Herausforderung' gegen die Konkurrenz des Pariser Ex-Linken geltend machen, die russischen 'Roten' noch einmal als eigentliche Ursache der deutschen 'Braunen' erfinden und seine verquaste Verständnisbereitschaft selbst gegenüber dem nationalsozialistischen Antisemitismus erneut bekunden wird."

Tatsächlich war Nolte in französischen und italienischen Zeitschriften mit Beiträgen gleich zur Stelle, und daraus entstand der nun in deutscher Sprache vorliegende Briefwechsel zwischen Furet und Nolte. Substantiell Neues sucht man in dem Band vergebens - von Interesse allerdings ist, wie Nolte über (den kürzlich verstorbenen) Furet zu triumphieren und damit geschichtsphilosophisch Punkte zu machen sucht. Gleich zu Ende seines ersten Briefes an Furet schreibt Nolte, "daß ich mich selbst kaum weniger als Sie zu Ihrem Buch beglückwünsche". Furet hätte diese vergiftete Gabe zurückweisen können. Statt dessen setzte er einen Großteil seines intellektuellen Renommees aufs Spiel. Und verlor.

Furet, bis 1956 Kommunist, tauscht seine Illusionen über Stalin gegen Illusionen über Nolte. So heißt es in jener Anmerkung, die auch die Briefe einleitet, man könne Nolte "nicht als 'Auschwitz-Leugner' bezeichnen". Das ist richtig, übersieht aber zweierlei: Erstens hat Nolte in seinem Buch "Streitpunkte" (1993) die kruden Thesen von Negationisten als wissenschaftlich diskussionswürdig behandelt, den Auschwitz-Leugnern damit einen Teilerfolg bereitet und sich selbst in der rechtsextremen Presse dafür verwendet. Zweitens liefert Nolte, wenn er über die Judenvernichtung schreibt, ohne für die Auschwitz-Leugner zu werben, doch Rechtfertigungen der Vernichtung. Zutreffend schrieb Micha Brumlik, Nolte sei "der erste deutsche, einigermaßen renommierte Gelehrte, der sowohl den Antisemitismus als auch den Holocaust nicht nur 'versteht', sondern offen rechtfertigt".

Auffällig (nur nicht für Furet) ist auch, daß und wie Nolte sich bei Auseinandersetzungen mit seinen Kritikern auf jüdische Kritiker einschießt: In "Die Deutschen und ihre Vergangenheiten" (1995) porträtiert sich Nolte als Opfer einer "schweren Gefährdung der geistigen Freiheit", machte Ignatz Bubis als Strippenzieher von "Einflußnahmen im Hintergrund" aus und beschimpfte ihn als "Wegbereiter (...) der systemwidrigen Zerstörung der geistigen Freiheit in Deutschland". Dafür, "daß auch die Politische Redaktion der FAZ den Bruch mit mir vollzog", schob Nolte in verquerer Frageformulierung Marcel Reich-Ranicki die Verantwortung zu.

Doch mit solchem Kleinkram braucht sich ein Mitglied der Académie Fran ç aise wohl nicht aufzuhalten. Zwischenzeitlich hat Furet im Briefwechsel indes lichte Momente - da zischelt er von Professor zu Professor. So mahnt er, man müsse "Zweideutigkeiten vermeiden. Ich habe Sie weder im Verdacht, Antisemit zu sein, noch, das Verbrechen des Juden-Völkermordes vertuschen zu wollen. (...) Aber weshalb erwecken Sie dann den Eindruck, Erklärungen für den Faschismus in einem Präzedenzfall, der unter einem anderen Regime und in einem anderen Land auftrat, suchen zu wollen?" Nolte bemerkt die Spitze und antwortet ausweichend, Furet merkt immer noch nichts. Und nachdem Nolte über etliche Seiten für die Anerkennung der Auschwitz-Leugner als Teilnehmer im wissenschaftlichen Diskurs geworben hat, antwortet Furet knapp, er nehme diese Literatur kaum zur Kenntnis, weil seine bisherige Lektüre bei ihm "den Eindruck hinterlassen hat, es handle sich um Autoren, denen es weniger auf die Wahrheit ankommt, als darauf, sich der alten Leidenschaft des Antisemitismus hinzugeben". Höchst ambivalent ist allerdings der folgende Satz: "Auch ich bin Ihrer Meinung, daß eine Zurückweisung der 'negationistischen' Thesen (ich ziehe diesen Terminus dem Begriff 'revisionistisch' vor, weil ja das historische Wissen in einem Prozeß ständiger 'Revision' früherer Theorien voranschreitet) in keiner Weise dem Fortschritt im Weg steht." Geht Furet Nolte hier auf den Leim? Es wird sich zeigen, ob Furet demnächst in Nachfolge oder Ergänzung Noltes in der einschlägigen braunen Literatur als Gewährsmann auftaucht.

Strittig bleibt zwischen Nolte und Furet Noltes krude These, der Archipel Gulag sei "ursprünglicher" als Auschwitz. Noltes ideologiegeschichtliche Spekulationen über einen "rationalen Kern" des Nazi-Antisemitismus weist Furet zurück. Er beharrt gegen Nolte auf spezifisch deutsche Ursprünge des Nazismus. Die "Ursprünge des Nazismus" waren "älter und spezifischer deutsch (...) als die Feindschaft gegenüber dem Bolschewismus. Bevor man die Juden zu Sündenböcken für den Bolschewismus gemacht hat, waren sie bereits diejenigen für die Demokratie gewesen. (...) Auch hier komme ich wieder auf die besondere Gewalttätigkeit der deutschen Kultur gegenüber der modernen Demokratie als erklärendes Element für den Nazismus zurück, das bereits vor dem Bolschewismus existiert hat. Was Sie (Nolte; A.S.) den 'rationalen Kern' des Antisemitismus nennen, bestand in meinen Augen vielmehr in der imaginären Überlagerung von zwei aufeinanderfolgenden, jedoch nicht miteinander unvereinbaren Verkörperungen der Modernität durch die Juden."

Wie kaum anders zu erwarten, ist Nolte für solche Argumente nicht zugänglich. Ihn interessiert lediglich, durch Furet rehabilitiert zu werden. Über die Aufhebung seiner "Exkommunikation" gerät Nolte in Ekstase. Die Vernunft fährt Karussell, und man weiß als Leser schließlich kaum mehr, wo einem der Kopf steht, wenn Nolte schräge Analogien und Fragen, Vergleiche und Konditionalsätze auffährt. Kostproben des großen Schwindels: Die Schwäche marxistischer Faschismustheorien, die Shoah auszuklammern, spielt Nolte geschickt aus und stülpt in Form einer Frage seiner Faschismusauffassung "nicht ganz ohne Spott" die Maske einer traditionsmarxistischen Konzeption über: "Was haben denn alle marxistischen Theoretiker stärker hervorgehoben, als daß die Faschisten verzweifelte und zum Scheitern verurteilte Reaktionen der Bourgeoisie gegen das siegreiche Vordringen der proletarischen und sozialistischen Bewegung gewesen seien?"

Als schriebe ein drittklassiger Autor von Verwechslungskomödien auf Ecstasy ein Stück über Totalitarismustheorien, fährt Nolte fort: "Die historisch-genetische Version (die Version Noltes; A.S.) der Totalitarismustheorie ist der marxistischen Auslegung ein gutes Stück näher als die 'klassische' oder strukturelle Version, oder vielleicht ist es gerade dieser Tatbestand, der so viel Zorn hervorruft. (Ö) Die Nähe zur marxistischen Auffassung impliziert ja zugleich eine gewisse Nähe zu der faschistischen Deutung, die von der marxistischen so offenkundig innerlich abhängig ist."

Was soll man von dieser "feindlichen Nähe" halten? Plaudert Nolte hier aus, daß seine Totalitarismustheorie "eine gewisse Nähe zu der faschistischen Deutung" habe? Gesteht er hier ein, daß seine Theorie das, was sie erklären soll, reproduziert? Bekennt Nolte endlich, was man ihm schon länger vorwirft, sich nämlich auf dem Wege "phantasmatischer Hineinversetzung" (W. F. Haug) zum kongenialen Interpreten Hitlers zu machen?

Hitlers williger historiographischer Vollstrecker hat noch mehr zu bieten: So ganz nebenbei zaubert er, wohlgemerkt im Indikativ, einen rein hypothetischen "Nationalsozialismus" als legitimen deutschen Nationalismus aus dem Hut, muß aber - womit die Übung jeglichen Sinn verliert - gleich einräumen, daß dieser "schon in der Gestalt der Entrechtungsforderung von Punkt 4 seines Parteiprogramms (...) ein illegitimer Exzeß" gewesen sei. Schließlich kann es sich Nolte nicht verkneifen, sich - fragend, versteht sich - als Freund "der Juden" zu erweisen. "Tut man den Juden nicht ebenso Unrecht wie (per impossibile) den Deutschen, wenn man behauptet, aller Antijudaismus und Antigermanismus, deren Anfänge sich ja schon in der Antike aufzeigen lassen, hätten auf bloßen Voreingenommenheiten beruht?"

Bevor nun jemand nachschlägt, ob die Römer die geschlagenen Mannen Hermanns massenhaft vergasten, sei gleich Noltes Anschlußfrage zitiert: "Könnte nicht die Frage nach dem 'rationalen Kern' des nationalsozialistischen Antijudaismus einen Zugang zum adäquaten Verständnis anderer 'Anti-Haltungen' eröffnen, die man unter moralischen Gesichtspunkten beklagen mag, die aber einen so wesentlichen Teil der Weltgeschichte ausmachen?"

Der Gegenwart bescheinigt Nolte "Situationslosigkeit". Das ist wenig originell. Originell aber ist, wo er Gefahr im Verzug sieht: "Ich sehe in der Tat eine konkrete Gefahr: daß der völlig entfesselte und die ganze Welt durchherrschende 'Kapitalismus' das geistige Vakuum, das er nach sich zieht, von einem 'Antifaschismus' ausfüllen läßt, der die Geschichte ebenso amputiert und simplifiziert, wie das ökonomische System die Welt uniformiert."

Soll man sich darunter eine Allianz aus Globalisierung und VVN vorstellen, die die deutsche Identität bedroht? Oder gleich die Person benennen, die als Immobilien-"Spekulant" (Komponente "'Kapitalismus'") Geschichtsrevisionisten vom Schlage Noltes übers Maul fährt (Komponente "'Antifaschismus'")? Jürgen Habermas charakterisierte vor einigen Jahren Noltes Ergüsse, die den Nazismus als präventive DDR-Verhinderung rechtfertigten, zu harmlos als "Träume eines Geistersehers". Wenn das schon eine Anspielung auf einen berühmten Text über Obskurantismus sein soll, dann wäre eher an Daniel Paul Schrebers "Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken" zu denken. Diese Quelle zum Thema Paranoia und Politik gewinnt angesichts der Welle von Versatzstücken aus antisemitischen Verschwörungstheorien an Aktualität; daß Nolte von Frank Schirrmacher in der FAZ und Jost Nolte in der Welt durch den Briefwechsel mit Furet wieder rehabilitiert wird, ist nur die sich mäßigende Variante des aus Identitätspanik neu erwachenden kollektiven Wahns.

François Furet / Ernst Nolte: Feindliche Nähe. Kommunismus und Faschismus im 20. Jahrhundert. Ein Briefwechsel. Herbig, München 1998, 125 S., DM 34