Passen Frauen zusammen?

Und sie bewegt sich doch!

Hexengeflüster gegen Befreiung im Singular. Ein Besuch im Orlanda Frauenverlag in Berlin.

Auf dem großen ovalen Tisch liegt eine dunkelblaue Lacktischdecke. Ekpenyong Ani und Ika Hügel-Marshall beantworten meine Fragen. Neben der Pressereferentin und der Lektorin, die seit acht bzw. vier Jahren im Orlanda-Kollektiv arbeiten, gibt es noch eine weitere feste Mitarbeiterin, eine "feste Freie" für die Technik und Herstellung der Bücher, einige Praktikantinnen und die Geschäftsführerin Dagmar Schultz, die als einzige der heutigen Belegschaft auch zu den Gründerinnen des Verlages gehört.

Gegründet wurde der Verlag 1974. In einer Orlanda-Selbstdarstellung heißt es, es habe sich damals um einen Betrieb mit Produktion im WG-Wohnzimmer gehandelt.

Das Projekt hieß ursprünglich "Frauenselbstverlag" (zwischen 1980 und 1986 "sub rosa") und wurde mit einem hohen politischen Anspruch geboren: Bücher machen als politische Tätigkeit, nicht um Geld für den Eigenbedarf zu verdienen, sondern um sich politisch einzumischen. Mit Überschüssen wurden Kredite und Unterstützungen für andere Frauenprojekte in Westberlin finanziert, aber auch Frauengruppen in Südafrika und in anderen Ländern bedacht. Das erste Buch des Frauenselbstverlages war Mathilde Vaertings "Frauenstaat und Männerstaat". Eines der nachfolgenden wurde zum Renner in den überall neu gegründeten Frauenbuchläden und Frauengesundheitszentren: "Hexengeflüster" - ein Aufklärungsbuch über den weiblichen Körper und Aufruf zur Verweigerung männlich dominierter Medizin. Selbsthilfe hieß das in den siebziger Jahren. Der Titel ist immer noch lieferbar und läßt sich verkaufen.

Wir sitzen in der Verlagsküche, einem großzügigen Raum, in dem es neben Plakaten an der Wand, Stapeln von Zeitschriften und den Informationen des deutschen Buchhandels auch Grünpflanzen am Fenster und eine richtige Kücheneinrichtung gibt. Er dient als Versammlungs-, Besprechungs- und Pausenraum. Manchmal, aber selten, wird hier auch gekocht. Ja, sie verstehen sich nach wie vor als Kollektiv, auch, wenn die offizielle Bezeichnung des Betriebes schon seit 1982 eine GmbH ist. Es habe auch, wie in jedem Frauenprojekt - aber nicht mehr in den letzten Jahren - Streitereien gegeben, Auseinandersetzungen um Inhalte. Vor allem aber auch fruchtbare Diskussionen, die die Grundlage dafür bildeten, daß Orlanda nicht zu einem Spiegelbild, aber einem Aushängeschild der bundesdeutschen Frauenbewegung wurde. Mutterkult und Esoterik wurde nie verlegt. Die Frage danach, ob es sich bei den Verlagsfrauen um Feministinnen handelt, erübrigt sich. Immerhin sind viele der wichtigsten feministischen Buchbeiträge und Theorie-Debatten, die auf dem bundesdeutschen Markt erschienen, hier produziert worden.

Etwa zweihundert Bücher in 24 Jahren. Einige Kleinode, Schätze sind darunter: "Ich hörte den Vogel rufen" von Sally Morgan, die Lyrikbände der 1996 verstorbenen May Ayim, "Macht und Sinnlichkeit" von Audre Lorde und Adrienne Rich. Die beiden letztgenannten Autorinnen spielten eine wichtige Rolle für den Verlag. Mit und nach der Veröffentlichung im Jahre 1983 sei es zu einem neuen Themenschwerpunkt gekommen, erzählen die beiden Orlanda-Mitarbeiterinnen, und zwar einem, den die hiesige Frauenbewegung nicht besonders mochte oder honorierte: Rassismus und Antisemitismus.

Das waren bis dahin eher Fremdwörter in den Ohren deutscher Feministinnen gewesen. Bis dahin hatte der Verlag hauptsächlich mit politischen Sachbüchern in den Themenbereichen Frauenkörper / Gesundheit und Sexuelle Gewalt von sich reden gemacht. Eines der ersten Bücher über Frauenhausarbeit erschien hier, das allererste auf dem deutschen Büchermarkt, das sich mit sexuellem "Mißbrauch" beschäftigte (Florence Rush: "Das bestgehütete Geheimnis") und 1984 das Standardwerk "Naturheilkunde in der Gynäkologie" von Rina Nissim, einer Schweizer Heilpraktikerin, das gerade neu bearbeitet wieder aufgelegt wurde.

Die beiden Verlagsmitarbeiterinnen, die mir gegenüber sitzen, gehören zur Minderheit der schwarzen Deutschen, sind aktiv in den feministischen Gruppierungen, die sich mit Rassismus und antisemitischen Verhaltensweisen der hiesigen Frauenbewegung auseinandersetzen. Ika Hügel-Marshall, die gerade ihre Autobiographie veröffentlicht hat, gehört zu den Autorinnen des ersten zusammenfassenden Buches ("Entfernte Verbindungen") zu diesem Thema. In diesem 1993 erschienenen Titel wurden ungewohnte Töne angeschlagen: "Klassenunterschiede werden in der deutschsprachigen feministischen Literatur nicht thematisiert, abgesehen von einigen Veröffentlichungen sozialistischer Feministinnen zu Klasse und Geschlecht, die sich eher dem linken Spektrum zuordnen lassen als der Frauenbewegung. Weder die deutsche Frauenforschung noch die feministischen Theoretikerinnen machen die Klassenfrage zum Gegenstand ihres politischen Diskurses." (Ilona Bubeck)

"Viele Ausländerinnen hatten wie ich die Erfahrung gemacht, daß es schwierig war, in die deutsche Frauenbewegung hineinzukommen und dort dann auch akzeptiert zu werden. Der Grund lag für uns eindeutig im 'weißen' feministischen Vorurteil, daß Frauen aus anderen Ländern der Welt auch andere Bezüge zu Sexualität, zu Männern, zum Patriarchat und so weiter hätten." (Stella Benhavio) "Diesen Sommer werde ich meinen Standort nach New York verlegen. Damit endet ein Abschnitt meiner Geschichte, der 1984 mit der Entstehung des lesbisch-feministischen Schabbeskreises begann und der Teil der Westberliner Frauengeschichte und jüdischer Geschichte im Nachkriegsdeutschland ist. (...) Für mich gilt, daß ich es müde bin, mich im deutschen Kontext aufzureiben. Ich will es nicht mehr aushalten müssen, hier jüdisch zu sein. Ich gehe fort und wünsche Euch, die Ihr zurückbleibt, daß Ihr Wege zu neuen Bündnissen und zu weiterem politischen Handeln findet." (Maria Baader)

Das Orlanda-Kollektiv besteht nicht zufällig aus mehrheitlich schwarzen Frauen bei den Festangestellten. Das sei eine Frage der Umsetzung von der Theorie einer Erkenntnis in die Praxis, sagen die beiden Frauen, so, als sei dies selbstverständlich, so zu sprechen und zu handeln. - Nein, die Antirassismus-Titel haben dem Verlag keineswegs viel Erfolg eingebracht, nur wenige der Frauenzusammenhänge und noch weniger Theoretikerinnen der feministischen Szene im Land setzten sich damit auseinander.

Eine der rühmlichen Ausnahmen, Christina Thürmer-Rohr, veröffentlicht ihre Texte ebenfalls bei Orlanda. In einem Essay über die hiesige Frauenbewegung, 1994 veröffentlicht, heißt es: "Die weiße Frau in den Wohlstandszivilisationen des weißen Mannes krankt an einem schweren Symptom, das diese Kultur hervortreibt: an einer interessearmen Haltung zur Welt und zu den Anderen, an der Verengung des Blicks für die eigene Person, an einer Ethik der Eigenliebe, an dem Glauben, das Ich im Ich finden zu können statt in der Begegnung und Konfrontation, der Zuwendung und Zuneigung, der Kritik und Dissidenz. Die Frauenbewegung im engeren und im weiteren Sinne ist über dieses Symptom nicht erhaben, im Gegenteil scheint es sich hier besonders auszubreiten. (...) Die Rede von Selbstverwirklichung, Selbstaktualisierung, Selbstentdeckung, Selbstentfaltung ist keine Erfindung der Frauenbewegung. Sie ist auch kein spezifischer Wunsch der Frau, sondern sie entspricht einem ganz konventionellen reaktionären Denkmodell. Diese ignoriert die Herrschaft von Menschen über Menschen, Kulturen über Kulturen, es leugnet die beständige Herausforderung, diese zu dekonstruieren."

Sie wollen ein Forum bieten für politische Diskussionen, für politisches Eingreifen, benennen meine Gesprächspartnerinnen die Ziele des Frauenverlages. Kann sich mit einem solchen Anspruch ein Verlag, auch wenn er gut eingeführt ist und mehrere Bestseller produzierte, heute noch halten? - Es sei schon recht bitter, sie bangten um ihre Existenz. Die Frauenbewegung sei eben dabei zu sterben - was braucht es dann noch Theorie? Die Auflagenzahlen sinken. - Seit wann? - Es ist eine Entwicklung, die in den neunziger Jahren eingesetzt hat. Gute und spannende Bücher zu machen, das sei eben nicht mehr so gefragt. Dabei habe es gerade die hiesige Frauenbewegung sehr nötig, auch Theoriedebatten zu führen, sich mit dem eigenen Rassismus auseinanderzusetzen. "Das sind die Frauen in den USA oder auch in Großbritannien viel weiter."

Im Flur der Verlagsräume steht ein Archiv-Regal. Hier stehen sie alle, die alten Renner der Frauenbuchläden. Wie ein Brennglas zeigen sie eine Epoche, die vorbei zu sein scheint. Das erste Computerbuch für Frauen, der erste Ratgeber für sexuell mißbrauchte Frauen, "Wie weibliche Freiheit entsteht" von der Libreria delle donne di Milano, "Vagabundinnen" von Thürmer-Rohr. Daneben stapeln sich Postkisten. Ein Tisch mit offen herumliegenden Briefmarken. Es herrscht eine stille, arbeitsintensive Atmosphäre. Bücher, Bücher, Bücher. Fotos von Audre Lorde, viele schöne Fotos vieler schöner älterer Frauen...

Auf dem Weg zur U-Bahn ein Fleurop-Plakat: "Frauentag ist Männersache!" Mitfinanziert vom Europa-Parlament. Es ist zum Heulen.

Ilona Bubeck, "Eine neue bürgerliche Frauenbewegung?"; Stella Benhavio, "Türkische Staatbürgerin jüdischer Herkunft in Deutschland"; Maria Baader, "Zum Abschied. Über den Versuch, als jüdische Feministin in der Berliner Frauenszene einen Platz zu finden"; alle in: Hügel, Lange, Ayim u.a. (Hrsg.): Entfernte Verbindungen. Rassismus Antisemitismus Klassenunterdrückung, Orlanda Frauenverlag, Berlin 1993

Christina Thürmer-Rohr: "Befreiung im Singular. Zur Kritik am weiblichen Egozentrismus", in: Verlorene Narrenfreiheit,Orlanda Frauenverlag, Berlin 1994