Mit Hillary und Billary für den Krieg?

Wolfgang Pohrt über die Golfkrise 1991 und 1998, das Elend der Friedensbewegung und den falschen Abschied von der Linken

Während des letzten Golfkrieges haben Sie eine scharfe Polemik in der konkret geschrieben, die berühmt, für einige auch berüchtigt geworden ist. Gegen die Kriegsgegner gerichtet haben Sie geschrieben: "Das Wort vom Linksfaschismus stellt sich als Untertreibung dar, weil man sich die Vorsilbe 'links' sparen kann, und die Regel lautet: Je weiter links einer stand, ein desto engagierterer Nazi ist er nun." Wie sind Sie damals zu dieser Einschätzung gekommen?

Damals - das ist nun nicht nur sieben Jahre her, sondern Vorvergangeheit geworden, eine Zeit, in die man sich kaum noch zurückdenken kann. Wenn es jemanden heute wirklich noch interessieren sollte, auf welche Beobachtungen und logischen Schlüsse sich meine Einschätzung des hiesigen Golfkriegspazifismus damals stützte, kann er es nachlesen in meinem Buch "Das Jahr danach", erschienen 1992. Ob sich die Mühe lohnen würde, weiß ich nicht. Denn nicht nur ist 1991 inzwischen Vorvergangenheit, sondern der damalige Golfkriegspazifismus war schon zu Lebzeiten eine Mumie. Die Landsleute hatten nochmal ihr Erfolgsstück von 1981 ff. ins Programm genommen - Atomtod, Weltuntergang etc. Die ganze Nummer war ein Oldie, ein Remake. Eine Sache ohne Zukunft und Fortsetzung eben - ein Abgang.

In der antinationalen Linken war damals nicht umstritten, daß man den Antizionismus / Antisemitismus der Pazifisten scharf angreifen muß. konkret-Redakteur Oliver Tolmein und andere kritisierten aber, daß Sie dies mit einer Kriegsbefürwortung verbanden. Wie würden Sie heute, mit einigem Abstand, diese Kritik an Ihrer Position sehen - insbesondere was Ihre Zuspitzung angeht, Israel möge eine B- und C-Waffen-Attacke "hoffentlich mit Kernwaffen zu verhindern wissen"?

Klingt mir ein bißchen, wie wenn jemand über die Nazis sagt: Das mit den Juden war zwar ein böses Ding - aber die Autobahnen. Ich weiß nicht, wie man den Antisemitismus der Pazifisten scharf angreifen kann, ohne diese Pazifisten generell abzulehnen. Ich kann doch zu jemandem nicht sagen: Du bist ein Antisemit, das kritisiere ich an dir, aber sonst finde ich deine Politik ganz vernünftig.

Nachträglich muß ich freilich einräumen, daß mein nur in konkret erschienenes Pamphlet die Schwäche derjenigen teilt, gegen welche es sich richtet. Mischt man sich in aktuelle Kontroversen ein, so teilt man halt zwangsläufig deren Niveau. Zu erkennen ist der Mangel schon an der Form. Mit gutem Grund hatte ich nie zuvor in einem Artikel "ich" geschrieben, mit gutem Grund habe ich es später nie mehr getan. Und grundsätzlich gilt: Wenn linke Schreiber den Frieden oder den Krieg meinen befürworten zu müssen, leiden sie stets unter Realitätsverlust und einer gewissen Aufgeblasenheit. Wenn unsereiner so tut, als ob die, welche über Krieg und Frieden entscheiden, auf ihn hören würden, macht er sich lächerlich. Mein Fehler war, daß ich mich von den friedensseligen Israel-Hassern zum Widerspruch provozieren ließ. Man soll eben nicht mit Leuten streiten, bei denen nicht mal das Gegenteil von dem, was sie sagen, richtig ist.

Ihre Intervention und ähnliche Beiträge haben der konkret damals einen Rekordverlust an Abos beschert. Da das kein Maßstab sein kann - vermutlich war es gut, diese Idioten loszuwerden -, soll etwas allgemeiner gefragt werden: Wurde durch Ihre Intervention die gesellschaftliche Opposition im neuen Deutschland geschwächt oder gestärkt? Was hätten Sie im Rückblick lieber anders gemacht?

Was haben Sie gegen zahlende Kunden? Mir jedenfalls tut es leid, daß konkret damals eine ganze Menge Abonnenten verlor. Weitere schwerwiegende schädliche oder günstige Nebenwirkungen sehe ich hingegen nicht. Was nicht vorhanden ist, kann ein anderer weder schwächen noch stärken, und wäre er der Allmächtige selbst. Ob Sie Null mit Zehn multiplizieren oder durch Zehn teilen, bleibt sich gleich. Da war nichts zu dezimieren, und das wissen Sie, sonst würden Sie nicht einen Begriff verwenden, unter dem keiner sich was Genaues vorstellen kann. "Gesellschaftliche Opposition" ist ein Nullwort, welches Ihre Verlegenheit ausdrückt, präzise zu benennen, was Sie meinen, weil das, worauf Sie zeigen wollen, nicht vorhanden ist.

Zugeben muß ich allerdings, daß meine Texte bisweilen eine von mir keineswegs bezweckte Wirkung hatten. Unter den alten Linken aus der Protestbewegungsgeneration gab es manche oder viele, die mit dem Vaterland und seinem Establishment vornehmlich deshalb gehadert hatten, weil ihnen die Bundesrepublik ganz einfach zu klein gewesen war. Die BRD war ein Land, in welchem ihr gewaltiger, nach Weltgeltung strebender Ehrgeiz sich nicht befriedigen ließ. Deshalb hielten sie sich an universellere Dinge, an die Moral und an die Revolution. Im Jahr 1990 wurde ihnen allmählich klar, daß sie umsatteln mußten, es war mal wieder ein Paradigmenwechsel fällig. Mit der Revolution war's Essig, aber das verdoppelte Deutschland schien eine Firma von der Größe zu werden, bei der sich das Karrieremachen wirklich lohnt. Problem: Wenn meine Nase neue Marktchancen wittert, wie kann ich sie wahrnehmen, obgleich mein Berufsbild doch gleichzeitig von mir verlangt, daß ich nicht als Opportunist zu erkennen bin? Lösung: Ich muß meinen Gesinnungsschwenk als ein Produkt tieferer Einsicht ausgeben. Das war der Grund dafür, warum in manchen Zirkeln nach 1989 die Stalinismuskritik in Mode kam. Typisch deutsch vielleicht, immer den Helden spielen zu wollen, wenn der Gegner eine Leiche ist.

Ich kann mir nun denken, daß manchen dieser Leute meine Texte willkommen waren. Weil sie im doppelten Deutschland eine staatstragende Rolle spielen wollten, brauchten sie eine Begründung dafür, sich von den Linken zu distanzieren, und diese Begründung bekamen sie von mir. Ich habe ihnen gewissermaßen die Brücke gebaut, über die man von der Parteinahme für die Revolution zur Begeisterung für die Zivilgesellschaft und ähnlichem Krimskrams kommt. Sie nahmen meine Verurteilung der hiesigen Linken als Vorwand dafür, künftig das Wort "Kapitalismus" meiden zu dürfen.

Aber natürlich hätten die das Ziel auch ohne meine Brücke erreicht. Mein Beitrag mag für mich persönlich manchmal ärgerlich sein, objektiv geschadet hat er nicht.

Bezog sich Ihre Einschätzung, daß das Links-/Rechtsschema in Deutschland "gleichsam umgepolt" sei, FAZ und Bild-Zeitung also Vernünftigeres zu sagen haben als taz und PDS, nur auf die Golfkrise 1991? Anders gefragt: Waren letztere nicht, bei aller notwendigen Kritik, in den folgenden Jahren Teil der Opposition gegen die rassistische Entwicklung, namentlich in der Asylfrage?

Kein schlechter Witz, daß Sie der taz und der PDS es als Verdienst anrechnen, gegen die restriktivere Asylgesetzgebung gewesen zu sein. Normalerweise mißt man politische Parteien nicht daran, was sie angeblich wollten, sondern an dem, was sie tatsächlich erreichten. Außerdem darf man bei taz und PDS sicher sein, daß sie die restriktivere Asylgesetzgebung exakt so lange verhindern wollen, wie sie das nicht wirklich können. Die humanitäre Geste leistet man sich, solange sie nichts kostet. Also keine Märchen bitte. Über die "Opposition gegen die rassistische Entwicklung" weiß ich wirklich zu gut Bescheid.

Im Frühjahr 1991, der Golfkrieg war gerade zu Ende, tauchten in der Presse gehäuft kleinere Meldungen aus der Zone auf: Ausländer verprügelt, Farbige erschlagen etc. Ich schlug konkret vor, das Thema aufzugreifen und eine Geschichte zu bringen. Die Redaktion fand nur keinen, der sich für das Thema erwärmen ließ, ich mußte die Sache selber schreiben. Erinnern Sie sich noch an die Nacht von Rostock? Nennen Sie mir einen Ort in der BRD, wo es am nächsten Tag zu spontanen Massendemonstrationen gekommen wäre. Die Ausländer hier hätten nichts zu lachen gehabt, wären sie auf die Unterstützung der Linken angewiesen gewesen. Man ließ von den Türken ab, nicht weil die Linken ihnen halfen, sondern weil einerseits die Türken selbst sich ganz gut zu wehren verstanden, und weil außerdem mit der türkischen Regierung nicht zu spaßen ist.

Überhaupt war das miserable Echo im Ausland der Grund dafür, daß die Presse schließlich doch gegen die Ausländerhatz mobilisierte. Die "Lichterketten" hatte die Süddeutsche Zeitung eigens erfunden zu dem Zweck, daß sich die Landsleute gut sichtbar ins rechte Licht stellen. Der Trick funktionierte dann auch ganz fabelhaft. Die Rechtsradikalen standen plötzlich als Nestbeschmutzer und Gemeinschaftsschädlinge da, die den Landsleuten bei ihrem heroischen Kampf um die Weltmeisterschaft im Lichterkettenbilden in den Rücken fielen. Nicht vergessen soll man übrigens, daß die Ausländerpolitik der Bundesregierung so ambivalent war, wie es die Ausländerpolitik jeder konservativen Regierung ist. Die schlägt zwar aus der völkischen Hetze gegen Ausländer politisches Kapital, andererseits holt sie aber die Ausländer auch massenhaft ins Land, einmal, um aus ihrer Anwesenheit politisches Kapital schlagen zu können, und außerdem werden die Ausländer als Lohndrücker gebraucht. Den Widerspruch kann man ganz gut an der FAZ studieren, wo gleichzeitig die besten und die schlimmsten Kommentare zur Ausländerhatz erschienen sind.

Beim aktuell anstehenden Golfkrieg gibt es bisher kaum Demonstrationen. Die Friedensbewegung scheint tot. Ist diese neue deutsche Wurstigkeit nicht noch viel schlimmer als die aufgeregte Betroffenheit der Peaceniks, die doch immerhin einen Resonanzboden für unsere Kritik bot?

Stellen wir uns doch mal vor, es käme morgen die Nachricht, irgendwo sei eine amerikanische Botschaft oder ein amerikanisches Militärdepot in die Luft geflogen, oder ein Terrorkommando habe das Kunststück geschafft, einen dieser ekelhaften amerikanischen Flugzeugträger zu versenken. Jeder verstünde das. Es geht einfach zu weit, daß die US-Armee mit ihrem High-Tech-Spielzeug Menschenleben gefährdet, bloß weil dieses Bübchen von einem Präsidenten seine Pavian-Manieren vergessen machen will.

Die fettige, plumpfüßige Art, wie die USA nun weltweit ihre imperialen Ambitionen durchsetzen, provoziert ungemein. Und gleichzeitig ist der Punkt erreicht, wo man nach politischen Vorteilen und Nachteilen schon gar nicht mehr fragen mag. Mit Hillary und Billary und ihrem Kumpanenkreis ist nun in den USA eine Generation ebenso bigotter wie maßlos ehrgeiziger Trickser am Ruder. Es ist die gleiche Generation, die sich hier von der nächsten Bundestagswahl die schönsten Aussichten verspricht. Die Tatsache, daß er sich als junger Mann vor dem Vietnamkrieg drückte, hindert diesen Clinton nicht daran, bei Armeebesuchen in Militärklamotten herumzustiefeln. Sowas ruft Ekel hervor, und wer diesen männlichen Ausgaben von Lady Di, ob sie nun Clinton heißen oder Tony Blair, ans Schienenbein tritt, hat einfach Applaus verdient.

Stellen wir uns nun statt dessen vor, hier wäre wieder die Friedenbewegung zugange. In Dresden findet eine Gedenk- und Mahnwache mit Hungern für den Frieden statt. Die Pfaffen erklären uns, warum die Deutschen - gebranntes Kind scheut das Feuer - grundsätzlich gegen Bomben sind. Die Kinder werden von Eltern und Lehrern verrückt gemacht: Es könnten ja Giftgasschwaden bis nach Deutschland ziehen. Die verrückt gemachten Kleinen werden dann vorgeführt: Sie hätten nachts Albträume und müßten wegen traumatischer Störungen zum Psychiater. In der Talk-Show darf irgend so ein korrupter, machtgieriger kleiner PLO-Wicht erzählen, an allem wären die Juden schuld, obgleich jeder weiß: Wenn man die Palästinenser richtig leiden sehen will, muß man ihnen einen eigenen Staat schenken. Sie bekämen dann nämlich den, den die Irakis, die Marokkaner, die Ägypter, die Saudis und überhaupt die ganzen anderen arabischen Blutsbrüder schon haben.

Dann stünden wir wieder vor dem Problem, die imperialen Ambitionen der USA ignorieren und uns statt dessen mit der hiesigen völkischen Hysterie beschäftigen zu müssen. Gut also, daß die Landsleute still sind. Das hilft, die Fronten und die Lage zu klären. Das wiederum wäre die Voraussetzung dafür, daß gegen die globale Hegemonie des Kapitals sich ein massenhafter Widerstand bildet, der seine Stärke aus seiner Wahrheit bezieht.

Wolfgang Pohrt ist Sozialwissenschaftler und lebt in Stuttgart. Zuletzt erschien von ihm "Brothers in Crime" (Berlin 1997)