Solidarität mit der iranischen Opposition und mit Israel

Solidarität mit Israel gehört dazu

Neutralität hinsichtlich der Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel darf es unter den Gegnern des iranischen Regimes nicht geben.

Kaum etwas lässt sich schwerer beantworten als die Frage, wohin die gegenwärtigen Proteste im Iran und die Spannungen innerhalb des Regimes führen werden. Die auf den Demonstrationen allgegenwärtigen »Allahu-Akbar«-Rufe sind, wie Thomas Schmidinger in der vorigen Jungle World (31/09) richtig schreibt, auch eine taktisch motivierte Rückbesinnung auf den Schlachtruf der Revolution von 1979. Gleichwohl kommt darin sowie auch im Slogan »Ya Hossein, Mir-Hossein«, der sich gleichzeitig auf den dritten schiitischen Imam und den ehemaligen Premierminister der Islamischen Republik bezieht, zum Ausdruck, dass in der Bewegung Kräfte vertreten sind, die vom »wahren Islam« und den »ursprünglichen Zielen der Islamischen Republik« schwärmen.
Das Spiel mit dem Islam ist sicher bei vielen Demonstrierenden taktischer Natur. Aber diejenigen aus den Reihen des Regimes, die sich auf die Seite der Protestierenden geschlagen haben, orientieren sich nicht an den rechtsstaatlichen Demokratien des Westens, sondern zumeist an den frühen Jahren der Islamischen Republik. Sie bemühen sich darum, dass sich die Freiheitsbewegung mit einer reformierten islamischen Republik zufrieden gibt – in welcher Form auch immer. Eben diese Befürchtungen kommen im Text von Gerhard Scheit (29/09) zum Ausdruck, der nicht behauptet, dass es keinen Unterschied macht, ob Ahmadinejad oder Mousavi regiert, sondern herauszuarbeiten versucht, worin dieser Unterschied besteht. Die Figur Mousavis hat zur verzerrten Wahrnehmung der Proteste im Ausland beigetragen und diese Proteste gleichzeitig befördert. Wesentlich ist die Unterscheidung zwischen den Kämpfen, die sich innerhalb des Regimes abspielen, und der Bewegung, die sich nicht zwischen zwei Bärtigen entscheiden will, sondern nach Freiheit jenseits der Islamischen Republik verlangt.
Mit der Radikalisierung der Freiheitsbewegung im Iran beobachten wir eine Entradikalisierung einiger der im Ausland lebenden Aktivisten, die ihr politisches Schicksal offenbar mit dem Bestehen des islamischen Regimes eng verbunden sehen. Um eine Radikalisierung der Kundgebungen im Exil zu verhindern, spielen sie sich als Demo-Ordner auf. Jene, die als dezidierte Gegner des Regimes auftreten, wurden nicht nur in Wien und Berlin, sondern auch in mehreren nordamerikanischen Städten von Kundgebungen verwiesen und als »Monarchisten« – oder, je nach Örtlichkeit, als »Antideutsche« – gebrandmarkt.
»Monarchist« ist für Schmidinger der Titel für all jene, die bei den als »unpolitische Solidaritätsbekundungen« deklarierten Manifestationen, die in Wirklichkeit eine ganz bestimmte, das iranische Regime möglichst nicht provozierende Politik durchsetzen sollen, nicht mitmachen wollen und es tatsächlich vorziehen, ein »Störfaktor« zu sein, anstatt sich dem Diktat der Protestverwalter unterzuordnen.
Und das sind, wie auch auf der von Schmidinger angesprochenen Diskussionsveranstaltung in Wien, keineswegs nur konstitutionelle Monarchisten, sondern unabhängige iranische Linke und Liberale, antideutsche Kommunisten, israelsolidarische Aktivisten von Stop the Bomb und vor allem eine ganze Reihe eher unpolitischer Iraner und Iranerinnen, die sympathischerweise den Wunsch ihrer Altersgenossen in Teheran unterstützen wollen, hübsch zurechtgemacht in die Disco gehen zu können, und die sich dementsprechend befremdet von den Gängelungsversuchen der linken Politkader auf den Solidaritätsdemonstrationen zeigen. Deren Parolen fallen selbst noch hinter jene Forderungen zurück, die von den Protestierenden in Teheran aufgestellt werden. Weil die österreichische und deutsche Politik auf vielen Exilkundgebungen mit Samthandschuhen angefasst wird, findet selbst die banale Forderung nach der Nichtanerkennung des Regimes keinen Platz.

Viele jener linken Organisationen, die heute maßgeblich die Solidaritätsaktionen im Exil organisieren, haben 1979 dazu beigetragen, dass die Mullahs die Macht ergreifen konnten. Viele antiimperialistische iranische Linke haben die Islamisten vor allem deswegen unterstützt, weil sie ihren Hass auf den Zionismus und die USA teilten. Daran scheint sich bis heute nicht viel geändert zu haben. In Berlin wurden israelsolidarische Demonstranten von Kundgebungen verwiesen. In Wien wurde versucht, das Verteilen israelsolidarischer Flugblätter zu unterbinden. Gleichzeitig stört sich offenbar niemand daran, wenn Trotzkisten, die auf Konferenzen in Beirut mit der vom iranischen Regime aufgebauten Hisbollah gemeinsame Sache machen, in Wien mit »Israel & USA – Hände weg vom Iran«-Plakaten aufmarschieren.
Niemand spricht davon, dass die Demonstranten im Iran mit Israel-Fahnen durch die Gegend laufen sollen, was derzeit ihren sicheren Tod bedeuten würde. Doch zumindest Teile der Bewegung verweigern sich der antisemitischen Hetze des Regimes und den ewigen Parolen gegen die USA: etwa, wenn die Menschen beim Freitagsgebet aufgefordert werden, »Nieder mit Israel« und »Tod den USA« zu rufen, aber die Menge beharrlich »Nieder mit Russland« antwortet und damit einen der engsten Verbündeten des Regimes ins Visier nimmt. Wenn seit 30 Jahren offiziell die Vernichtung Israels proklamiert wird, ist die Solidarität mit diesem Land nicht nur eine politisch-moralische Verpflichtung, sondern zugleich die bestmögliche Distanzierung vom iranischen Regime.
Nicht, dass es für iranische Oppositionelle keine Gründe für Kritik am Verhalten Israels und der USA im 20. Jahrhundert gäbe; aber die Einschätzung Israels und der USA hat sich auch bei vielen linken und linksradikalen Oppositionsgruppen dermaßen von der Realität verabschiedet, dass sie sich in ihrer Ressentimentgeladenheit von den Hassausbrüchen des Regimes kaum unterscheidet. Der Antisemitismus entspringt ebenso wie der Hass auf Homosexuelle und emanzipierte Frauen jenem anti-westlichen Furor, welcher das islamische Regime in Teheran wesentlich kennzeichnet. Es darf unter den Gegnern des iranischen Regimes keine Neutralität hinsichtlich der Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel geben. In diesen Drohungen kulminiert jene wahnhafte Ideologie, auf deren Grundlage die islamische Republik unter dem Beifall vieler iranischer Linker ausgerufen wurde. Deshalb ist der Kampf für die Freiheit der Menschen im Iran nicht vom Kampf gegen Antisemitismus und Antizionismus zu trennen.

Schmidinger, der in der Vergangenheit in der Wiener Zeitung das Milliardengeschäft des österreichischen Ölkonzerns OMV mit dem Iran verteidigt hat, spricht ganz in der Diktion von Lobbyorganisationen wie der »Campaign Against Sanctions and Military Intervention in Iran« von der Möglichkeit eines israelischen militärischen Angriffs »auf einen von Ahmadinejad regierten Iran«. Jeder weiß, dass Israel weder willens noch fähig wäre, einen Angriff auf »den Iran« durchzuführen, also das gesamte Land zu attackieren, sondern dass der jüdische Staat angesichts der bisher ausbleibenden Maßnahmen des Westens gegen das iranische Nuklearprogramm Vorbereitungen zur Ausschaltung eben dieses Programms treffen muss.
Schmidinger meint, solch ein Angriff würde derzeit »niemandem mehr nutzen als Ahmadinejad und Khamenei«. Sollte die Protestbewegung aber scheitern und sollte der Westen in den nächsten Monaten seine Politik nicht ändern und das iranische Regime mittels konsequenter Sanktionen und politischer Isolation zur Aufgabe seines Nuklearprogramms zwingen, so würde die Akzeptanz der iranischen Bombe niemandem mehr nutzen als Ahmadinejad und Khamenei – und niemandem mehr schaden als Israel (das in seiner Existenz auch dann bedroht wäre, wenn die Apokalyptiker in Teheran ihre neuen Waffen gar nicht zum Einsatz bringen) und der iranischen Bevölkerung (die mit einem auf Dauer gefestigten Regime konfrontiert wäre). Alle maßgeblichen politischen Kräfte in Israel wissen das, und von jenen iranischen Oppositionellen, die den antiimperialistischen und antizionistischen Wahn der Tudeh-Partei und ähnlicher Fossile des Marxismus-Leninismus nicht teilen, hört man immer öfter ähnliches.
Doch ein Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen wäre für Israel eine äußerst gefährliche Option mit eventuell ebenfalls existenzbedrohenden Konsequenzen. Die wünschenswerteste Option wäre, wenn Israel eine derartige Entscheidung gar nicht erst treffen müsste. Umso unverständlicher ist es, mit welcher Unbeschwertheit die Gruppe Morgenthau von einem »Eingriff von IDF und US-Army« (30/09) spricht, zumal ein amerikanischer mit jeder Äußerung der Obama-Administration unwahrscheinlicher wird.
Israel wird tun, was es tun muss. In Europa und insbesondere in Deutschland und Österreich geht es darum, sich für die letzten verbliebenen nicht-militärischen Möglichkeiten zur Verhinderung der iranischen Bombe einzusetzen – ohne jede Illusion über den Charakter der postnazistischen Gesellschaften und die in ihnen existierende heimliche Bewunderung für den antiwestlichen Furor des iranischen Regimes; und schon gar nicht aus Gründen eines abgeschmackten Antimilitarismus, der nur die deutsch-europäische Ideologie der Friedensvolksgemeinschaft ­bedient. Neben der Forderung nach sofortigen umfassenden, wirtschaftlichen und politischen Sanktionen geht es um die Beförderung des Umsturzes im Iran. Und darum, jene exiliranischen Oppositionellen zu unterstützen, die es richtig finden, wenn man die Solidarität mit der iranischen Opposition mit der Solidarität mit Israel verbindet, die sich gegen die Vernichtungsdrohungen des iranischen Regimes richtet.

Geändert: 6. August 2009