Klasse Rasse

Die Kommunistische Internationale:Thesen zur Negerfrage

Nach dem Protokoll des Vierten Kongresses der Kommunistischen Internationale. Petrograd-Moskau vom 5. November bis zum 5. Dezember 1922. Siebenundzwanzigste Sitzung am 30. November 1922 (1)

BILLINGS (Amerika): Genossen! Die Wichtigkeit der Kolonialfrage für die Weltrevolution wurde von dem 2. Kongreß der Kommunistischen Internationale anerkannt. Aus den Reihen der Genossen aus dem Osten sowohl wie von einigen Genossen aus den Kolonien kommt jedoch der Vorwurf, daß diese Angelegenheit sehr stiefmütterlich behandelt und ihr nicht die Beachtung geschenkt worden ist, die einem Teilproblem der Weltrevolution gebührt. Die Negerfrage ist ein anderer Teil der Rassen- und Kolonialfrage, der man bisher keine Beachtung geschenkt hat. Ich möchte damit sagen, daß die II. Internationale bisher der Negerfrage keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat. Aus diesem Grunde finden wir in den Thesen des 2. Kongresses die Bemerkung, daß die II. Internationale eine Internationale weißer Arbeiter und die Kommunistische Internationale eine Internationale der Arbeiter der Welt sei.

Die Genossen Sinowjew und Bucharin haben in ihren Reden darauf hingewiesen, daß die Kolonialfrage eine der wichtigsten Fragen ist, mit der wir uns heute beschäftigen müssen. Und da nun dies wichtige Problem diskutiert wird, erwarte ich von diesem Kongreß, daß er die gemachten Erfahrungen und die in der Kolonialfrage empfohlene Taktik anerkennt. (...)

Wenn wir nun die Negerfrage betrachten, sollten wir die psychologischen Faktoren des Negerproblems in den Kreis unserer Betrachtungen ziehen. Aus diesem Grunde müssen wir einsehen, daß verschiedene Völker, die zu bestimmten Zeiten eine bestimmte Entwicklungsstufe erreichen, notwendigerweise auf die Welt im allgemeinen auch in einer bestimmten Weise psychologisch reagieren. Wenn wir versuchen, unter diesen Massen zu arbeiten und unsere Propaganda und Agitation unter ihnen durchzuführen, müssen wir notwendigerweise die Faktoren, die wir in diesen speziellen, zur Behandlung stehenden Problemen finden, in Betracht ziehen.

Trotzdem das Negerproblem hauptsächlich ein wirtschaftliches Problem ist, finden wir doch, daß dieses Problem durch die Reibungen zwischen der weißen und der schwarzen Rasse verschlimmert und vertieft wird. Es ist allgemein bekannt, daß die Rassenfrage, obwohl ein Vorurteil, das den Klassenvorurteilen bestimmter Gruppen der Gesellschaft entspringt, doch eine wichtige Rolle spielt. Während es wahr ist, daß z.B. in den Vereinigten Staaten die Konkurrenz zwischen schwarzen und weißen Arbeitern die Hauptbasis des Rassenhasses ist, darf man doch nicht vergessen, daß der Neger noch das aus der Zeit der Sklaverei herrührende Zeichen der Knechtschaft auf der Stirn trägt. Aus diesem Grunde finden wir, daß dieser spezielle Antagonismus weißen Arbeiter gegenüber den schwarzen Arbeitern eine spezielle Form annimmt. Es gibt in der ganzen Welt ungefähr 150 Millionen Neger. Von diesen wohnen annähernd 25 Millionen in der Neuen Welt und der Rest in Afrika. Die Neger in Amerika und Westindien sind für den amerikanischen Kapitalisten eine Quelle billiger Arbeitskraft. Und wir sehen, daß die kapitalistische Klasse sie immer gebraucht hat und noch gebraucht, um die weiße Arbeiterklasse in ihrem Tageskampf zu unterdrücken. Aus den Reihen dieser Neger werden sich die Elemente der "weißen Garden" rekrutieren, in dem Falle, daß irgendwo eine revolutionäre Erhebung ausbricht. Die Ausbeutung der Neger in Afrika gab die Möglichkeit für die Fortsetzung der Akkumulation des Kapitals. Die kapitalistische Klasse als Klasse anerkennt die wertvolle Hilfe, die die Negermassen ihr leisten. Aus diesem Grunde hat sie es sich seit Jahren zur Aufgabe gemacht, den Geist der Negerbevölkerung mit der bürgerlichen Ideologie zu infizieren. Dies tat sie selbstverständlich in ihrem eigenen Interesse und nicht, um den Negern zu helfen. Die Kapitalisten haben sorgfältig geplante Organisationen unter den Negern gebildet, um Propaganda für die Bourgeoisie und gegen den weißen Arbeiter zu machen, sie haben die bekannte Rockefeller-Gründung und die Urban League ins Leben gerufen. Die erste Organisation unterstützt die Negerschulen mit Geld, während die zweite eine bekannte Streikbrecherinstitution ist, die auf dem Posten war, während die meisten Revolutionäre schliefen. Trotz dieser Umstände war es unvermeidlich, daß die Negerbevölkerung gegen die Unterdrückung, der sie überall in der Welt ausgesetzt ist, sich irgendwie wehrt. Dies nahm zuerst die Form von religiösen Institutionen an, die einzige Form, die ihnen zu gewissen Zeiten für ihr eigenes Vergnügen erlaubt war. Später finden wir jedoch die ständige Entwicklung von Negerorganisationen, die, obwohl ganz aus Negern zusammengesetzt, bis zu einem gewissen Grade entweder direkt oder indirekt dem Kapitalismus feindlich gegenüberstehen.

Die drei wichtigsten Negerorganisationen sind erstens "die nationale Vereinigung der Farbigen" (2), eine Organisation, die sich hauptsächlich aus proletarischen Elementen zusammensetzt, die von bürgerlichen Intellektuellen geführt werden, und deren Aktion auf dem Prinzip aufgebaut ist, die kapitalistische Klasse durch Petitionen zu ersuchen, die Lage der Neger zu bessern, was praktisch gesehen nur eine Bettelei ist. Dann kommen wir zu der zweiten und interessanteren Organisation, der Garvey-Vereinigung, einer ultranationalistischen Organisation, jedoch mit einer radikalen Mitgliedschaft. (3) Trotzdem diese Organisation ihr Programm mit einigen billigen Anteilschein-Systemen verbrämt hat, hat sie doch die Neger gegen den Imperialismus mobil gemacht. Diese Organisation wurde nach dem Weltkrieg gegründet. Sie nahm selbstverständlich keine definitiv radikale Form an; sie wurde, gerade noch zur Zeit, von ihrem eigenen Führer daran gehindert. Trotzdem ist das Rassenbewußtsein erwacht und wird in einem großen Ausmaß verwendet, bis weit in das Innere Afrikas, wo man kaum erwarten sollte, daß eine in Amerika entstandene Organisation einen Stützpunkt finden könnte. Die dritte Organisation ist die "afrikanische Blutsbrüderschaft", eine radikale Negerorganisation, deren Programm auf der Vernichtung des Kapitalismus aufgebaut ist. (4) Diese Organisation war die einzige, die während der Rassenkämpfe in Tulsa (Oklahoma) einen glänzenden und tapferen Kampf führte, und sie ist die einzige, der die kapitalistische Klasse Amerikas nächstens ihre Beachtung schenken wird.

Wir haben auch in Afrika verschiedene - nationalistische - kleine Organisationen, wie z.B. die äthiopische Bewegung, die jedoch alle von Amerika, dem Zentrum politischer Tendenzen unter den Negern, inspiriert werden. Diese Organisationen erstrecken und entwickeln sich bis in den Sudan. Sie könnten von den Kommunisten benutzt werden, wenn die Propagandamittel sorgfältig, mit Überlegung und intensiv dazu gebraucht würden, um diese Bewegungen zusammenzuschließen. Wir sehen also, daß schon eine Art Organisation existiert, die sich gegen den Weltimperialismus auflehnen wird.

Es gibt in den Vereinigten Staaten ungefähr 450 Negerzeitungen und -zeitschriften, die, meistens nur der Rassenfrage gewidmet, doch einen großen Einfluß auf die Negermassen ausüben. Da gibt es z.B. den Chicago Defender (den Verteidiger) mit einer wöchentlichen Auflage von 250 000, der nach allen Weltteilen, wo immer sich größere Gruppen von Negern befinden, verschickt wird. (5) Dann gibt es ferner die Crisis (Krise), eine monatliche Zeitschrift mit einer Auflage von über 60 000. (6) Diese Zeitschriften, und speziell der Chicago Defender und andere mit einer geringeren Verbreitung, haben sich immer des von uns zur Verfügung gestellten radikalen Propagandamaterials bedient.

Die Neger fühlen das Nahen der Krise, die im Süden zwischen den Weißen und den Schwarzen ausbrechen wird. Im Süden wurde der Samen gesät und im Süden muß er auch irgendwie aufgehen. Es ist wahrscheinlich, daß die Krise die Form von Rassenhetzen im großen Maßstabe annehmen wird.

Die Negerfrage, Genossen, ist von großem Interesse und von äußerster Wichtigkeit für uns. Wir sehen z.B., daß von der ungefähren Anzahl von zwölf Millionen Negern, die in den Vereinigten Staaten wohnen, zwei Millionen in den nördlichen Industriebezirken arbeiten und die anderen zehn oder neun Millionen im Süden. (Ich nehme an, daß Ihr Euch alle diesen Süden vorstellen könnt. Wenn Ihr dorthin kommt, glaubt Ihr in Dantes Hölle zu sein. Manchmal werdet Ihr fühlen, daß alle Hoffnung vergebens ist.) Der Süden ist beinahe ein Land für sich. 80 Prozent der Neger leben auf dem Lande. Man zieht einen scharfen Trennungsstrich und beraubt sie des Wahlrechtes. Und hier, wo der Klassenkampf in seiner brutalsten Form geführt wird, finden wir, daß das Verhältnis zwischen den Schwarzen und Weißen aus ständigen Konflikten und Kämpfen bis zum Tode besteht. Dort findet Ihr das Lynchen und die Rassenaufstände. Ihr findet, daß das Lynchen eines Negers im Süden etwas ist, an dem man Freude hat. Gerade so, wie man sich anderswo in einem Kino amüsiert. Wenn Ihr wißt, daß die weiße Bevölkerung im Süden so durchdrungen ist von dieser Idee der weißen Herrschaft über die Neger, werdet Ihr auch sehen, daß wir uns mit dieser Frage beschäftigen müssen. Gegenwärtig, wenn im Norden der Vereinigten Staaten große Streiks geführt werden, sehen wir, daß die kapitalistische Klasse ihre bezahlten Agenten schleunigst nach dem Süden schickt, um die dortigen Neger als Streikbrecher nach den nördlichen Distrikten zu bringen. Durch das Versprechen höherer Löhne und besserer Bedingungen veranlassen diese Agenten die Neger, die Streikgebiete zu betreten. Dies ist eine immerwährende Gefahr für die weißen Streikenden. Man darf jedoch die Neger nicht allein hierfür verantwortlich machen. Die amerikanischen Gewerkschaften, und ich spreche hier von den wirklichen Gewerkschaften, haben in den letzten paar Jahren darauf bestanden, daß ein Neger, obschon ein gelernter Arbeiter, wegen seiner Hautfarbe den Gewerkschaften nicht beitreten kann. Erst vor ganz kurzer Zeit hat die American Federation of Labor einen schwächlichen Versuch gemacht, den Negern den Beitritt in die regulären Gewerkschaften zu ermöglichen. Aber selbst heute hat, wenn ich mich nicht sehr irre, eine Organisation wie die Gewerkschaft der Maschinisten in ihrem Programm die Vorschrift, daß die Bedingung für die Mitgliedschaft ist, daß jeder weiße Kollege andere weiße Arbeiter als Mitglieder einführen soll, oder doch etwas Ähnliches. Das heißt, daß die Neger für immer außerhalb der Gewerkschaften bleiben sollen, einfach, weil sie schwarz sind; und die kapitalistische Klasse und die reaktionäre Negerpresse beuten diese Tatsache soviel wie möglich aus, um die schwarzen Arbeiter gegen die Gewerkschaften zu beeinflussen. Wenn man mit einem Neger über seinen Beitritt zu einer Gewerkschaft oder über die Notwendigkeit, ein Radikaler zu werden, spricht, bekommt man immer folgendes ins Gesicht geschleudert: "Predige doch nicht mir. Predige den Weißen. Sie gebrauchen die Gewerkschaften und ich gebrauche sie nicht. Ich bin immer bereit, Seite an Seite mit ihnen zu kämpfen, wenn sie bereit sind, mich aufzunehmen; aber solange sie sich weigern, werde ich Streikarbeit verrichten und, bei Gott, ich habe ein Recht, dies zu tun. Ich will mein Leben schützen." Dies ist eins ihrer Argumente, das wir nicht übergehen können. Während wir theoretisch alle die schönen Phrasen, die wir kennen, vorbringen, gibt es doch in dem Tageskampfe einige harte und konkrete Tatsachen. (7)

Die Negerkommission (8) hat eine These über die Negerfrage entworfen, die ich sofort vorlesen werde. Während wir die Negerfrage besprachen, haben wir auch gewisse definitive Vorschläge gemacht, die unserer Meinung nach von den verschiedenen Sektionen der Kommunistischen Internationale in deren Ländern oder Kolonien Neger sind, durchgeführt werden sollten. Wir haben selbstverständlich diese Vorschläge nicht gemacht, damit sie lediglich auf dem Papier stehen bleiben, sondern damit alle von den verschiedenen Sektionen in die Praxis umgesetzt werden. Und wir werden die Kommunistische Internationale ersuchen, darauf zu sehen, daß diese Vorschläge dem Buchstaben und dem Geiste nach, in dem sie geschrieben sind, auch ausgeführt werden. Wir haben die Umrisse der Arbeit festgelegt: ein Vorschlag für den sofortigen Beginn der Arbeit unter den Negern in der ganzen Welt. Wir haben ferner den Vorschlag für die Gründung eines Negerbüros als Teil des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale gemacht. Der Grund hierfür war, daß wir die Arbeit koordinieren und zentralisieren wollten, und zwar dachten wir, daß Moskau der beste Platz für dieses Büro, diese Sektion, oder wie Ihr es nennen wollt, ist. Die Negerfrage ist von großer Wichtigkeit für uns, und aus diesem Grunde haben wir uns bemüht, die wirkliche Situation in Afrika und speziell in Amerika sorgfältig zu studieren. Wir haben uns keinen Träumen über ein Programm hingegeben, trotzdem wir gewisse definitive Vorschläge für den Plan einer Negerorganisation gemacht haben. Dieser Plan nahm Rücksicht auf die besonderen geistigen Eigenheiten der Neger in der gegenwärtigen Periode.

Die These über die Negerfrage lautet wie folgt:

"Die Basis des Akkumulationsprozesses, die vor dem Kriege für die Entwicklung des Kapitalismus existierte, ist, als Resultat des Weltkrieges, völlig umgestülpt worden, und zwar mit Bezug auf das Verhältnis zwischen den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, die Kapital ausführen, und den kolonialen und halbkolonialen Völkern unter ihrer Herrschaft. Zugleich hat sich unter diesen Völkern eine noch immer erfolgreich fortschreitende Aufstandsbewegung gegen die Macht des Weltkapitals, wie sie im britischen Imperialismus verkörpert ist, entwickelt, und zwar in solcher Ausdehnung, daß das Eindringen in die von schwarzen Rassen bewohnten Gebiete und deren intensive Kolonisierung das letzte große Problem wird, von der die Entwicklung der kapitalistischen Akkumulation abhängt. Die französischen Kapitalisten haben klar erkannt, daß sich der französische Nachkriegsimperialismus nur durch die Errichtung eines französisch-afrikanischen Weltreiches halten kann, das durch eine durch die Sahara führende Eisenbahn verbunden wird. Amerikas Finanzmagnaten, die in den Vereinigten Staaten 12 000 000 Neger ausbeuten, haben sich nun auch der friedlichen Durchdringung Afrikas zugewandt. Wie sehr England die Bedrohung seiner Position fürchtet, zeigt sich in den extremen Maßnahmen, die zur Niederwerfung des Randstreiks getroffen wurden. Gerade so, wie im Stillen Ozean die Gefahr eines neuen Weltkrieges als das Resultat des Wettbewerbes zwischen den dortigen imperialistischer Mächten akut geworden ist, so gibt es auch düstere Anzeichen für die Tatsache, daß Afrika das Objekt der rivalisierenden Bestrebungen dieser Völker wird.

Hierzu kommt noch, daß der Krieg, die russische Revolution und die großen Revolten der asiatischen und muselmanischen Völker gegen den Imperialismus das Bewußtsein von Millionen Negern zum Erwachen gebracht haben, derselben Neger, die der Kapitalismus seit hundert Jahren nicht nur in Afrika, sondern vielleicht noch mehr in Amerika, wo die Aufstandsbewegung immer intensiver wird und auf die ganze Negerrasse einen Einfluß ausübt, unterdrückt und erniedrigt hat.

Hieraus folgt, daß subjektiv sowohl wie objektiv das Negerproblem eine wichtige Frage der Weltrevolution geworden ist, und daß die Kommunistische Internationale, die schon begriffen hat, wie wertvoll die Unterstützung der farbigen asiatischen Völker in halbkapitalistischen Ländern für die proletarische Revolution sein kann, auch die Mitarbeit unserer unterdrückten schwarzen Mitmenschen als notwendig für die Revolution der proletarischen Massen und die Zerstörung der kapitalistischen Macht anerkennt. Aus diesem Grunde erklärt der Kongreß, daß es die spezielle Pflicht der Kommunisten ist, die 'These der Kolonialfrage' auch auf das Negerproblem anzuwenden.

1. Der 4. Kongreß anerkennt die Notwendigkeit der Unterstützung jeder Form der Negerbewegung, die den Kapitalismus oder Imperialismus entweder unterhöhlt und schwächt oder sein weiteres Vordringen verhütet.

2. Die Negerarbeiter sollten überall organisiert werden, und wo schwarze und weiße Arbeitermassen Seite an Seite existieren, sollte jede Gelegenheit zur Bildung einer Einheitsfront ausgenutzt werden.

3. Die Arbeit unter den Negern soll hauptsächlich von Negern ausgeführt werden.

4. Es sollen augenblicklich Schritte unternommen werden, um eine allgemeine Negerkonferenz oder einen Kongreß nach Moskau einzuberufen."

Zum Schluß, Genossen, möchte ich noch die Hoffnung aussprechen, daß die Genossen der verschiedenen Sektionen der Kommunistischen Internationale, in deren Ländern Negerarbeiter sind, das Negerproblem, so wie es heute steht, begreifen werden, und daß sie dies nicht als eine Neujahrsresolution betrachten, sondern diese Arbeit wirklich und direkt ausführen, um das Bewußtsein der Negermassen zu erwecken und uns instand zu setzen, sie in die proletarische Revolution einzugliedern.

McKAY (Amerika): Genossen, ich habe das Gefühl, daß ich lieber einem Lynchgericht im zivilisierten Amerika gegenüberstehen möchte, als zu versuchen, vor der geistig entwickeltsten und kritischsten Hörerschaft der Welt eine Rede zu halten. Ich gehöre zu einer Rasse von Rednern, jedoch gelingen meine öffentlichen Reden immer so schlecht, daß mir von meinen eigenen Rassegenossen gesagt wurde, ich solle nie mehr versuchen, Reden zu halten, sondern beim Schreiben bleiben. Als ich aber hörte, daß die Negerfrage auf die Tagesordnung des Kongresses gebracht werden soll, fühlte ich trotzdem, daß es eine ewige Schande für mich wäre, wenn ich nicht irgend etwas über meine Rassegenossen sagen würde. Besonders würde ich den amerikanischen Negern zur Schande gereichen, da ich, seitdem ich 1919 ein bekannt gewordenes Poem veröffentlichte, auf Grund meines poetischen Temperaments als einer der Wortführer des Negerradikalismus in Amerika stets in den Vordergrund geschoben wurde. (9)

Ich habe das Gefühl, daß meiner Rasse durch die an eines ihrer Mitglieder gerichtete Einladung, auf dem gegenwärtigen 4. Kongreß zu sprechen, eine Ehrung zuteil wurde. Es ist eine Ehrung, nicht weil meine Rasse von der weißen und der gelben verschieden ist, sondern weil es im besonderen eine Rasse von Arbeitern, Holzhackern und Wasserträgern ist, eine Rasse, die zu dem am meisten unterdrückten ausgebeuteten und geknechteten Teil der Arbeiterklasse der Welt gehört. Die Kommunistische Internationale ist für die Emanzipation aller Arbeiter der Welt ohne Unterschied der Rasse und Farbe. Und diese Stellungnahme der Kommunistischen Internationale bleibt nicht bloß auf dem Papier, wie die fünfzehnte Anmerkung zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, sie ist eine reale Sache.

Die Negerrasse nimmt gegenwärtig im wirtschaftlichen Leben der Welt eine ganz besondere Stellung ein. In jedem Lande, wo Weiße und Schwarze zusammen arbeiten müssen, stellen die Kapitalisten die einen den anderen gegenüber. Es hat den Anschein, daß die internationale Bourgeoisie die Negerrasse als Trumpf im Kampfe gegen die Weltrevolution ausnutzen will. Großbritannien hat in den Kolonien seine Negerregimenter, und es hat durch ihre Verwendung im letzten Kriege gezeigt, was es durch den Negersoldaten erreichen kann. Und die Revolution in England ist infolge der gut organisierten Ausbeutung der dem britischen Reiche unterworfenen Völker noch weit entfernt. In Europa sehen wir, daß Frankreich eine schwarze Armee von über 300 000 Mann besitzt, und daß es zur Durchführung seiner Politik der imperialistischen Beherrschung Europas seine schwarzen Untertanen ausnutzen will. In Amerika stehen wir der gleichen Lage gegenüber. Die nordamerikanische Bourgeoisie weiß, wie gut die Negersoldaten im Bürgerkriege, trotzdem sie Analphabeten und ungeübt waren, für ihre eigene Befreiung kämpften. Sie weiß auch wie gut die schwarzen Soldaten im spanisch-amerikanischen Kriege unter Theodore Roosevelt gekämpft haben. Sie weiß, daß die im letzten Kriege mobilisierten mehr als 400 000 Neger sich sehr gut bewährten und daß sie außer dem Kampfe für die Kapitalisten auch im eigenen Interesse einen harten Kampf mutig bestanden, als sie nach ihrer Rückkehr nach Amerika gegen den weißen Pöbel in Chicago, St. Louis und Washington zu kämpfen hatten.

Aber noch wichtiger als die Tatsache, daß die amerikanischen Kapitalisten in ihrem Kampfe gegen die Interessen der Arbeiterschaft schwarze Soldaten verwenden, ist die Tatsache, daß die amerikanischen Kapitalisten sich anschicken, die gesamte schwarze Rasse in Amerika zur Bekämpfung der organisierten Arbeiterschaft zu mobilisieren. Die gegenwärtige Lage in Amerika ist schrecklich und großer Gefahren voll. Sie ist scheußlicher, schrecklicher als die Lage der Bauern und Juden unter der Zarenherrschaft in Rußland war. Sie ist so scheußlich und schrecklich, daß sehr wenig Leute in Amerika sich in sie fügen können. Die reformistische Bourgeoisie führte einen Kampf gegen Rassenscheidung und Rassenvorurteile in Amerika. Die Sozialisten und Kommunisten führten diesen Kampf mit großer Behutsamkeit, denn es gibt noch starke Vorurteile solcher Art unter den amerikanischen Sozialisten und Kommunisten. Sie wollen sich mit der Negerfrage nicht befassen. Im Verkehr mit amerikanischen Genossen habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten, bei denen weiße und schwarze Genossen zusammenzukommen hatten, Vorurteile feststellen können. Und die größte Schwierigkeit, die die Kommunisten in Amerika zu überwinden haben, besteht darin, daß sie zuerst sich selbst von ihrer Stellungnahme den Negern gegenüber befreien müssen, bevor es ihnen gelingen kann, die Neger durch irgendwelche Art radikaler Propaganda zu erreichen.

Wenn ich aber die Neger selbst betrachte, so habe ich das Gefühl, daß, wie die anderen unterdrückten Rassen nach Moskau gekommen sind, um zu lernen, wie sie gegen ihre Ausbeuter zu kämpfen haben, auch die Neger nach Moskau kommen werden. Im Jahre 1919, als die Kommunistische Internationale ihr Manifest veröffentlichte und einen Passus betreffend die ausgebeuteten Kolonien einschaltete, gab es in Amerika mehrere radikale Gruppen von Schwarzen, die diese Propaganda unter den Negern verbreiteten. Als im Jahre 1920 die amerikanische Regierung sich anschickte, die radikale Propaganda unter den Negern zu bekämpfen und zu unterdrücken, beantworteten die kleinen radikalen Negergruppen dieses Streben der Regierung dadurch, daß sie öffentlich erklärten, daß die Sozialisten die Emanzipation der Neger anstreben, während das reformistische Amerika nichts für sie tun kann. Bei dieser Gelegenheit, denke ich, begriffen die amerikanischen Neger zum ersten Male in der amerikanischen Geschichte, daß Karl Marx Interesse für ihre Emanzipation hatte und energisch für sie kämpfte. (...)

Karl Marx ist im allgemeinen als der Vater des wissenschaftlichen Sozialismus und der Verfasser des epochemachenden, volkstümlich "Die sozialistische Bibel" genannten Werkes "Das Kapital" bekannt. Zusammen mit Richard Cobden, dem Atheisten Charles Bradlaugh und John Bright bereiste er England, um überall Reden zu halten, und nahm die Arbeiterschaft dermaßen gegen die Konföderation ein, daß Lord Palmerston, der Ministerpräsident, der den Süden schon anerkennen wollte, zurücktreten mußte. Genau so, wie Marx 1861 gegen die Leibeigenschaft kämpfte, kämpfen seine geistigen Nachkommen, die heutigen Sozialisten, gegen die Lohnsklaverei - gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.

Wenn die amerikanische Workers' Party in Wirklichkeit eine Arbeiterpartei wäre, die auch die Neger umfaßt, so müßte sie z.B. im Süden illegal sein, und ich möchte den amerikanischen Genossen mitteilen, daß es eine Ortsgruppe der amerikanischen Arbeiterpartei im Süden, in Richmond, im Staate Virginia gibt, die illegal ist - illegal, weil sie farbige Mitglieder hat. Wir haben hier eine kleine Gruppe von weißen und schwarzen Genossen, die zusammenarbeiten, und die Tatsache, daß es in Virginien und in den meisten südlichen Staaten Gesetze gibt, die gemeinsame Versammlungen von Weißen und Schwarzen verbieten, führt dazu, daß die Workers' Party im Süden illegal sein muß. Um die virginischen Gesetze zu umgehen, müssen die Genossen, der Farbe entsprechend, besondere Versammlungen veranstalten und kommen nur einmal monatlich hinter verschlossenen Türen zusammen.

Das ist bezeichnend für die Arbeit, die im Süden zu leisten sein wird. Die Arbeit unter den Negern im Süden muß durch eine im Norden organisierte legale Propaganda geführt werden, da gegenwärtig in den südlichen Staaten Amerikas (wo neun Millionen der insgesamt zehn Millionen zählenden Negerbevölkerung wohnen) die Lage derart ist, daß sogar die liberale Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie der Neger infolge der gesetzlichen Bestimmungen nicht die Möglichkeit haben, eigene Presseorgane zur Entfaltung einer reformistischen Propaganda herauszugeben.

Tatsache ist, daß bloß in den südlichen Staaten eine Unterdrückung der Meinungsfreiheit besteht. Im Norden hingegen besteht keine solche Unterdrückung. Im Norden werden für besondere Fälle besondere Gesetze herausgegeben, wie z.B. die Gesetze gegen Kommunisten und Sozialisten während des Krieges. Im Süden hingegen finden wir Gesetze, die seit 55 Jahren bestehen und die es den Negern verbieten, zur Erörterung ihrer Beschwerden zusammenzukommen. Die Weißen, die sich für die Sache der Neger interessieren, dürfen nicht zu ihnen gehen und zu ihnen sprechen. Wenn wir weiße Genossen nach dem Süden senden, werden sie gewöhnlich von der weißen Oligarchie ausgewiesen, und wenn sie das Gebiet nicht verlassen, werden sie vom Pöbel gepeitscht, in Teer und Federn gewälzt. Wenn wir aber schwarze Genossen senden, so kommen sie nicht mehr zurück, denn sie werden gelyncht und verbrannt.

Ich hoffe, daß es der internationalen Bourgeoisie nicht gelingen wird, die Neger im Endkampfe gegen die Weltrevolution auszunutzen.

Ich hoffe, daß wir gleichsam als eine Herausforderung an die internationale Bourgeoisie, die nunmehr die ganze Wichtigkeit der Negerfrage begriffen hat, sehr bald einige schwarze Soldaten in den Reihen der besten, heldenmütigsten und schönsten bewaffneten Macht der Welt, der Roten Armee und der Roten Seekräfte Rußlands, sehen werden, wo sie nicht nur für ihre eigene Emanzipation, sondern auch für die Befreiung der gesamten Arbeiterklasse der Welt kämpfen werden. (10)

VORSITZENDER: Ich mache darauf aufmerksam, daß es das erste Mal ist, daß sich der Weltkongreß der Kommunistischen Internationale mit der Negerfrage befaßt, und ich glaube nicht, auf die Wichtigkeit dieser Frage hinweisen zu müssen. Es handelt sich um die Gewinnung einer Rasse, die bisher am meisten unterdrückt worden ist. Es ist von der Negerkommission eine Resolution gefaßt worden, die in ihrer Fassung ziemlich theoretisch erscheint und für die allgemeine Arbeiterklasse und die unteren Schichten der schwarzen Rasse nicht vollständig verständlich ist. Das Präsidium hat daher beschlossen, diese Resolution an dieselbe Kommission zurück zu verweisen, mit der Bestimmung, sie noch einmal abzuändern und in eine klarere Fassung zu bringen.

Erhebt sich hiergegen Widerspruch? Das ist nicht der Fall. Der Vorschlag des Präsidiums ist also angenommen.

Schluß der Sitzung