Klasse Rasse

»Separate but equal«

War die Plantagensklaverei kapitalistisch?

Die Einsicht, daß Kapitalismus und Rassismus irgendwie "zusammenhängen", ist einfach zu haben: Da es unstrittig ist, daß das Kapitalverhältnis das bestimmende Strukturmerkmal der modernen Gesellschaften ist, müssen alle sozialen Phänomene in der einen oder anderen Weise durch dieses Strukturmerkmal mitgeprägt sein. Was liegt also näher, als Rassismus, Antisemitismus, Nationalsozialismus, Weltkriege und noch einiges mehr als Leistungen des Kapitalismus zu kennzeichnen? Diesen Nachweis zu erbringen, ist, so scheint es, eine der leichtesten Übungen, zumal, wenn man vergißt, daß nach der gleichen Logik Antirassimus, Pazifismus oder die Anti-Hitler-Koalition ebenfalls Hervorbringungen des Kapitalismus sein müssen. Wie einfach oder kompliziert die Beweisführung am Ende ausfällt, ist offenbar nur eine Frage des Temperaments, des Wissensstandes und der performativen Selbstsinszenierung der verschiedenen Autoren und Autorinnen (als Politiker, Strategen, illusionslose Analytiker etc.).

Während den einen die Sache so klar erscheint, daß sie jede über die Phrase vom "Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital" hinausgehende Bestimmung für überflüssig halten, bieten andere dem anspruchsvolleren Publikum aufwendige ableitungstheoretische Konstruktionen an, in denen Rassismus wahlweise aus der einfachen Warenproduktion, dem Geld, aus der Lohnform, der Aversion des bürgerlichen Subjekts gegen die Zurichtungsanforderungen des Marktes, mit dem Verschwinden der qualitativen Differenz von variablem und konstantem Kapital oder mit der Spaltung des Profits in Unternehmergewinn und Zins bzw. der Gegenüberstellung von "produktivem" und "unproduktiven" Kapital abgeleitet wird. Bei Bedarf noch ergänzt durch nichtökonomische Kategorien wie "Urangst vor dem Fremden" "Ressentiment", "Wahn", "Halluzination" oder "Irrationalität", die diesem Analysetyp den Sound der kritischen Theorie verpassen, ist so am Ende Rassismus gerade nicht in seiner Eigenständigkeit untersucht worden, sondern eben nur als "Ausdruck" von etwas anderem bzw. als Teil eines "automatischen Systems", in dem soziale Akteure als determinierte Charaktermasken abstrakter Bestimmungen ihren bewußtlosen Dienst tun. Für diesen Analysetyp sind Raum und Zeit völlig unerhebliche Dimensionen. Der von ihm definierte Rassismus und Antisemitismus ist 1940 derselbe wie 1998, und es spielt (weil diese "materialistische" Technik der Parteinahme an metaphysische Substanzen wie "den" Kapitalismus und "den" Staat" glaubt) keine Rolle, ob sich die Sache in der Schweiz, in der USA, in Nazideutschland oder in der BRD abspielt. Zugleich entgeht ihm, daß sich mit seinem Instrumentarium auch das Gegenteil beweisen ließe: In der theoretischen Darstellung (im Begriff des Kapitals bei Marx) ist der Kapitalismus gleichgültig gegen Hautfarbe, Geschlecht und soziale Herkunft, denn das dort analysierte Kapitalverhältnis steht als versachlichtes unpersönliches Herrschaftsverhältnis für die formelle, abstrakte Gleichheit, für gleichberechtigte Rechtssubjekte und freie Staatsbürger. Und nicht wenige Linke glauben ja wirklich, daß Rassismus ein anachronistisches Überbleibsel aus vor- oder frühkapitalistischen Zeiten ist, das "tendenziell" von selbst verschwinden wird.

So beteiligen sich auch Linke immer wieder an der Derealisierung der "Erlebniskomponente" des Rassismus, weil für diese Komponente in ihrem Marxismusverständnis kein Platz ist: "Die spätbürgerliche Ordnung bedarf keiner aktiven Zustimmung ihrer Staatsbürger mehr", behauptet beispielsweise die Zeitschrift Bahamas. Nicht nur die Erfahrung der Rassifizierten ist aus dieser substantialistischen Perspektive gleichgültig, sondern auch die Tatsache, daß das Verfolgen und Totschlagen den Rassisten Genuß bereitet, wovon auch der US-amerikanische Delegierte auf dem KI-Kongreß berichtet: "Ihr findet, daß das Lynchen eines Negers im Süden etwas ist, an dem man Freude hat. Gerade so, wie man sich anderswo in einem Kino amüsiert." Es ist entscheidend für die Wirkungsweise des Rassismus, daß die Verwerfung des Anderen stets ein bestimmtes Genießen miteinschließt, das im Sinn von Jacques Lacan eine paradoxe Form von Lust in Unlust darstellt, die mit jenem nicht-diskursiven Rest korrespondiert, der bei jedem Symbolisierungsprozeß offenbleibt. Wie es zu solchen Eigenleistungen rassistischer Lohnabhängiger kommt, wie der Rassismus zu einem leiblichen und psychischen Vorgang wird (das Zusammentreffen von Rassismus und Sexualität, Macht und Männlichkeit, Körperpolitik und Identität), hat auch die KI nicht geklärt, aber sie hat diesen Aspekt wenigstens erwähnt. Die Energien und das Handeln sozialer Akteure, ebenso wie die Politik und die Geschichte völlig hinter der Kritik von Strukturen verschwinden zu lassen (wobei die Subjekte in einem völlig identischen Verhältnis zu den Strukturen stehen sollen), ist demgegenüber nichts anderes als die Vermeidung der eigenen Konfrontation mit den Tätern. Die Parallele zur Goldhagen-Diskussion liegt auf der Hand. Wenn die Ereignisse rein funktional als "Prozesse ohne Personal" aufgefaßt werden, müssen sie zwangsläufig in ihrer Eigenart und Singularität verschwinden. Anders gesagt: Eine solide marxistische Theorie individuellen Handelns wäre ein bedeutender Beitrag zum Antirassismus. Ohne Erklärung, wie sich die Akteure in Widerspruch zu den ihnen gegenüber verselbständigten Strukturen bilden können, wird der Eigensinn sowohl der Rassisten wie auch der Marginalisierten immer wieder nach seiner "Funktion" hin aufgelöst und somit als "falsches Bewußtsein" derealisiert werden.

Daß diese Kritik die Protagonisten des "Klassenreduktionismus" nicht übermäßig beunruhigt, hängt wohl auch damit zusammen, daß auf ihren Reduktionismus häufig mit einer kulturalistisch und soziologisch orientierten, dichotomischen bzw. additativen Gegenüberstellung von "Rasse" und "Klasse" reagiert wird.

Während das eine Paradigma dazu tendiert, die Besonderheiten des Rassismus in einer vereinfachenden ökonomischen Logik untergehen zu lassen, bleibt das zweite bei einem Ensemble pluraler Erklärungen stehen.

Diese Kontroverse ist nicht neu. Sie wurde bereits in den siebziger und achtziger Jahren exemplarisch in der Auseinandersetzung über Südafrika sowie über die nordamerikanische Plantagensklaverei geführt. Das deshalb, weil in beiden Fällen Kapitalismus und Rassismus schwerlich in der Logik von Haupt- und Nebenwiderspruch gedacht werden können. Im kapitalistischen Südafrika war sehr eindeutig nicht "Klasse", sondern "Rasse" die entscheidende Differenzmarkierung. Angesichts der Beteiligung der "weißen" Arbeiterklasse an der polizeilichen und militärischen Überwachung der "schwarzen" Arbeit, wäre jeder Appell an die "Klassensolidarität" geradezu obszön gewesen. Überdies wurde durch die Gleichzeitigkeit von Kapitalismus und Apartheid die Vorstellung von einem klassischen Weg kapitalistischer Entwicklung in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang drehte sich die Diskussion auch um die amerikanische Plantagensklaverei. Dabei stellte man erstaunt fest, daß Marx diese nur für "formell" kapitalistisch hielt, "da die Negersklaverei freie Lohnarbeit, also die Grundlage der kapitalistische Produktion, ausschließt. Es sind aber Kapitalisten, die das Geschäft mit Negersklaven treiben". (MEW 26.2/S.299)

Daß Marx das Nebeneinander zweier Produktionsweisen für möglich hielt, die wiederum durch eine gemeinsame Dominante (Beteiligung am kapitalistischen Weltmarkt) strukturiert sind, stellt eine für die linke Rassismustheorie folgenreiche Aussage dar, weil sie erklären hilft, wie rassifizierte Gruppen in das Gefüge kapitalistischer ökonomischer Beziehungen eingeordnet werden, wie also Gesellschaften zugleich rassistisch und kapitalistisch strukturiert sein können: Einerseits gründet sich auf der Form, in der unbezahlte Mehrarbeit abgepreßt wird, die ganze Gestaltung des Gemeinwesens, andererseits können auf derselben ökonomische Basis ganz verschiedene Varianten von Gesellschaft existieren, die nur durch Analyse dieser empirisch gegebenen Umstände zu begreifen sind. Rassismus läßt sich deshalb nicht a priori von der ökonomischen Ebene "ableiten". Die Bestimmungen müssen vielmehr gesondert betrachtet werden, damit über ihr Zusammenspiel ihre Verschiedenheit nicht vergessen wird: "Die Gesellschaft als ein einziges Objekt betrachten, ist, sie überdem falsch betrachten - spekulativ." (Marx)