Dern Prozess gegen die »Sauerlandgruppe«

Einfach in den Jihad

Haarklein beschreiben Fritz Martin Ge­lowicz und seine Mitstreiter, wie sie dazu kamen, Anschläge zu planen. Vieles erinnert an die kruden »Antiimperialistischen Zellen (AIZ)«.

Ob er sich denn immer noch als Mudschahed bezeichnen würde? Fritz Martin Gelowicz überlegt kurz. Dann antwortet er mit ruhiger Stimme: »Nein, ich würde mich als Gefängnisinsassen bezeichnen.« Es sei eben Allahs Wille gewesen, dass die von ihm und seinen Freunden geplanten Anschläge nicht geklappt hätten, sagt der 29jährige.
Der junge Mann gilt als Anführer der so genann­ten Sauerlandgruppe. Seit Mitte April wird gegen ihn, Adem Yilmaz, Daniel Schneider und Attila Se­lek vor dem Düsseldorfer Landgericht verhandelt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, meh­rere Autobombenanschläge vorbereitet zu haben. Zur gleichen Zeit hätten sie in Kneipen, Disko­the­ken und auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ram­stein möglichst viele US-Bürger töten wollen. Monatelang hatten die vier Angeklagten zu den Anschuldigungen geschwiegen. Doch im Juni änderten sie überraschend ihre Meinung. Seit Montag vergangener Woche stellt sich einer nach dem anderen den Fragen des Vorsitzenden Richters Ottmar Breidling.

Gelowicz machte den Anfang. Für die Sache des Islam habe er ursprünglich mit seinen Freunden in Afghanistan, Tschetschenien oder dem Irak kämpfen wollen. »Es war uns eigentlich egal wohin, wir wollten einfach in den Jihad.« In einem Ausbildungslager der Islamischen Jihad-Union (IJU) in der pakistanischen Grenzregion Waziristan sei ihnen jedoch vorgeschlagen worden, lieber in der Bundesrepublik aktiv zu werden, da sich hier »mit viel weniger Aufwand ein viel größerer Schaden anrichten« lasse.
Den Geständnissen im Gerichtssaal vorausgegangen waren umfangreiche Einlassungen der Angeklagten in der Anwesenheit von Beamten des Bundeskriminalamtes. Die Vernehmungsprotokolle umfassen mehr als 1 200 Seiten, die nun nach der Sommerpause in den Prozess eingeführt werden. Niemals zuvor haben deutsche Behörden eine so detaillierte Beschreibung der Genese einer jihadistischen Anschlagsplanung erhalten. Aus­führlich schildern die in der BRD geborenen oder aufgewachsenen jungen Männer ihren Weg in den »Heiligen Krieg«: von ihrer Radikalisie­rung nach dem 11. September 2001, den Reisen nach Mek­ka, Medina, Damaskus, Istanbul und schließlich über Teheran zur IJU ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet.
Er sei »beeindruckt« vom Umfang der Aussagen und der Offenheit der Angeklagten, sagte der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling. »Sowas habe ich in meiner richterlichen Zeit noch nicht erlebt.« Seit 1996 steht der zur Selbstgefälligkeit neigende Jurist, der immer wieder gerne durch markige Law-and-order-Parolen von sich reden macht, dem für Staatsschutzsachen und Terrorismus zuständigen 6. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts vor. Breidling verhandelte gegen PKK-Aktivisten, gegen al-Qaida-Anhänger, gegen Mitglieder einer deutschen Zelle der islamis­tischen Terrorgruppe al-Tawhid und gegen Metin Kaplan, den inzwischen in die Türkei abgeschobenen »Kalifen von Köln«. Zuletzt verurteilte er den als »Kofferbomber« bekannt gewordenen Libanesen Youssef Mohamad El Haj Dib zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der Sauerland-Prozess dürfte der letzte große des 62jährigen sein.

Ein Kreis schließt sich: Erstmalig für Schlagzeilen sorgte Breidling Ende 1997 mit der Verhandlung gegen die »Antiimperialistischen Zellen« (AIZ), der »wohl skurrilsten Guerilla, die die bundesdeutsche Linke je hervorgebracht hat« (Taz). Die auf den ersten Blick so unterschiedlichen Fälle der Sauerländer Gotteskrieger und der beiden Möchtegernnachfolger der RAF, Bernhard Falk und Michael Steinau, die bis Mitte der neunziger Jahre mit mehreren Sprengstoffanschlägen von sich reden machten und nach ihrer Festnahme im Februar 1996 zum Islam konvertierten, weisen bemerkenswerte Parallelen auf – nicht zuletzt wegen ihrer ideologischen Verbindung. Denn ihr kruder »Antiimperialismus« führte Falk und Steinau immer stärker in die Nähe des militanten Islamismus. Vor Gericht kritisierte das dem linksautonomen Milieu entstammende Duo nicht nur die USA und den »zionistischen Staat Israel« als die gemeinsam mit der BRD »gefährlichsten Staaten der Welt«, sondern schwärm­te auch von der »isla­mischen Vorstellung von einem einfachen und gerechten Leben«. Bereits in ihrem letzten Bekennerbrief hatten die AIZ verkündet: »Wir haben den Islam als revolutionäre Waffe in voller Schärfe und Schönheit kennen lernen dürfen.«
Gemeinsam ist beiden Fällen auch, dass ihre jeweiligen Protagonisten frühzeitig und mit großem Aufwand über längere Zeit vom Staatsschutz observiert wurden. Das Erstaunliche ist: Sowohl Falk und Steinau als auch Gelowicz & Co. war sehr bewusst, dass sie überwacht wurden. Trotzdem machten sie dreist weiter. Er sei sich »total sicher« gewesen, »dass alles klappen würde«, sagte Gelowicz vor Gericht. Eine grandiose Selbstüberschätzung. Anfang September 2007 wurden er, Yilmaz und Schneider in einer Ferienwohnung im sauerländischen Medebach-Oberschledorn von einem Kommando der GSG 9 verhaftet; Seleks Fest­nahme erfolgte im November 2007 in der Türkei.

In München geboren und aufgewachsen in Ulm, stammt Gelowicz aus einem gutbürgerlichen Elternhaus. Bis zu seinem 15. Lebensjahr verläuft der Lebensweg des nicht religiös erzogenen Sohnes einer Ärztin und eines Unternehmers für Solar­tech­nik völlig unspektakulär. Er spielt American Football und hört HipHop, trägt Basecaps und Baggy-Pants, macht seine ersten Party- und Alkoholerfahrungen. Doch wie sein älterer Bruder ent­deckt der Teenager plötzlich sein Faible für den Islam. Diskussionen mit türkischen Freunden hät­ten ihn zu der Überzeugung gebracht, »dass es die richtige Religion für mich ist«, sagt er vor Gericht. Es ist keine wirklich befriedigende Erklärung.
Von da an bewegt er sich im Umfeld des so genannten Multikulturhauses in Neu-Ulm, einem Zentrum der islamistischen Szene. Endgültig radikalisiert wird er nach dem 11. September 2001. Zunächst habe er die Terroranschläge auf die Twin Towers und das Pentagon nicht für gut befunden. »Später hat sich das geändert.« Die »allgemei­ne Entscheidung«, irgendwann in den Jihad ziehen zu wollen, will Gelowicz Ende 2002 gefasst haben. Die CIA-Entführung Khaled al-Masris im folgenden Jahr habe dann »das Fass zum Überlau­fen gebracht«. Den Deutschen libanesischer Herkunft kannte er aus dem Multikulturhaus, sie beteten gemeinsam. Gelowicz sagt: »Die Amerikaner haben den Krieg in meine Moschee getragen.« Als im Dezember 2005 das Multikulturhaus vom Bayerischen Staatsministerium des Innern geschlossen und der dazugehörige Verein verboten wird, ist er bereits fest entschlossen, dem Beispiel anderer Ulmer Islamisten zu folgen und in den bewaffneten Kampf zu ziehen.

Nach wie vor ist unklar, welche Rolle die Geheimdienste auf dem Weg der Sauerland-Gruppe in den Jihad gespielt haben. Kein Geheimnis ist, dass der ägyptische Hassprediger Yehia Yousif, der »als geistiger Führer« des Multikulturhauses galt und in dessen näherem Umfeld sich bis zu dessen Abtauchen 2005 Gelowicz und auch Selek bewegten, mehrere Jahre dem Verfassungsschutz als Informant diente. Bekannt ist mittlerweile auch, dass der in der Türkei untergetauchte Mevlüt K., der wohl nicht nur bei der Zünderbeschaffung half, als V-Mann des türkischen Geheimdiens­tes MIT arbeitete und über gute Kontakte zur CIA verfügte. Allerdings lässt sich dadurch noch nicht die These von Verschwörungstheoretikern belegen, die Aktivitäten der Sauerland-Gruppe seien ferngesteuert gewesen. Denn vieles spricht dafür, dass sowohl Yousif als auch Mevlüt K. ihre Verbin­dungen zu den Geheimdiensten umgekehrt dazu nutzten herauszufinden, welche Kenntnisse diese über die Islamisten besitzen. Er habe gewusst, dass Mevlüt K. über geheimdienstliche Kontakte verfügte, sagte Gelowicz im Prozess aus. Aber er habe dies eher als nützlich empfunden. »Ich war davon überzeugt, dass er auf unserer Seite war.«