Verurteilung wegen eines Nazi-Massakers in Italien

Der Mann mit der Bürgermedaille

Wegen eines Massakers an italienischen Zivilpersonen im Juni 1944 wurde Josef Scheungraber vergangene Woche zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil könnte für weitere Kriegsverbrecherprozesse von Bedeutung sein.

»Das wünsche ich niemandem«, sagte der Angeklagte Josef Scheungraber am letzten Verhandlungstag vor dem Landgericht in München. Damit meinte er nicht die Todesangst der italienischen Zivilisten, deren Ermordung ihm zur Last gelegt wird: »Ich habe 14 Jahre meines Lebens für dieses so genannte Vaterland geopfert. Und nun muss ich im Alter von fast 91 Jahren das erste Mal in meinem Leben vor einem Gericht stehen.«

Dem Vaterland gedient hat Josef Scheungraber vor allem in den Jahren von 1937 bis 1945 als Freiwilliger in der 1. Gebirgsjäger-Einheit. Ab 1943 war er als Kompanieführer eines Bataillons in Italien stationiert. Das Landgericht München sieht es nun als erwiesen an, dass er am 27. Juni 1944 im italienischen Falzano di Cortona die Sprengung eines Bauernhauses anordnete, in das die Soldaten seiner Kompanie vorher elf Männer eingesperrt hatten. Als einige Minuten nach der Sprengung noch vereinzelte Schreie zu hören waren, schossen die Soldaten mit Maschinengewehren auf das Haus. Nur der jüngste der Eingesperrten, zur Tatzeit gerade 15 Jahre alt, überlebte das Massaker schwerverletzt.
Die Aktion war ein Racheakt. Als das Bataillon von Scheungraber am 26. Juni nach Falzano gekommen war, um für den Rückzug der deutschen Truppen eine Brücke wiederaufzubauen, wurden zwei der Soldaten von Partisanen erschossen.
Scheungraber wurde bereits im Jahr 2006 von einem italienischen Militärgericht in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, aber der deutsche Staat lieferte ihn nicht nach Italien aus. Während des Prozesses vor dem Landgericht München behauptete Scheungraber, sich nie in der Gegend von Falzano aufgehalten zu haben. Fotos belegen jedoch, dass er bei der Beerdigung der zwei erschossenen deutschen Soldaten anwesend war. Nach der Aussage eines Lehrlings aus Scheungrabers Schreinerbetrieb im bayerischen Ottobrunn hat sich der Angeklagte zudem noch in den siebziger Jahren mit der Tat gebrüstet.

Das absurdeste Gegenargument lieferte Scheun­grabers Anwalt Rainer Thesen. Er könne aufgrund des militärischen Reglements nachweisen, dass sein Mandant gar nicht befugt gewesen sei, einen solchen Befehl zu geben, wie er ihm zur Last gelegt wird. Die Überzeugung, dass der treue deutsche Soldat sich nur an Recht und Rangordnung hält und damit auch Gewaltexzesse ausgeschlossen sind, wäre Thesen durchaus zuzutrauen. In einem Beitrag für die Zeitschrift Gebirgstruppe des »Kameradenkreises der Gebirgs­jäger« etwa beklagte er 2006, dass die Wehrmacht heutzutage als weitgehend willfähriges Gewaltinstrument des Unrechtsstaats bezeichnet werde, er hingegen sehe sie als »Teil unserer Geschichte«. Nebenbei schreibt Thesen regelmäßig Leserbriefe in der Jungen Freiheit.
Auch die anderen beiden Anwälte von Scheun­graber sind für ihre Verbindungen in rechte Kreise bekannt. Christian Stünkel aus Jena tritt häufig als Anwalt von organisierten Neonazis in Erscheinung. Klaus Goebel aus München hat enge Kontakte zur »Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte«, die sich seit 1951 um rechtlichen und praktischen Beistand für ehemalige SS- und Wehrmachtsoffiziere kümmert.
Das Massaker von Falzano war freilich kein Einzelfall. Beim Rückzug der Wehrmacht vor den Alliierten in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs wurden allein in Italien rund 10 000 Zivilisten bei derartigen Vergeltungsmaßnahmen ermordet. Der Oberbefehlshaber der Deutschen in Italien, Generalfeldmarschall Albert Kesselring, hatte wiederholt die Devise ausgegeben, jeden Angriff der Partisanen ausgiebig zu rächen. Kesselring hatte jedem Soldaten Straffreiheit auch für Gewaltexzesse versprochen.
Für die meisten der Täter scheint dieses Versprechen bis heute Bestand zu haben. Dies liegt weder nur daran, dass die Täter unbekannt oder verschwunden sind, noch steht das Alter der Angeklagten einem Prozess immer entgegen. »Scheungraber war voll verhandlungsfähig. Das Verfahren gibt ein Beispiel dafür, dass auch nach 65 Jahren eine Aufklärung der von Wehrmachtsangehörigen begangenen Massaker möglich ist«, sagte Gabriele Heinecke, die die Angehörigen der Opfer von Falzano vertritt, der Jungle World. Lebende Täter gebe es zudem noch einige.

Die italienischen Gerichte haben in den vergangenen Jahren zahlreiche andere NS-Kriegsverbrecher verurteilt. Die deutschen Ermittlungsbehörden schienen weniger an aufwendigen Verfahren interessiert zu sein. Einige Gerichte wiesen außerdem eine Verurteilung bei solchen Rache­aktionen zurück, weil sie in den Taten keinen Mord sahen und ein reiner Totschlag längst verjährt ist. Die besondere Bedeutung des Urteils des Landgerichts München sieht Gabriele Heinecke nun in der Annahme des Mordmerkmals »niedrige Beweggründe«, weil am 27. Juni 1944 unter dem Befehl von Scheungraber Zivilpersonen umgebracht wurden, die weder mit den kriegerischen Auseinandersetzungen noch mit Partisanenaktivitäten zu tun hatten. »Das hat auch Bedeutung für das Ermittlungsverfahren Sant'Anna di Stazzema, wo deutsche Soldaten am 12. August 1944 560 unschuldige Frauen, Kinder und Männer niedergemetzelt haben.« Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt seit 2002, hat jedoch noch keine Anklage erhoben.
Die Anwälte Scheungrabers haben Revision eingelegt, Heinecke schätzt deren Chancen aber als gering ein. So muss Scheungraber wohl in Zukunft auch darauf verzichten, an Pfingsten nach Mittenwald zu fahren. Dort treffen sich jedes Jahr im »Kameradenkreis der Gebirgsjäger« alte Veteranen der Wehrmacht und junge Rekruten der Bundeswehr, um »aller Opfer von Krieg, Gewalt und Terror« zu gedenken. Das Verteidigungsministerium unterstützt diese Veranstaltung und hat immer wieder Anschuldigungen zurückgewiesen, dort gemeinsam mit NS-Kriegsverbrechern das deutsche Militär zu feiern, obwohl seit langem bekannt ist, dass die Gebirgsjäger-Truppen für zahlreiche Massaker während des Zweiten Weltkriegs verantwortlich sind. »Die Lüge, dass die Gebirgs­jäger eine saubere Truppe waren, ist durch das Scheungraber-Urteil widerlegt worden«, sagte ein Sprecher des »Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege« im Gespräch mit der Jungle World. »Es fragt sich, ob Bundesregierung und Bundeswehr nach diesem Gerichtsurteil weiterhin zu dieser Art der ›Traditionspflege‹ stehen wollen.«

In Ottobrunn ist man unterdessen schockiert von dem Urteil gegen das langjährige Gemeinderatsmitglied, das auch Träger der Bürgermedaille des Ortes ist. »Das Urteil erschüttert mich und macht mich traurig«, so die erste Reaktion des CSU-Bürgermeisters, Thomas Loderer. Der Gemeinderat scheint jedoch nach Informationen des Münchner Merkur mittlerweile zu überlegen, Scheungraber die Bürgermedaille wieder abzu­erkennen. Dies überrascht, hatte doch der Vorsitzende des Ortsverbands der CSU, Hubert Hawliczek, den Angeklagten zu Prozessbeginn noch in Schutz genommen: »Mein Vater war auch im Krieg, auch im Partisaneneinsatz. Gehört der nun ebenso auf die Anklagebank?«

Geändert: 20. August 2009