Die jihadistische Shabab in Somalia

Der Sheikh und die Jugend

Das internationale Interesse an Somalia ist wieder gestiegen, seit die Befürchtung kursiert, die jihadistische Shabab werde auch im Ausland aktiv.

Wer in Somalia nach Verbündeten sucht, muss flexibel sein. Sheikh Sharif Sheikh Ahmed war Vor­sitzender der Union der Islamischen Gerichte (UIC), eines islamistischen Oppositionsbündnisses, als äthiopische Truppen Anfang 2007 Mogadishu einnahmen, um der Übergangsregierung (TFG) zur Macht zu verhelfen. Jendayi Frazers, die US-Vizeaußenministerin für Afrika, sagte damals, dass die UIC von der ostafrikanischen al-Qaida-Zelle kontrolliert werde. In der vergangenen Woche lauschte Sheikh Ahmed jedoch dem Versprechen von US-Außenministerin Hillary Clinton, ihn zukünftig verstärkt zu unterstützen. Denn mittlerweile ist der ehemalige Oppositionsführer Präsident der TFG, seine gefährlichsten Feinde sind nun seine ehemaligen Verbündeten aus der UIC.
Die jihadistische Shabab (Jugend) kontrolliert große Teile Süd- und Zentralsomalias sowie der Hauptstadt Mogadishu. Sie ähnelt den Taliban in ihrer extrem strengen und bornierten Auslegung der Sharia. Es mehren sich die Befürchtungen, dass die Shabab sich nicht damit begnügen will, die Somalier zu terrorisieren. Vor allem die Nachbarländer gelten als gefährdet, doch glaubt die aus­tralische Polizei, dass eine Gruppe von Islamis­ten, der somalische Migranten angehören, einen Anschlag auf eine Kaserne plante und ein Geistlicher der Shabab beteiligt war. »Die Bedrohung durch die Shabab reicht weit über die Grenze hinaus«, befand Clinton.
Die westlichen Regierungen gehen nun umgehend daran, die Fehler zu wiederholen, die bereits im Umgang mit den Taliban gemacht wurden. Auch deren Terror wurde toleriert, solange er nur Afghanen betraf. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verbündeten sich die USA mit afghanischen Warlords und Islamisten, denen die »internationale Gemeinschaft« die Herrschaft übertrug und eine »islamische« Gesetzgebung ge­stattete. Die Taliban regieren brutaler, haben private Gewalt aber weitgehend unterbunden. Die regierungstreuen Warlords sind weniger streng in der Anwendung der Sharia, doch Konkurrenzkämpfe, Bandenkriege und Gewaltkriminalität fordern zahlreiche Opfer.
Auch die meisten Somalier sind erbost, wenn islamistische Tugendterroristen ihnen verbieten, Sportsendungen anzuschauen oder während der Gebetszeit einen Tee zu trinken. Von der TFG, einer Versammlung zerstrittener Warlords, erwarten sie jedoch keine Verbesserung ihrer Lage, vielmehr fürchten sie Chaos und Gewalt, die in Somalia seit dem Zusammenbruch des Staats vor fast 20 Jahren herrschen. Viele betrachten daher die Shabab als kleineres Übel.
Die Strategie, durch eine Integration der »Gemäßigten« die Jihadisten zu isolieren, ist in Somalia bereits gescheitert. Sheikh Ahmed sollte diese Rolle übernehmen, er führte die Sharia ein, kann jedoch, obwohl er von einer internationalen Interventionstruppe unterstützt wird, nicht einmal in Anspruch nehmen, Bürgermeister von Mogadishu zu sein, da schon einige Straßenzüge von seinem Amtssitz entfernt die Shabab herrscht. Ende 2001 hatte die US-Regierung schon einmal erkundet, ob Somalia zu einer weiteren Front im »War on terror« werden solle, jedoch keine nennenswerten Basen von Jihadisten gefunden. Nun beherrscht die Shabab große Teile des Landes, und im Weg stehen ihr weniger die Kämpfer der TFG als die schlagkräftigen Milizen nordsomalischer Warlords und die Truppen des faktisch unabhängigen Somaliland.
Hartnäckig hält sich in westlichen Regierungen das Vorurteil, der Muslim kenne kein höheres Bestreben, als nach der Sharia zu leben. Es müsste daher diese islamische »Tradition« geachtet werden. In Wahrheit ist es jedoch die islamistische Bewegung, die real existierende Traditionen bekämpft. Die diversen Bevölkerungsgruppen, Nomaden, Bauern und Städter, hatten den Islam ihren Bedürfnissen angepasst. Der Bürgerkrieg führ­te zu einem Zerfall der informellen Sozialord­nung, die Warlords, in der Regel Geschäftsleute, Bürokraten oder Offiziere, verdrängten Stammes­älteteste und Clanführer. Die jungen Männer mit den Gewehren essen nun vor den Alten.
Die Sharia gilt den Islamisten, der Shabab wie Sheikh Ahmed, nun als Mittel, ein neues, von ihnen geführtes Herrschaftssystem zu schaffen. Diese Regelungen müssen der Bevölkerung aufgezwungen werden, auch zu diesem Zweck dürften die 40 Tonnen Waffen, die die US-Regierung Sheikh Ahmed bereits zukommen ließ, Verwendung finden.
Vermutlich wird es vorläufig bei der indirekten US-Unterstützung bleiben. Europäische Politiker diskutieren jedoch bereits über eine Ausweitung der Operation Atalanta, des Marineeinsatzes gegen die somalischen Piraten. Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana forderte in der vergangenen Woche im Guardian »größere Anstrengungen« in Somalia, eine höhere Wiederaufbauhilfe, verstärk­te Anstrengungen bei der Ausbildung einheimischer Sicherheitskräfte und bessere internationale Koordination. Das ist ziemlich genau das rhetorische Programm, das in Afghanistan den Wiederaufstieg der Taliban begleitete.