Ohne Phallus am Ostkreuz

Im Literaturhaus Fasanenstraße wurde das schwule Berlin präsentiert

Seine erste Buchpremiere habe 1992 noch in der Szenekneipe "Stiller Don" stattgefunden, sagte Micha Schulze am letzten Mittwoch. Fünf Jahre später sei er zum ersten Mal im noblen Literaturhaus an der Fasanenstraße, wenige Meter vom Kurfüstendamm entfernt, und sich nicht sicher, ob der Kölner Verleger Jackwerth für die Präsentation des schwulen Berlin-Buches "Homopolis" nicht besser das Kreuzberger SchwuZ hätte wählen sollen. Das wäre politisch zwar korrekt gewesen - das Alternativzentrum kämpft ums Überleben -, aber völlig außerhalb des Trends, den man schon mitmachen muß, um nicht aus der "schwulen Familie" verstoßen zu werden: Berlins Homos sind salonfähig geworden, haben sich erst für Monate die Akademie der Künste erobert und jetzt eben das Literaturhaus.

Zumindest handelt es sich bei Schulzes neuem Werk, anders als beim Vorgänger "Schwule Hauptstadt", streckenweise um wirkliche Literatur. Ohne den störenden Serviceteil wäre es ein richtiges Lesebuch. Sechzehn Autoren, zwei Autorinnen (darunter drei aus dem Osten) hat Schulze gewinnen können, allesamt mit Namen in der Szene - manche sogar mit Ruf. Die Schriftsteller unter ihnen, Mario Wirz, Michael Sollorz, allen voran aber Detlev Meyer, beobachten genau, spüren "der Idee Berlin" nach und nähern sich der community teils mit Ironie, teils mit Sarkasmus, aber nie zynisch. Andere hingegen, meist Journalisten wie Jürgen Bieniek oder Schulze selbst, beschränken sich auf historische oder aktuelle Fakten, während die restlichen sich mit dem bescheiden müssen, was sie können und wofür man sie in der Szene liebt: Vordergründiges, Triviales, Klischeehaftes, verpackt in heitere Sprüche oder das, was gemeinhin dafür gehalten wird.

Auf welche Weise auch immer, man erfährt einiges: Über Berufsschwulentum, die schwule Literaturstadt, Sex around the clock, Lesben gar (Manuela Kays Text ist ein Highlight, obwohl sie im Buch die Alibi-Lesbe gibt) und Berlin-Clubnights, über Geilheit in Neukölln und die Szene am Prenzlauer Berg. Man lernt die fünf liebsten Schwulenmuttis kennen und nimmt erstaunt zur Kenntnis, der Charlottenburger Buchladen Prinz Eisenherz sei nur "einige hundert Meter" vom Buchladen Adam in der Prenzlberger Gleimstraße entfernt und die Siegessäule sei ein phallisches Baudenkmal. Ob solcherart Phallus den Inhaber beglücken würde, bleibe dahingestellt, aber der Wasserturm am Ostkreuz liegt halt jenseits von Homopolis. Das schwierige Pflichtthema Stasi hat der Herausgeber (West) wohlweislich einer unverdächtigen Vertrauensperson übertragen: sich selbst. Man kann's ja überspringen.

Nur das Politische fehlt offenbar in der schwulen Polis, denn der neue Berliner Homo meidet Politik; die überläßt er dem Staat oder, angewidert, linksradikalen Autonomen in Second-hand-Klamotten, die ein Literaturhaus allenfalls aufsuchen würden, um das Büffet zu plündern. Da hätten sie diesmal aber schlechte Karten gehabt, oder, um mal mit dem Namen des Verlegers zu kalauern: Das Büffet war nicht die Jack werth. Nur im SchwuZ hätten Salami, Aldi-Lachs, Edamer und kalter Toast stilecht gewirkt.

Micha Schulze (Hg.): Homopolis. Jackwerth Verlag, Berlin 1997, 240 S., DM 28