Prozess gegen Neonazis in Dresden

Dresdner Verhältnisse

In Dresden fand vorige Woche der Prozess gegen vier junge Neonazis statt. Die örtliche Szene nutzte die Verhandlung für einen viertägigen Schaulauf im Gerichtssaal.

Wer die neuesten Modetrends der regionalen Neonazi-Szene studieren wollte, war vorige Woche im Dresdner Amtsgericht an der richtigen Adresse. Neben bekannten Gesichtern der Kameradschaftsszene und der Autonomen Nationalisten aus dem Umfeld eines Szenetreffs zeigten auch die NPD-Kreisverbandsvorsitzenden aus Dresden und der Sächsischen Schweiz, Jens Baur und Carmen Steglich, ihre Solidarität mit den Angeklagten. Für einen der Nebenklagevertreter war das eine neue Erfahrung. Er habe es in den Jahren seiner Tätigkeit noch nie erlebt, dass es »so voll ist und solche offenen Solidaritätsbekundungen stattfinden«.

Vier junge Neonazis hatten sich vor dem Gericht zu verantworten. Im März 2009 waren sie nach der Urteilsverkündung gegen Willy Kunze, den Drahtzieher mehrerer Überfälle nach dem EM-Halbfinale Deutschland gegen Türkei, einem Mitarbeiter des Kulturbüros Sachsen gefolgt. Kurz vor dessen Büro prügelten und traten sie auf ihn ein. Manche der Angeklagten hatten sich noch anderer Übergriffe schuldig gemacht. Im Prozess ging es auch um den Überfall auf einen tschechischen Fotojournalisten am Rande einer Spontan­demons­tration von Neonazis in Dresden am 21. Juni 2008 und eine weitere Schlägerei.
Dass die Anwesenheit von Personen aus dem Umfeld des Täters für das Gericht nicht grundsätzlich von Nachteil ist, bewies der langjährige Neonazi-Kader Ronny Thomas. Er wurde auf einem Bild identifiziert, das eine Gruppe zeigt, die sich an dem Überfall auf den tschechischen Journalisten aktiv beteiligte. Richterin Keeve bestellte ihn direkt von der Zuschauerbank in den Zeugenstand, wo er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machte, um sich nicht selbst zu belasten.
Gesprächiger als der erfahrene Kader war der Angeklagte Marco E. Bei dem Überfall auf den tschechischen Fotografen habe er am »ungepflegten Äußeren und den langen Haaren« erkannt, dass der Journalist ein Linker sein müsse. Er sei auf ihn zugerannt, um in freundlicher sächsischer Mundart mitzuteilen, dass er »sich vom Acker« machen solle. Körperliche Gewalt sei nicht beabsichtigt gewesen. Tschechische Neonazis filmten den Angriff und stellten den Film ins Internet. Dass Marco E. im Video auf dem Geschädigten liegt, begründete der Angeklagte mit einem Sturz. Über den Überfall auf den Mitarbeiter des Kulturbüros berichtete er ähnlich. Er sei mit seinen Freunden nur losgezogen, um den »Antifa-Fotografen« ganz »in Ruhe zur Rede zu stellen«. Während die Mitangeklagten »immer wieder zugeschlagen und getreten haben«, habe er selbst das Geschehen lediglich beobachtet. Im Plädoyer versuchte sein Verteidiger, Rechtsanwalt Hohnstädter aus Leipzig, eine Rechtfertigung und erklärte, was die Begriffe »Antifa« und »Zivilgesellschaft« eigentlich bedeuten. Wie schon der »Antifaschistische Schutzwall« diene auch der Begriff der »Zivilcourage« dazu, die Welt in Gut und Böse zu teilen. Auf der Innenseite stünden die Zivilen und außerhalb diejenigen, die man ausgrenzen wolle. Die Täter, die er als »schlichte Gemüter« bezeichnete, fühlten sich schnell provoziert und seien die eigentlichen Opfer der Verhältnisse.

Die realen Dresdener Verhältnisse wurden in zahlreichen Aussagen deutlich. So fragte Hohnstädter einen Zeugen, ob ihm am Tatort etwas aufgefallen sei. Dieser antwortete, es gebe ihm zu denken, dass ein Mensch auf einer der am stärksten frequentierten Straßen der Stadt mit einer so ungeheuren Brutalität zusammengeschlagen werde. Passanten hätten die Auseinandersetzung ignoriert, Autos und Straßenbahnen seien achtlos vorbeigefahren. Meistens sei noch nicht einmal gehupt worden oder ähnliches, sagte der junge Zeuge vor dem Amtsgericht. Zum Zeitpunkt des Überfalls lebte er erst seit wenigen Wochen in Dresden. Die Zustände neonazistischer Gewalt in Sachsen kannte er bis dahin nur aus Zeitung und Fernsehen. Er und ein Migrant mit italienischem Hintergrund waren die einzigen, die dem Mitarbeiter des Kulturbüros halfen, als ein »Knäuel von Leuten schlagend und tretend« den am Boden liegenden Mann traktierte.
Marco E. wurde als Kopf der Schlägerbande zu einer Haftstrafe von über einem Jahr verurteilt. Der Mitangeklagte Axel R., der an den ersten beiden Verhandlungstagen in einem T-Shirt mit der Aufschrift »Warum wollt ihr es nicht kapieren, Kinderschänder kann man nicht therapieren« erschien, kam mit neun Monaten davon. Christian L. und Kay-Dirk N. wurden nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, ein letztes Mal auf Bewährung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, eine Berufung nicht ausgeschlossen.