Karl Rössel im Gespräch über die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« und den Streit über Nazi-Kollaborateure aus dem Nahen Osten

»Die Ausstellung gibt es ganz oder gar nicht«

Seit dem 1. September ist in Berlin die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« zu sehen. Sie fußt auf Recherchen, die in mehr als 30 Ländern Asiens, Ozeaniens und Afrikas von dem Kölner Journalistenkollektiv »Recherche international« durchgeführt wurden. Einige Tage vor der Ausstellungseröffnung in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen teilte die Geschäftsführerin der Institution, Phi­lippa Ebéné, nach Medienberichten mit, sie werde von ihrem »Hausrecht« Gebrauch machen, wenn nicht ein Teil der Ausstellung aus dieser entfernt werde. Karl Rössel hat sich an den Recherchen für die Ausstellung beteiligt und kuratiert sie.

In dieser Woche beginnt die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«, die auf Tournee durch diverse deutsche Städte geht. Was ist darin zu sehen?

Es geht im Prinzip um die vergessene Hälfte der Geschichte des Zweiten Weltkriegs – nicht um Marginalien, sondern um Millionen von Kolonialsoldaten, Zwangsrekrutierten, Zwangsarbeitern, Zwangsprostituierten, die in unserem Geschichtsdiskurs bis heute kaum vorkommen. Um nur ein Beispiel zu nennen, um welche Dimensionen es hier geht: Allein in China gab es mehr Op­fer als in Deutschland, Italien und Japan zusammen. China stellte 12,5 Millionen Kolonialsoldaten, in der britischen Armee waren von 11 Millionen Soldaten fünf Millionen aus den Kolonien, insgesamt waren es wohl mehr Soldaten aus der Dritten Welt, die am Zweiten Weltkrieg teilgenommen haben, als aus Europa. Diese Soldaten wurden mehr oder weniger vergessen, und ihre Opfer wurden nicht gezählt. Zum Teil wurden sie ganz bewusst nicht gezählt, weil sie als französische, britische, US-amerikanische oder auf der anderen Seite als deutsche oder italienische Opfer unter deren Opferzahlen subsumiert wurden, weil sie als Kolonisierte nicht als eigenständige Opfer galten.
Unser Hauptziel ist es, der eurozentristischen Geschichtsbetrachtung des Zweiten Weltkriegs die fehlende Perspektive der Welt entgegenzusetzen, die außerhalb Europas, der USA und Japans liegt. Das versuchen wir in der Ausstellung darzustellen, die insgesamt aus 96 Tafeln besteht.

Die Ausstellung sollte in der Werkstatt der Kulturen in Neukölln eröffnet werden, nun ist sie in den Uferhallen im Wedding zu sehen. Was ist passiert?

Es gab den Versuch der Geschäftsführung der Werk­statt der Kulturen in Neukölln, die Ausstellung zu zensieren, und zwar um einige Tafeln, die Nazikollaborateure aus arabischen Ländern präsentieren. Es gibt in der Ausstellung zwei kleinere thematische Unterkapitel, das eine behandelt Judenverfolgung außerhalb Europas, weil es beispielsweise auch Lager in Nordafrika gab und ein jüdisches Ghetto in Shanghai und die Nazis sowohl in Nordafrika wie auch in Shanghai versuchten, die Judenvernichtung außerhalb Europas fortzusetzen. Und es gibt ein kleines Unterkapitel zum Thema Kollaboration.
All das ist der Werkstatt der Kulturen seit Anfang des Jahres bekannt, die Konzeption der Ausstellung, mit dem Abschnitt zur Kollaboration, lag im Januar vor, sie ist auf einem Wochenendseminar mit Beteiligung von Afric Avenir, unserem Kooperationspartner, diskutiert worden. Und dann erfuhren wir am 21. August – nicht direkt, sondern über den Umweg über Afric Avenir –, dass Frau Philippa Ebéné, die Geschäftsführerin der Werkstatt der Kulturen, damit gedroht hat, im Zwei­fel von ihrem »Hausrecht« Gebrauch zu machen, um zu verhindern, dass die Tafeln zu Nazikollaborateuren aus arabischen Ländern in der Werkstatt der Kulturen aufgehängt werden.

Ging es bei der Intervention von Frau Ebéné um alle Tafeln zu Kollaborateuren aus der Dritten Welt?

Es ging nur um die drei Tafeln zum Nahen Osten. Die Darstellung von Kollaborateuren aus Asien, die bei uns wesentlich mehr Platz einnimmt – es geht etwa um das thailändische Militär oder Teile der Unabhängigkeitsbewegung Indonesiens, die mit den Japanern kollaboriert haben, um Burma oder China –, das scheint sie alles nicht zu tan­gieren, auch nicht die Kollaboration in Argentinien.

Hat sie ihre Forderung begründet?

Uns gegenüber hat sie bis jetzt gar nichts begründet. Wir haben dann erklärt, dass die Ausstellung entweder ganz oder gar nicht, keinesfalls aber in einer zensierten Form aufgehängt werden würde.
Es gehört einfach zur historischen Redlichkeit, dass man nicht so tut, als hätte es überall nur Antifaschisten und Befreiungskämpfer und Opfer gegeben, vielmehr gab es rund um den Globus auch Kollaborateure, es gab auch überzeugte Faschisten, es gab Freiwillige in der Waffen-SS auch aus Ländern der Dritten Welt, es gab eine arabische Legion der deutschen Wehrmacht und eine indische, und es gab zahllose Politiker aus verschiede­nen Kontinenten, die in Nazideutschland im Exil waren. Unter anderem der Führer der Palästinenser vor dem, während dem und nach dem Zweiten Weltkrieg, der oberste Repräsentant der Araber Palästinas, Hadj Amin al-Husseini.
Und das scheint die Tafel zu sein, die Frau Ebéné besonders stört. Al-Husseini war ja ein überzeugter Faschist, ein fanatischer Antisemit, der den Nazis schon 1933 zur Machtübernahme gratuliert hat, der später einen profaschistischen Putsch im Irak mitinszeniert hat, von 1941 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland im Exil war, eine Residenz hier in Berlin hatte in einem »arisierten« jüdischen Haus, Zehntausende muslimische Freiwillige auf dem Balkan für die Waffen-SS rekrutierte. Und er war am Holocaust beteiligt.

Der Tagesspiegel zitierte Frau Ebéné mit den Worten, »für eine Völkerschau nach dem Motto ›Edler Wilder, böser Wilder‹ stehe die Werkstatt nicht zur Verfügung. Auch bei anderen Ge­denkveranstaltungen« – wobei sie pikanterweise auf solche zu Stauffenberg verweist – »zeige man nicht auf die Kollaborateure. Dass Rössel dies gemacht habe, sei ›rassistisch‹.« Was ist davon zu halten?

Das ist natürlich unerhört, dass sie ausgerechnet uns jetzt Rassismus vorwirft, während sie sich in eine Position begibt, als Leiterin eines interkulturellen Zentrums die Kritik an Nazikollaborateuren zu verhindern. Ich sage es ganz deutlich: Wer die Auseinandersetzung mit Nazikollaborateuren, ganz egal welcher Herkunft, zu unterdrücken versucht, hat in so einer Position nichts verloren. Es kann doch nicht rassistisch sein, wenn man sich mit den Rassisten der Geschichte auseinandersetzt. Wenn es Leuten wie Husseini, dem Palästinenserführer, mit seinen Nazifreunden gelungen wäre, den Krieg zu gewinnen, würde es keine Werkstatt der Kulturen geben, es würde überhaupt keine Migranten in diesem Land geben, um die sich Frau Ebéné dann bemühen könnte.

Sie hatten mit genau diesem Thema, der Kollaboration in den arabischen Ländern, schon einmal einen Konflikt, im Rahmen einer Hörfunkreihe des SWR 2. Was ist da geschehen?

Es gab eine Auseinandersetzung mit dem Zentrum Moderner Orient (ZMO), die Forschungsstelle hier in Berlin, die mit Landes- und Bundesgeldern die meisten Publikationen zum Thema arabische Welt und Faschismus/Nationalsozialismus herausgebracht hat. Sie entzündete sich an drei Features zu Nazikollaborateuren und ihren deutschen Apologeten für den Südwestrundfunk, und das erste behandelte den Nahen Osten, als Paradebeispiel dafür, wie deutsche Historiker, die sich ansonsten herzlich wenig um die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg kümmern, erstaunlich viel publiziert haben, um Kollaborateure reinzuwaschen und sie als nationale Freiheitskämpfer zu präsentieren.
Das skandalöseste Werk ist das von René Wildangel, einem ehemaligen Mitarbeiter des ZMO, der inzwischen Nahost-Experte der Bundestagsfraktion der Grünen ist und ein Buch über Palästina und den Nationalsozialismus geschrieben hat, in dem sich erstens der Satz findet, es habe unter der arabischen Bevölkerung während des Zweiten Weltkriegs einen »Konsens« gegeben, an der Seite der Alliierten zu stehen, was jedem, der sich mit dem Thema beschäftigt, lächerlich erscheinen muss, und zweitens behauptet wird, dass Husseini durch sein Exil in Nazideutschland zum Kriegsende völlig abgewirtschaftet hätte und diskreditiert gewesen sei in Palästina und des­halb für keine Funktion mehr in Frage hätte kommen können.
Dass Husseini 1946 zurückkehrte, in der Arabischen Liga wieder zum obersten Repräsentanten der Palästinenser ernannt wurde, vom Palästinen­sischen Nationalrat 1948 zum Präsidenten gewählt wurde, Präsident der Weltmuslimkonferenz war in den sechziger Jahren und sich bis zu seinem Tod 1974 nie von seiner faschistischen Ver­gan­genheit distanziert hat und noch 2002 von Arafat trotz allem als palästinensischer Held gefeiert wurde, das kommt in dem Buch nicht vor. Das habe ich in der Sendung kritisiert. Das ZMO hat eine Gegendarstellung beim SWR verlangt, das Justitiariat des Senders sah dafür keinerlei Grund­lage, aber die Redaktion der Sendereihe »Wissen« hat dann aus der Sendung, die immer noch im Internet stand, sechs Minuten herausgekürzt. Das betraf die Kritik am ZMO. Wildangel hat in der Zeitschrift IZ3W eine Antwort auf meinen Beitrag veröffentlicht, in der neuen Ausgabe habe ich eine Replik darauf publiziert. Die Debatte geht also weiter.

Welche politische Schlussfolgerung lässt sich aus diesen Erfahrungen, jetzt mit der Werkstatt der Kulturen in Berlin, zuvor mit dem Zen­trum Moderner Orient, ziehen?

Die Gemeinsamkeit ist, dass es in diesem Land eine erschreckend starke Lobby von Leuten gibt, die ich als internationale Geschichtsrevisionisten bezeichnen würde. Die einfach versuchen, einen Teil der Geschichte auszuklammern, auszublenden, umzudeuten, umzuschreiben und so zusammenzuflicken, dass sie auch aktuelle Diskussionsprozesse nicht negativ tangieren kann. Das ist ja die Befürchtung, die die Leute bei Palästina haben.
Aber es ist natürlich klar: Wenn man sich mit der Geschichte beschäftigt, müsste man aus ihr Konsequenzen ziehen. Und mich verwundert es, dass noch keines dieser ganzen Institute, dieser Islamwissenschaftler, Arabisten, Historiker in diesem Land auf die Idee gekommen ist zu untersuchen, welchen Einfluss es auf den Nahost-Konflikt hatte, dass er nach 1945 wesentlich und an führenden Stellen von Faschisten geführt wurde, oder von Sympathisanten der Nazis, die ihr militärisches und ideologisches Handwerkszeug im nazideutschen Exil erlernt oder mit dem NS-Regime kollaboriert hatten.

Publikation zum Thema:Rheinisches JournalistInnenbüro: Unsere Opfer zählen nicht«. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von Recherche International e.V. Verlag Assoziation A, Hamburg/Berlin 2005. 444 Seiten, 29,50 Euro.

Zur Ausstellung ist gerade die zweite Auflage erschienen.