Franziska Drohsel im Gespräch über das Thema Arbeit bei der SPD

»Es ist vor allem ein Verteilungsproblem«

Von Ivo Bozic

Ein Gespräch mit Franziska Drohsel, der Bundesvorsitzenden der Jusos, der SPD-Jugendorganisation.

So kurz nach dem Sommerurlaub hören die meisten Menschen das Wort »Arbeit« gar nicht gerne. Trotzdem prangt es auf allen Wahlplakaten. Kanzlerkandidat Steinmeier droht sogar mit Vollbeschäftigung. Wie ist die SPD auf diese irre Wahlkampfidee gekommen?

Das Thema Arbeit und noch viel mehr eine drohende Arbeitslosigkeit treibt die Menschen um, das merke ich auch in den direkten Gesprächen, durch Umfragen und Studien weiß man das sowieso. Man kann persönlich oder politisch andere Schwerpunkte fordern, aber es ist nun mal so, dass Erwerbsarbeit beim Großteil der Menschen viel Raum einnimmt. Zum einen, weil es um die materielle Absicherung des eigenen Lebens geht, aber auch, weil Arbeit für viele Menschen mit einem sozialen Netzwerk, mit Selbstverwirklichung und Anerkennung verbunden ist.

Glauben Sie denn, dass Vollbeschäftigung möglich ist – und gegebenenfalls: sinnvoll?

Ich finde es wünschenswert, wenn alle Menschen, die das wollen, einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Doch es bedarf natürlich nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch menschenwürdiger Arbeitsverhältnisse. Es ist ja die Frage, was man unter Vollbeschäftigung versteht. Wenn man eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei gleichen Löhnen durchführen würde, könnte man die Arbeit, die derzeit in Erwerbsarbeit geleistet wird, gerechter verteilen, und vermutlich könnten alle arbeiten, die das wollen.

In einem Juso-Papier lese ich: »Arbeit ist wichtig für die Emanzipation des Menschen.« Wie kann man denn bitteschön Emanzipationspotenziale des Menschen an die Arbeit koppeln? Man kann doch heute nicht mehr allen Ernstes behaupten, dass Arbeit frei macht …

Den Begriff Emanzipation würde ich eher mit Bildung in Verbindung bringen. Nichtsdestotrotz muss man zur Kenntnis nehmen, dass es für die meisten Menschen zu den Vorstellungen von einem selbstbestimmten Leben gehört, einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können.

Ich verstehe Emanzipation unter anderem so, dass der Mensch mit immer weniger Aufwand, also mit weniger Arbeit, immer mehr Wohlstand erreichen kann.

Das sehe ich genauso.

Bräuchte es dann nicht Plakate, auf denen für weniger statt für mehr Arbeit geworben wird?

Das Problem ist vor allem eines der Verteilung. Viele müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen Schwerstarbeit leisten, und andere, die gerne arbeiten würden, bekommen keine Stelle.

Wenn es nur eine Verteilungsfrage ist, müsste sich doch erst mal jeder melden, der gerne arbeiten möchte, und jeder, der das lieber nicht will, auch. Nur so könnte man doch einen Überblick darüber gewinnen, wie viele Arbeitsplätze tatsächlich gebraucht werden.

(lacht) Man muss das Thema schon von zwei Seiten beleuchten. Neben dem individuellen Aspekt geht es natürlich auch darum, welche Arbeit gesellschaftlich notwendig ist. In vielen Bereichen, wo es sinnvoll wäre, dass mehr Arbeitskraft vorhanden wäre, ist kein Geld da, um Stellen zu schaffen. Zum Beispiel die Bereiche Bildung, Pflege und Gesundheit.

Selbst im Aufruf des »Bündnisses für ein Sanktionsmoratorium«, das Sie mitinitiiert haben und das sich gegen die Schikanierung von Hartz-IV-Empfängern richtet, wird als Grundproblem behauptet: »Es fehlen Existenz sichernde Arbeitsplätze.« Muss man nicht, um die Diskriminierung von Erwerbslosen zu stoppen, zunächst damit aufräumen, dass Arbeit notwendig sei, um die Existenz zu sichern?

Das ergibt sich ja schon aus unserer Verfassung. Es ist eine zivilisatorische Selbstverständlichkeit, dass man überleben kann, ohne zu arbeiten.

Angesichts der Tatsache, dass dank moderner Technologie immer weniger Arbeit notwendig ist und es, egal wie sich die SPD auch bemühen mag, auf Dauer immer weniger Arbeitsplätze geben wird, fordern viele Linke ein Grundeinkommen für alle. Sie nicht. Warum?

Wir Jusos treten dafür ein, dass es eine sanktionsfreie Grundsicherung gibt, die jedoch bedarfsabhängig ist. Wir meinen, jeder, der bedürftig ist, soll einen Anspruch auf eine Existenz sichernde Grundsicherung haben, aber wer über ein großes Einkommen verfügt oder riesig geerbt hat, der muss das nicht erhalten. Diese Grundsicherung muss definitiv höher sein als der derzeitige ALG-II-Regelsatz und darf nicht mit der Kon­trolle bis ins Schlafzimmer und anderen repressiven Maßnahmen einhergehen und auch nicht zusammengekürzt werden können.

Welche Regierungskonstellation schafft am meisten Arbeitsplätze?

Die Frage ist immer noch, was für Arbeitsplätze.

Vielleicht bekommen wir die meisten Arbeitsplätze mit der Linkspartei? In der DDR gab es Vollbeschäftigung.

Arbeitsplätze müssen schon gesellschaftlich sinnvoll sein, und es müssen vernünftige, also sozial gesicherte menschenwürdige Arbeitsplätze sein.

Also die Qualität der Arbeit geht der SPD doch vor der Quantität?

Mir geht es vor allem nicht um die Arbeit um der Arbeit willen, sondern um gesellschaftlichen sozialen Fortschritt. Wenn wir etwa das Gesundheitssystem verbessern wollen, müssen in diesem Bereich mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Und diese Arbeit wiederum muss für jeden einzelnen so gestaltet sein, dass er davon gut leben kann und sozial so weit wie möglich abgesichert ist.