Ausstellung über das Frankfurter Institut für Sozialforschung

Das Land der F-Persönlichkeiten

Wer den Nationalsozialismus verstehen will, muss den Antisemitismus verstehen, befand Adorno. Eine Ausstellung dokumentiert die Remigration des Frankfurter Instituts für Sozialforschung.

Die Ausstellung, die das Jüdische Museum Frankfurt seit September präsentiert, wirft ein neues Licht auf die Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, Heimstätte der Kritischen Theorie und der Frankfurter Schule, und verbindet die Arbeit des Instituts im Exil mit den empirischen Arbeiten der Nachkriegszeit. Sie fragt dabei erstmals stärker nach dem jüdischen Anteil an der Institutsgeschichte.
Die ersten drei Räume widmen sich der Frühgeschichte des Instituts und der Emigration. 1924 wurde das Institut für Sozialforschung als Stiftung zur Erforschung von Geschichte und Theorie der Arbeiterbewegung gegründet, ab 1930 wandelte die Forschungseinrichtung sich unter der Leitung Max Horkheimers zu einem interdisziplinär arbeitenden Institut, das Ansätze der Ökonomie, Soziologie, Geschichte und der neueren Psychoanalyse unter der theoretischen Anleitung der Philosophie bündelte.
Bereits in seiner ersten empirischen Untersuchung begann das Institut, diesen interdisziplinären Ansatz zu verwirklichen. In dieser Studie von Erich Fromm widmete es sich auch den autoritären Einstellungen unter Arbeitern. Die Ergebnisse der sozialpsychologischen Studie waren mitentscheidend für den Entschluss, die Stiftung außer Landes zu bringen, weil abzusehen war, dass auch die Arbeiterklasse dem Nationalsozialismus nicht hinreichend Widerstand leisten würde.
Ein Verdienst der neuen Ausstellung ist es, die Theoriebildung zum Antisemitismus neu zu beleuchten. Dies ist vor allem das Thema, das im dritten Raum der Ausstellung behandelt wird. Der Kreis um Horkheimer begann ab 1940, den virulenten Antisemitismus als eines der Hauptprobleme der Gegenwart anzusehen. Adorno ging auf diese Erkenntnis in einem Memorandum vom selben Jahr ein: »Wer den Nationalsozialismus verstehen will, muss den Antisemitismus verstehen.« Für das Jewish Labor Committee untersuchte eine Forschergruppe am Institut den »Antisemitism among American Workers«. Der zweite Zuschussgeber, das American Jewish Committee, beauftragte das Institut mit der Durchführung der fünfbändigen »Studies in Prejudice«. Hauptwerk war die Studie zur »Authoritarian Personality«, die den Ruhm des Instituts als Instanz der empirischen Sozialforschung begründete. Die Studie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Persönlichkeit und Milieu des potenziellen Antidemokraten und Antisemiten in der amerikanischen Mittelschicht zu erforschen. Die autoritäre Persönlichkeitsstruktur sollte mit der so genannten ­F-Skala – das F stand dabei für Faschismus – erfasst werden, die u.a. nach Konventionalismus, Zynismus, rigidem Denken, allgemeiner Feindseligkeit fragte.
Dieser gewichtige Teil der Ausstellung, der die Arbeiten des Instituts zum Antisemitismus auf der Höhe des aktuellen Forschungsstands präsentiert, wird ergänzt durch zwei weitere Schwerpunktbildungen. Zum einen werden im vierten Raum die amerikanischen Erfahrungen des Instituts und sein Netzwerk während des Nationalsozialismus wie in der postnazistischen Welt rekonstruiert. Den zweiten Schwerpunkt im fünften Raum bildet die Rückkehr des Instituts in die junge Bundesrepublik. Bereits 1948 unternahm Max Horkheimer eine erste Erkundungsreise nach Frankfurt, um die Bedingungen für eine Rückkehr zu prüfen. Im Sommer 1949 wurde Max Horkheimer zum Professor für Sozialphilosophie berufen. Theodor W. Adorno kehrte im Wintersemester 1949/1950 zurück.
Die Ausstellung zeigt, dass das Institut nach der Remigration eine engere Beziehung zum ­Judentum pflegte. Bereits in der Zwischenkriegszeit lässt sich für einzelne Akteure belegen, dass sie eine ausgeprägtere kulturelle Beziehung zum Judentum hatten, als es ihr kritischer Materialismus vermuten ließ, und auch für die empirischen Studien suchte das Institut nach jüdischen Förderern. In der Nachkriegszeit war es Horkheimer, der unter anderem durch Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde und durch Vorträge vor jüdischen Institutionen zaghaft die Nähe zur jüdischen Kultur suchte. Er war es auch, der an der Frankfurter Universität die Loeb-Lectures anregte, eine Vorlesungsreihe zur jüdischen Kultur.
Mit der empirischen Sozialforschung beleuchtet die Ausstellung ein für die frühe Bundesrepublik wenig bekanntes Kapitel. Die Frankfurter waren in der frühen Bundesrepublik vor allem auch als Experten der empirischen Sozialforschung gefragt. So sagte der Institutsmitarbeiter Friedrich Pollock 1963 in einem Interview des Deutschlandfunks: »Unsere Studenten lernen Hegel lesen, Heidegger durchschauen und eine Hollerith-Maschine bedienen.« Gemeint waren Apparaturen zur Auszählung von Lochkarten, die damals übliche Form der Datenverarbeitung in der Sozialforschung.
Die Frankfurter waren in der jungen Bundesrepublik als Experten der Demokratie gefragt. Die erste große Studie im Auftrag der amerikanischen Besatzungsbehörde, das »Gruppenexperiment«, belegt dies. Es handelte sich um eine Untersuchung zu den demokratischen Einstellungen der Deutschen mittels des Gruppendiskussionsverfahrens. Sie sollte unter anderem das Verhältnis zu den Juden, zur Frage der Schuld am Nationalsozialismus und der nationalsozialistischen Judenvernichtung empirisch erforschen. Die Ergebnisse waren einigermaßen ernüchternd, weil erstmals festgestellt wurde, dass die Deutschen in ihrer Mehrheit jede Schuld am Nationalsozialismus abwehrten.
Die Ausstellung, die grafisch und konzeptionell hervorragend gestaltet ist, wartet mit einigen schönen Exponaten auf, unter anderem mit einem Foto von Adorno als Bergmann. Durch den Einsatz audiovisueller Medien wird vieles getan, um die insgesamt nicht zu textlastige Ausstellung sinnvoll mit Audio-Zeugnissen aus der Geschichte des Instituts anzureichern. Während in der Exilzeit die Kooperation mit amerikanischen jüdischen Institutionen ausgewogen dargestellt wird, bleibt in der Nachkriegszeit der jüdische Bezug etwas dünn. Hervorzuheben ist, dass die Ausstellungsmacher die Rolle des Frankfurter Instituts als Promotor der empirischen Sozialforschung herausstellen. Allerdings hätte man sich für die Darstellung der Nachkriegszeit eine noch ausführlichere Untersuchung dieses Themenfelds gewünscht, da es gerade die Rolle als Vertreter der empirischen Sozialforschung war, die die Wirkung des Frankfurter Instituts in der Öffentlichkeit begründete. Dennoch betritt die Ausstellung hiermit Neuland, und im Katalog werden die vielen Beziehungsebenen des Frankfurter Instituts ausgeleuchtet. Dem knappen Ausstellungsraum und der Konzeption der Ausstellungsmacher ist eine Einschränkung geschuldet, die angesichts der Wirkung des Frankfurter Instituts verwundern mag: die Ausklammerung von 1968. Sie ist aber konzeptionell begründet, weil das Werk und die unmitttelbare Wirkung in der frühen Bundesrepublik im Mittelpunkt stehen und nicht die Aneignung durch die Neue Linke.

Die Ausstellung ist noch bis zum 10. Januar 2009 im ­Jüdischen Museum Frankfurt/Main zu besichtigen.

Monika Boll, Raphael Gross (Hg.): Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Eine Rückkehr nach Deutschland. Wallstein-Verlag, Göttingen 2009. 301 Seiten, 24,90 Euro