Diskriminierung und Arbeitsrecht bei den Kirchen

Missionarsstellung nur für Christen

Wer im sozialen Bereich arbeiten will, orientiert seinen Lebenswandel am besten am kirchlichen Maßstab. Denn die größten Arbeitgeber Deutschlands müssen sich nicht an das Antidiskriminierungsgesetz halten. Obwohl der Staat sie finanziert.

Wenn eine CDU-Gemeinderatsfraktion einen Geschäftsführer sucht, muss sie keinen Sozialdemokraten beschäftigen, selbst wenn dieser der geeignetste Kandidat sein sollte. Die IG Metall darf einen Bewerber fragen, ob er Verbindungen zum BDI hat. Und Kirchen können Bewerber ablehnen, weil sie den falschen Glauben oder die falsche Sexualität haben. Denn ob CDU, Gewerkschaft oder Kirche, allesamt sind sie so genannte Tendenzbetriebe, für die das Allgemeine Antidiskriminierungsgesetz (AAG), das Diskriminierung aufgrund von Herkunft, sexueller Orientierung, Welt­anschauung oder Religionszugehörigkeit verbietet, eine Ausnahme macht.
Dass diese Ausnahmeregelung im Fall der Kirchen nicht gerade unproblematisch ist, demon­striert der Fall einer Frau mit Migrationshintergrund, die sich beim Diakonischen Werk Hamburg beworben hatte – auf eine SozialpädagogenStelle im Projekt »Integrationslotse Hamburg«, das im »Equality-Programm« aus Mitteln des Bundes und der EU finanziert wurde. Doch die staatlich finanzierte Stelle in jenem Programm für Gleich­heit wollte die Diakonie nicht mit einer Frau besetzt wissen, die kein Kirchenmitglied ist.
Die Diakonie sah sich im Recht, die Frau deshalb abzulehnen, gemäß § 9 Abs. 1 AGG dürften die Kirchen aufgrund ihres Rechts auf Selbstbestimmung sowie ihres diakonischen Selbstverständnisses eine Kirchenmitgliedschaft zur Ein­stellungs­voraussetzung machen. Zur kirchlichen »Verkündigungsgemeinschaft« gehören im Sinne der Diakonie schließlich alle Beschäftigten vom Pfarrer bis zur Putzfrau, denn Diakonie, das heißt »Christ sein in der Öffentlichkeit«, das heißt »gelebter Glaube, präsente Liebe, wirksame Hoffnung«, so das diakonische Leitbild. Und auch eine »Integrationslotsin«, die aus Staatsgeldern finanziert wird, soll christlichen Idealen entsprechen, um das voranzutreiben, was die Diakonie be­zweckt: Mission.
Dass eine staatlich finanzierte Stelle einer »Integrationslotsin« vom Wohlfahrtsträger zu eigenem Zweck genutzt wird, wird dabei vom Staat in Kauf genommen. Denn die zahlreichen sozialen Einrichtungen, die die beiden Kirchen im Sinne ihrer missionarischen Leitbilder betreiben, werden nur zu einem Bruchteil mit kircheneigenen Mitteln finanziert. Grund ist das »Subsidiaritätsprinzip«, das es dem Staat untersagt, eigene neue Einrichtungen zur Bewältigung von sozialen Aufgaben zu stellen, die von kirchlichen oder anderen Organisationen erledigt werden können. Die finanzielle Unterstützung von bestehenden Einrichtungen ist dabei explizit ausgenommen. Im Ergebnis übernehmen die kirchlichen Träger die Kinderbetreuung, die Alten- und die Krankenpflege, verbinden dies mit ihrem missionarischen Gestus, machen selbst Atheisten glauben, die Kirche kümmere sich reizend um die Schwachen, und zahlen tut in Wirklichkeit: der Staat.

Für Anhänger des Laizismus ist allein tröstlich, dass es mit der staatlich finanzierten Volksmission zumindest nicht so weit her ist, wie es Diakonie und Caritas gerne hätten. In Folge des Subsidiaritätsprinzips konnten sich die die kirchlischen Verbände zwar zu den größten Arbeitgebern Deutsch­lands entwickeln, aber damit sind auch die Zeiten der Gemeindeschwestern vorbei, die für wenig Geld die Alten und Kranken der Gemeinde aufopferungsvoll pflegten und ihr Privatleben auf die abendliche Bibellektüre beschränkten. Dass sich diese urtümliche Form der »Dienstgemeinschaft« nicht aufrechterhalten lässt, davon zeugt etwa die Formulierung einer »Kommentierung der Loyalitätsrichtlinie der Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD), die die Ausnahmen vom Antidiskriminierungsgesetz legitimiert. »Um ihrer Glaubwürdigkeit willen« sei es für die Diakonie grundlegend, so heißt es da, »dass die Beschäftigten sich mit dem Selbstverständnis von Kirche identifizieren« – doch schnell schiebt man hinter­her: »beziehungsweise dies zumindest respektieren«. Dass sich kaum die knappe Million der Men­schen, die in kirchlichen Krankenhäusern, Kindergärten und Altenheimen beschäftigt sind, als Teil der »Dienstgemeinschaft« mit »Verkündigungsauftrag« versteht, das weiß man auch in der Kirche.
Doch Diakonie und Caritas halten bei Stellen wie einer »Integrationslotsin«, einer Pflegehelferin oder einer Verwaltungskraft, die mit dem »Verkündigungsauftrag« praktisch nichts zu tun haben, an ihren Richtlinien fest, obwohl die weltlichen Gerichte dazu übergehen, die Sonderrechte der Kirchen nur auf den so genannten verkündigungsnahen Bereich zu beschränken. Also etwa auf Stellen von Pfarrern oder Diakonen. Die abgelehnte Bewerberin auf die Stelle der »Integrations­lotsin« bekam daher vor Gericht Recht: Das Diakonische Werk habe nicht begründen können, wa­rum die Tätigkeit der Integrationshilfe eine Kirchenmitgliedschaft erfordert hätte. Der pauschale Verweis, auch der Hausmeister habe Teil am »Verkündigungsauftrag«, reicht nicht mehr aus, um eine diskriminierende Einstellungspraxis zu legitimieren. Oder Beschäftigte wegen ihrer sexuellen Orientierung zu entlassen.

Dass bestätigt auch Reinhold Weicker vom ökume­nischen Verband Homosexualität und Kirche (HUK) gegenüber der Jungle World. Sowohl er als auch Eugen Hähnel, der kirchlicher Mitarbeitervertreter ist und beim evangelischen »Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt« arbeitet, betonen, dass arbeits­rechtliche Auseinandersetzungen um das AAG selten sind. »Heute wird bei evangelischen Arbeit­gebern niemandem mehr gekündigt, weil er sich scheiden lässt«, sagt Hähnel. Bei den Protestanten verweist man gern auf Margot Käßmann, die geschiedene Bischöfin, die jüngst zur Ratsvorsitzenden der EKD gewählt wurde, stolz betont man die Toleranz vieler evangelischer Gemeinden gegenüber homosexuellen Kirchenmitarbeitern. Mit Toleranz ist das Problem aber nicht erledigt. Toleranz ist das Gegenteil von arbeitsrechtlichem Diskriminierungsschutz. Toleranz hat aber hin und wieder Grenzen, besonders im katholischen Bereich.
Da wird hin und wieder ein Exempel statuiert. 2007 feuerte das katholische Kolpingwerk einen Heimleiter, der sich auf der Internetseite GayRomeo ein Kontaktprofil erstellt hatte. Dies sei nicht mit der katholischen Sittenlehre zu vereinbaren, hieß es seitens des Arbeitgebers. Der Richter urteilte jedoch, sexuelle Vorlieben seien Privatangelegenheit. Ein Urteil, dass Manfred Bruns, der Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD), begrüßt. Das Argument des Kolpingwerks, dem Mann sei nicht wegen seiner Homosexualität, sondern wegen seines der katholischen Sittenlehre widersprechenden Verhaltens gekündigt worden, weist er zurück: »Auch wenn sich der Mitarbeiter fest gebunden hätte und eine Lebenspartnerschaft eingegangen wäre, hätte ihm dies nichts geholfen.« Denn 2002 hatte die Deutsche Bischofskonferenz beschlossen, alle homosexuellen Mitarbeiter zu feuern, die von ihrem Recht auf eingetragene Lebenspartnerschaften Gebrauch machen.
»Wir raten deshalb, bei einer Verpartnerung das Standesamt zu bitten, von der Benachrichtigung der Kirchengemeinde abzusehen«, sagt Weickers. Auf die Toleranz der Kirchen angewiesen zu sein, ist für Lohnabhängige in einigen sozialen Berufen riskant. Das gilt nicht nur für Homosexuelle. »Wenn man soziale Berufe lernt, sollte man auf keinen Fall aus der Kirche austreten«, sagt Hähnel. Sonst verschenke man viele Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Am Ende, so Renate Richter, die sich bei der Gewerkschaft Verdi mit den Kirchen auseinandersetzt, laufen deren Sonderrechte auf eine Beeinträchtigung der freien Berufswahl und der Religionsfreiheit hinaus. Und auf die Beschränkung des Rechts kirchlicher Mitarbeiter, in ihrem Privatleben zu machen, was ihnen beliebt.