Über die polnische Zeitschrift für linke Theorie Krytyka Polityczna

Die Basis der Kritik

Die polnische Zeitschrift Krytyka Polityczna schart ein junges linksintellektuelles Milieu um sich. Zur Erfolgsgeschichte des ­Verlages gehört auch die Gründung zahlreicher Klubs, in denen Filme gezeigt und Diskussionen veranstaltet werden. Und ­manchmal kommt auch ein Stargast wie Slavoj Žižek vorbei.

Mic-check – one, two – Žižek in da house?« schallt es durch die Räume. Nein, ist er noch nicht, das dauert noch. Es ist 17  Uhr, und Slavoj Žižek, der slowenische Superphilosoph, ist erst für 19 Uhr angekündigt. Vorher muss in der Danziger Redaktion der Zeitschrift Krytyka Polityczna (Politische Kritik) noch einiges getan werden. Ein knappes Dutzend Leute läuft geschäftig umher, alle tragen einen kleinen weißen Button, auf dem »Krytyka Polityczna« zu lesen ist. Kabel müssen verlegt, eine Videoübertragung im Vorraum eingerichtet und weitere Stühle aufgestellt werden. Manche kaufen noch schnell ein Žižek-Buch, setzen sich hin, lesen.
Es ist der Abschluss einer ganzen Žižek-Woche, die hier in der Swietlica Krytyki Politycznej w Trójmiesce, dem frisch eingeweihten Klubhaus von Krytyka Polityczna im Großraum Dreistadt begangen wird. Slawomir Sierakowski, Chefredakteur und Mitbegründer der Zeitschrift, ist aus Warschau angereist, er wird die Veranstaltung moderieren.
Der 1979 geborene Sierakowski gilt als Kopf der jungen Linken in Polen. Natürlich sind eine Menge anderer Akteure beteiligt. So etwa Kinga Dunin und Agnieszka Graff, zwei der bedeutendsten polnischen Feministinnen. Oder der Video-Künstler Artur Zmijewski, der sich um das Artwork der Zeitschrift kümmert. Sierakowski ist ein begabter Redner, der, mit Kippe im Mundwinkel, die Worthülsen seiner Kontrahenten im Handumdrehen entschärft. Die Szene spricht schon vom »neuen Adam Michnik«, andere nennen ihn knapp »Premier«. Doch beides ist nicht ganz richtig. Michnik, antikommunistischer Aktivist in der Volksrepublik Polen und heute Chefredakteur der Gazeta Wyborcza, gehört der Generation an, mit der die jungen Redakteure eigentlich nichts zu tun haben möchten. Sie sind auf der Suche nach einer neuen Sprache für die polnische Linke und definieren sich als basisdemokratisch. Es geht ihnen darum, bekannte Fragen wieder neu zu stellen, und nicht darum, fertige Antworten zu haben. Man will sich in Grundsatzdiskussionen einmischen, und dies in einer Sprache, die sich abhebt von den Parolen der populistischer Stimmungsmacher und der Lobbyisten des Neoliberalismus.
Das Sprachrohr dieser neuen Linken ist die Vierteljahreszeitschrift, deren erste Ausgabe 2002 erschien und deren Inhaltsverzeichnis vor internationaler Denkerprominenz strotzt. Das 300 Seiten starke Magazin strapaziert nicht nur die Regale in den Buchhandlungen, sondern auch die Nerven der National-Konservativen und Wirtschaftsliberalen, etwa wenn über Postsäkularität nachgedacht wird oder wenn Marx einer Re-Lektüre unterzogen wird. Diese Reaktionen sind willkommene Nebenwirkungen. Aber im Grunde geht es um etwas anders. Das Feld, auf dem Krytyka Polityczna spielt, ist die Kultur und (noch) nicht die Politik – und dort ist man im Vorteil. Anfang Oktober bezog die Hauptstadtredaktion »REDakcja« (REDaktion) das Lokal »Nowy Swiat« auf der gleichnamigen Straße mitten in Warschaus Altstadt und benannte es kurzerhand um in »Nowy Spanialy Swiat« (Schöne Neue Welt). Dort ist nun ein Kulturzentrum mit Café und Restaurant entstanden. Am Wochenende finden Konzerte, unter der Woche »kritische Universitäten« statt. Im eigenen Verlag erscheinen die Werke Slavoj Žižeks, auch die von Judith Butler, Jacques Rancière, Alan Badiou, Luis Althusser, fast immer sind es Erstübersetzungen ins Polnische. Doch so wichtig der Import internationaler Denker ist, so zentral ist auch die Beschäftigung mit den eigenen intellektuellen Wurzeln. Vor ein paar Monaten veröffentlichte Krytyka Polityczna die Autobiografie von Jacek Kuron, einem der Mitbegründer der demokratischen Opposition im sozialistischen Polen. Genausowenig schreckt man vor nationalen Symbolträgern zurück, etwa, wenn man sich Lech Walesa popkulturell aneignet und ein T-Shirt verbreitet, auf dem sein Konterfei im Che Guevara-Style abgedruckt ist.
Neben lokalen Klubs von Krytyka Polityczna, die seit 2005 in über 20 Städten Polens, von Rzeszów bis Szczecin, entstanden sind und die in Unis, Bibliotheken oder Kulturzentren Vorträge organisieren, Filme vorführen, Debatten abhalten, wurde in Danzig nun das dritte eigene Lokal eröffnet: mit Vortragssaal, Buchladen und Bibliothek. Dass Gdansk – neben Sopot und Gdynia Teil von Dreistadt – zu den eher konservativen Gebieten des Landes zählt, sei nur die halbe Wahrheit, sagt die 29jährige Koordinatorin des Klubs, Katarzyna Fidos: »Schon die ersten Veranstaltungen und Aktionen lösten ein großes Echo aus, was gezeigt hat, dass wir mit unseren Initiativen auf das Interesse der Bewohner Gdansks zählen können.« Zur Eröffnung wurden Zeichnungen von Wilhelm Sasnal, dem derzeit wohl bekanntesten polnischen Maler, ausgestellt. Man netzwerkt geschickt, debattiert über Abtreibungsrechte in Polen oder engagierte Kunst, fordert Methadon-Programme für Heroinsüchtige oder beteiligt sich an einer Suppenausgabe für Obdachlose am Danziger Hauptbahnhof. »Die Notwendigkeit, einen eigenen Ort für Gespräche zu haben, liegt auf der Hand.«
Und nun fährt man prominentes Geschütz auf: Žižek. Man könnte wohl von einem gelungenen PR-Coup zu Eröffnung sprechen. Doch es bleibt nicht allein bei seinem Auftritt. Filme, Vorträge und Debatten leiteten das Treffen ein.
Als Slavoj Žižek dann auftaucht, ist er sogleich wieder verschwunden. Behutsam wird er durch die Menschenmasse geschleust, die sich bis in den engen Flur drängt, da im Saal kein Platz mehr ist. Ab durch den Buchladen ins Büro. Hälse werden gereckt, man tuschelt. Irritation setzt ein. Wie bitte? Dieser kleine, fragil ausschauende Mann soll der hammermäßige Philosoph Slavoj Žižek sein? Im Fernsehen oder in den Youtube-Clips hatte er doch immer so gigantisch ausgesehen. »We are proud to have here our old comrade Slavoj Žižek … «, verkündet Sierakowski. Tosender Applaus, die Show beginnt. Und dann ist auch Žižek da, wie man ihn kennt. So hektisch und ausholend er gestikuliert, so schnell und trickreich jongliert er mit Hegel, Marx, ­Lacan; er attestiert der Welt eine symbolische Kastration, ausgedrückt durch die vielen sich durch die Welt ziehenden Mauern. Er fordert, dass eine wie auch immer geartete Solidarnocs-Bewegung keineswegs für beendet erklärt werden darf, und orakelt, dass die Werftarbeiter vor 20 Jahren niemals gestreikt hätten, wären sie sich im Klaren darüber gewesen, welcher »Bull­shit« (Žižek) sie erwartet. »Im 20. Jahrhundert haben wir zu oft versucht, die Welt zu verändern«, sagt Žižek nach zwei Stunden Action Teaching. »Die Zeit ist gekommen, sie neu zu interpretieren. Und das ist eben der subversive Aspekt eurer Arbeit, gerade mit dieser klugen Distanz zu unmittelbarem ideologischen Engagement. Zuerst muss der Untergrund in Bewegung gebracht werden, dann muss man nach oben gehen – das ist der Grund, warum ich euch absolut unterstütze.« Da wird es selbst einem sonst viel an Coolness gelegenen Genossen wie Slawomir Sierakowski sichtlich ein wenig heiß.