Julia Hummer im Gespräch über ihre neuen Rollen, über Musik, Geld und Terror

»Man dachte, ich sei vom Mossad«

Julia Hummer begann ihre Karriere auf der Titelseite des Jetzt-Magazins der Süddeutschen Zeitung und wurde daraufhin 1999 für eine Rolle im deutschen Independent-Film »Absolute Giganten« engagiert. Es folgten Dutzende weiterer Rollen in Kinofilmen und Fernsehproduktionen. Sie war für den Deutschen Filmpreis nominiert und bekam die Goldene Kamera. 2005 beendete sie ihre Schauspielkarriere abrupt, um von da an Musik zu machen. Doch im kommenden Jahr wird die 29jähige wieder im Kino zu sehen sein. In »Carlos, der Schakal« spielt sie eine Terroristin.

Du bist jetzt seit zehn Jahren im Geschäft. 2010 bist du seit langem wieder in mehreren Filmen zu sehen. Fändest du es sehr uncool, wenn man das als ein Comeback bezeichnen würde?

Nein, überhaupt nicht. Es ist ja auf eine gewisse Art so. Ich habe ein Kind bekommen, ich habe fünf Jahre keinen Film gedreht, und fünf Jahre sind eine lange Zeit. Ich bin eigentlich vom Mädchen zur Frau geworden, und die Rollen ändern sich entsprechend. Ich spiele jetzt Frauen, davor habe ich Mädchen gespielt. Aber andererseits ist es kein echtes Comeback, denn ich komme als jemand anderes wieder.

Und du bist jetzt gleich in mehreren Filmen zu sehen.

In zwei Filmen, ja. Erst habe ich diesen Terroristenfilm gedreht, danach habe ich mit der Regisseurin Pia Marais gedreht, und da bin ich auch so die Linke.

Ist das also dein neues Rollenmodell?

Ich hoffe nicht.

Du hast gerade im Libanon gedreht.

Wir waren drei Wochen und ein paar Tage da, in Beirut, in Tripolis, in der Wüste an der syrischen Grenze. Ich habe im Libanon Freunde gefunden und die Zeit sehr genossen. Aber es ist schon nicht so ohne. Das Militär ist recht präsent, Panzer sind herumgefahren, und es kommt öfter vor, dass da ein Maschinengewehr abgefeuert wird. Ich habe aus dem Hotelzimmerfenster geguckt: Holen die Mütter ihre Kinder rein oder nicht? Man hatte den Eindruck, dass jeden Moment etwas passieren könnte, die Wahlen standen unmittelbar bevor. Einmal wurde ich festgenommen, weil man dachte, ich sei vom Mossad.

Wieso das denn?

Naja, weil ich weiß bin und dunkle Haare habe, denke ich. Die Leute haben mich öfters gefragt, ob ich aus Israel sei. Ich habe so touristenmäßig ein paar Fotos gemacht von einem wunderschönen Tal, und irgendwie war auf einem Foto rechts unten eine ganze Batterie von Panzern, ein militärischer Stützpunkt. Und dann kam jemand mit einer M-16 auf mich zu. Ich habe nur noch »Yes Sir, no Sir« gesagt. Aber ich hatte nie wirklich Angst, obwohl es beklemmende Situationen gab. Ich würde auch wieder privat hinfahren. Urlaub in Beirut. So blöd das klingt.

In dem Film »Carlos, der Schakal« spielst du Gabriele Kröcher-Tiedemann, die zur zweiten Generation der RAF gezählt wird. Als Mitglied der Gruppe »Arm der arabischen Revolution« des Terroristen Carlos war sie angeblich an der Opec-Geiselnahme in Wien 1975 beteiligt. Ich nehme an, dass das in dem Film eine Rol­le spielt.

Für meine Rolle ist das der zentrale Punkt, ja.

Zu den Forderungen der Gruppe gehörte unter anderem, dass Israel von keinem muslimischen Staat anerkannt werden solle und das »arabische Volk« von »zionistischen Aggressoren« befreit werden möge. Du spielst erstmals den Filmbösewicht.

Es war für mich eine großartige Sache, nach fünf Jahren Pause als Frau zurückzukommen und den Aggressor zu spielen, den Bösewicht. Das ist so viel anders als alles davor Gewesene. Das heißt, ich habe in diesem Film erstmals nicht in die Ferne geschaut, ich war nicht traurig, ich war nicht das Heimkind, ich habe nicht auf der Straße gewohnt, ich war nicht im Dreck zuhause, und ich habe auch nicht meine Mutter vermisst.

Du hast stattdessen einen Polizisten erschossen.

Ganz genau. Ich habe in dem Film vier Leute getötet und zwei angeschossen und habe das – das klingt jetzt echt assi – genossen. Das ist nicht »German Melancholy«, sondern du hast da eine riesige Maschinenpistole in der Hand, und der Regisseur sagt: »Knall sie ab, mach es!« Das ist eine ganz andere Art von Schauspiel. Es gibt diesen coolen Moment, wenn du nicht mehr spielen kannst, weil du so viel zu tun hast. Du musst Leute töten, du musst weiterlaufen, du musst schreien. Du hast nicht mehr die Zeit zum Denken. Und das ist wirklich die Größe von Olivier Assayas gewesen, die Situation, in der sich die ­Figur befindet, eins zu eins herzustellen. Es war Realität. Dann kommt noch der optische Aspekt dazu: Wir waren in den siebziger Jahren. Du kommst in eine Kulisse rein, und du merkst, das ist was ganz anderes.

Wie muss man sich die Erzählweise von »Carlos, der Schakal« vorstellen? Eine Art Heldenchronik wie Steven Soderberghs »Che« oder eine reichlich verkürzte popkulturelle Reminiszenz wie »Der Baader-Meinhof-Komplex«?

Das kann noch alles werden. Das entscheidet ja am Ende der Schnitt. Das sind drei Fernsehfilme, und die werden zusammengeschnitten für einen Kinofilm. Keine Ahnung, was Assayas daraus macht, welche Entscheidungen er trifft.

Der Terrorist Carlos arbeitete mit der »Volksfront zur Befreiung Palästinas« (PFLP) zusammen. Sein deutscher Genosse Johannes Weinrich war beteiligt an einem Attentat auf eine El-Al-Maschine in Paris. Der Antisemitismus war also eine treibende Kraft der im Film abgebildeten Protagonisten. Inwieweit wird der Anti­semitismus im Film thematisiert?

Ich habe das vom Menschen aus gemacht. Ich bin in die Zeit reingegangen, um diese ganze Szene überhaupt zu verstehen. Warum haben die sich so angezogen, was haben die für Gespräche geführt, was war hip, was war cool? Die haben sich da hingesetzt, ein paar Drogen genommen und sich über die Modelle der Waffen unterhalten. Das war wie »Was für Klamotten zieh’ ich an?«: Mit was für einer Knarre laufe ich rum? Ein Style-Ding auch. Das war eben nicht nur Materie und Revolution, sondern ganz klar auch Pop, was die da abgefeiert haben.

Das klingt nach »Der Baader-Meinhof-Komplex«.

Hab’ ich nicht gesehen.

Aber es gibt ja auch Figuren wie Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann in dem Film, die an antijüdischem Terror in den siebziger Jahren wie der Entführung des Flugzeugs nach Entebbe beteiligt waren. Kommt deren antisemitische Motivation in dem Film überhaupt vor?

Ich kann nur sagen: Geht ins Kino und guckt es euch an! Dieser Regisseur ist ein großartiger ­Regisseur und wird die richtigen Entscheidungen treffen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Antisemitismus mehr als im Subtext vorkommen wird.

Moritz Bleibtreu sagte sinngemäß zum Start von »Der Baader-Meinhof-Komplex«: Die RAF habe die falschen Mittel gewählt, aber der Anspruch, gesellschaftlich etwas verändern zu wollen, sei positiv.

Und sie haben ja auch eine Menge bewegt. Aus meiner Sicht als Darstellerin der Gabriele war das »emotionale Politik«. Ich musste den Menschen, die Lebenssituation verstehen. Sie saß fast die Hälfte ihres Lebens im Knast und ist mit 44 an Krebs gestorben. Sie hat ein paar Leute abgeknallt und hat für das Ding gelebt. Das ist so eine Selbstaufgabe, die es heute gar nicht mehr gibt. Niemand in diesem Land wird sein Leben für seine Überzeugung hingeben. Außer den Islamisten.

Oder ein Bundeswehrsoldat in Afghanistan?

Der macht das vielleicht für sein Gehalt und seine Kinder. Aber nicht für eine Idee, eine Überzeugung. Und das ist einfach etwas, was sich verändert hat. Am Ende war Gabriele jemand, die für ihre Überzeugung gestorben ist.

Das Einzige, was man zwischen 2005 und heute von dir sehen konnte, war dieser GEZ-Werbespot, über den sich einige deiner Fans aufgeregt haben. In deinem Myspace-Profil stand damals: »Take the Money and run«.

Ja. Ich brauchte das Geld für mein Kind und mich. Punkt. Ich bereue es zum Teil, es tut mir schon weh. Auf der anderen Seite weiß ich, wofür ich es gemacht habe und dass ich meinen Sohn sehr liebe. Es war einfach notwendig, dass Geld reinkommt, sonst hätte ich es nicht gemacht. Ich vertraue darauf, dass die Leute das verstehen.

Du hast in einem Interview auch mal die Schauspielerei mit einer Dienstleistung verglichen. Ist im Gegensatz dazu die Musik für dich eher Individualismus?

Das ist eigentlich das Entscheidende, was bei mir als, sagen wir mal – ich hasse das Wort – Künstler passiert ist, dass eine gewisse Reife und Gelassenheit dazugekommen ist. Das kann man auf jeden Fall auch hören auf meinem neuen Album, das noch nicht fertig ist.

… aber das definitiv kommen wird?

Das kommen wird und das ganz anders sein wird. Ich habe einen Produzenten, Apparat, mit dem ich mich gut verstehe. Wir fangen im neuen Jahr wieder an.

Mit Apparat von Shitkatapult wird das Album sicher elektronischer, oder?

Eigentlich überhaupt nicht. Ich bin auch irgendwie wieder auf dem Film, dass ich ab und zu denke: Vielleicht nur ich und die Gitarre, so in der Art wie Bon Iver, auf die ich ja total abfahre. Mal gucken. Ich mach’ ja auch noch viele andere Sachen.

Würdest du die Platte im Internet herausbringen wollen, wie es ja viele Künstler heute machen?

Nein, ich nicht. Das soll schon ein Label machen. Ich habe davon keine Ahnung, von Vermarktung und so. Ich kann halt Songs schreiben, aber ich kann bestimmt nicht Platten verkaufen.

Du schreibst gerade auch noch an einem Roman.

Ich bin dran. Der Arbeitstitel ist: »True love will find you in the end«, nach dem Daniel-Johnston-Song.

Ist das denn so? Ich meine, stimmt der Satz?

Ich glaube an die wahre Liebe. In dem Buch geht es darum, dass es manchmal ein total berechnetes Spiel ist zwischen Menschen. Es gibt so wenige Romantiker. Wo sind die eigentlich alle hin? Es glaubt keiner mehr an die wahre Liebe. Und Romantik ist nichts anderes als Glauben. Es gibt nur ganz viele Realisten mit romantischen Zügen, aber kaum mehr Romantiker. Und ich wünsche mir, Realist zu sein, und ich schaff’s nicht, ich glaube an die Liebe. Es ist wie eine Bastion, die ich verteidige.