Darf sich die FAU Gewerkschaft nennen?

Eine Gewerkschaft, die der Chef nicht mag

Die FAU darf sich nicht mehr Gewerkschaft nennen. Sollte es dabei bleiben, hätte dies Auswirkungen auf künftige Bestrebungen, Interessenverbände jenseits des DGB zu bilden.

Eine Gewerkschaft ist ein Interessensverband von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. An dieser Definition, sollte man meinen, gibt es wenig zu deuteln. Doch Timothy Grossmann und Tobias Hackel, die Geschäftsführer des sich alternativ gebenden Kinos Babylon in Berlin-Mitte, haben die bundesdeutsche Öffentlichkeit eines Besseren belehrt. Das Berliner Landgericht entsprach einem Antrag der Kinobetreiber auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und verbot am 11. Dezember nicht allein den in der Belegschaft des Babylon aktiven FAUlern, sondern der gesamten FAU Berlin, sich weiterhin als Basisgewerkschaft bzw. Gewerkschaft zu bezeichnen. Bei Zuwiderhandlung droht eine Geldstrafe bis zu 250 000 Euro oder gar eine Haftstrafe für den Verantwortlichen der FAU Berlin.

Das Berliner Landgericht kam zu seinem Urteil, ohne die Betroffenen gehört zu haben, weiß also nicht, dass es sich bei der FAU tatsächlich um eine Gewerkschaft handelt, die bereits während der Weimarer Republik aktiv war und zu ihren Hochzeiten 150 000 Menschen organisierte. Die Geschichte der FAUD (D für Deutschland) bzw. FAU ist eng mit dem Namen Rudolf Rocker verknüpft, der im Jahr 1919 ein Grundlagenprogramm für die anarchosyndikalistische Bewegung verfasste. Mitte der zwanziger Jahre, nach der Inflation, verlor die FAU zahlreiche Mitglieder, der vorläufige Todesstoß kam jedoch 1933, als Rocker und weitere herausragende Mitglieder der Gewerkschaft ins Exil fliehen mussten, um ihr Leben zu retten.
Faktisch hat die FAU nie aufgehört zu existieren. Rocker verstand sich noch in den fünfziger Jahren im Staat New York, wo er 1958 verstarb, als FAUler und Anarchosyndikalist. Mitglieder der FAU kämpften im Spanischen Bürgerkrieg und stellten sich, sofern sie überlebt hatten, nach Kriegsende anderen Parteien und Organisationen zur Verfügung, um ihr anarchosyndikalistisches Denken einzubringen.
Noch heute versuchen manche, an die große Zeit von damals anzuknüpfen. Unter anderem im Kino Babylon, wo es bei Stundenlöhnen von 5,50 Euro für die Mitarbeiter am Einlass, von sechs Euro für diejenigen an der Kasse und von acht Euro für die Filmvorführer auch Grund genug für Arbeitskämpfe gab. Verärgert über die Gründung eines Betriebsrates, einen Boykott­aufruf, der allerdings wieder zurückgenommen wurde, und die Aktivitäten der FAU im Betrieb verloren Grossmann und Hackel jegliche Sensibilität für historische Zusammenhänge und knüpften mit ihrem Antrag auf ein Verbot der FAU Berlin an eine Epoche an, in der Anarchosyndikalisten massiv verfolgt wurden. Das kann ihnen nicht bewusst gewesen sein, oder? Nachfragen zwischen den Jahren blieben erfolglos: Unter ihren Telefonnummern im Kino Babylon war niemand erreichbar, auch keine Anrufbeantworter. Andreas Koehn, der sich im Namen der Gewerkschaft Verdi in die Konflikte im Babylon eingeschaltet und Tarifverhandlungen mit der Geschäftsführung aufgenommen hat, hat offenbar nichts dagegen, wenn dem DGB lästige Konkurrenz vom Hals geschafft wird. Erst möchte er sich zum Verbot nicht äußern, denn: »Das geht uns nichts an.« Dann sagt er aber doch: »Wir stehen zur Einheitsgewerkschaft. Unter dem Dach des DGB.«
Eine Sache ist der Tarifabschluss, den Verdi mit den Betreibern des Babylon ausgehandelt hat, und der den Beschäftigten ab 1. Januar 2010 einige – wenn auch nur sehr geringfügige – Verbesserungen bringen soll: So sollen die Servicekräfte künftig 7,74 Euro und die Vorführer 9,03 Euro verdienen. Praktikantenverträge sollen auf drei Monate befristet und befristete Arbeitsverträge reduziert werden.

Eine andere Sache aber ist das faktische Gewerkschaftsverbot, das aufgrund der einstweiligen Verfügung alle diejenigen betreffen könnte, die von nun an versuchen, sich jenseits der tradierten Gewerkschaften zu Interessensverbänden zusammenzuschließen. Grossmann und Hackel haben ein Verbot initiiert, das sich zurzeit gegen die FAU Berlin, in Zukunft aber auch gegen alle möglichen gewerkschaftlichen Bestrebungen einer Öffentlichkeit richten kann, die auch das Kino mitfinanziert: Denn das Babylon erhält jährlich 320 000 Euro an Subventionen, von 2010 an sollen es 350 000 Euro sein.
Die zusätzlichen 30 000 Euro sind für die erhöhten Lohnkosten gedacht, die Verdi durchgesetzt hat – auf Vermittlung der Linkspartei, heißt es an einer Stelle; auf Wunsch der Verdi-Mitglieder im Babylon selbst, sagte Andreas Koehn am 22. Dezember in einem Radiointerview. Und: »Dank einer Finanzspritze vom Land soll das Filmkunsthaus Babylon ab Januar Tariflöhne zahlen.« Das hatte die Taz bereits am 12. Dezember vermeldet.

Nicht nur der Betrieb des Kinos Babylon in Berlin-Mitte und die leicht erhöhten Löhne werden somit aus Steuermitteln mitfinanziert, sondern auch die Initiatoren eines faktischen Gewerkschaftsverbotes für alle, die möglicherweise einmal jenseits des DGB etwas Neues beginnen wollen. Das Urteil des Berliner Landgerichtes hat gesellschaftspolitische Relevanz und ist von enormer Wichtigkeit, findet auch Lars Röhm, Sprecher der Berliner FAU.
»Die beste Gewerkschaft ist die, die dein Chef nicht mag«, skandierten FAU-Anhänger auf einer Demonstration einige Tage, nachdem das Verbot ausgesprochen worden war, und haben so Unrecht nicht. Timothy Grossmann und Tobias Hackel verhandelten offenbar auch lieber mit Verdi als mit der FAU, die die prekären Arbeitsverhältnisse im Babylon überhaupt erst zum Thema gemacht und an die Öffentlichkeit gebracht hatte. Sie greifen auch intern auf Möglichkeiten zurück, die das Unternehmertum so hat – etwa, die Gültigkeit ausgehandelter Verträge möglichst einzugrenzen. Dass der von Verdi ausgehandelte Tarifvertrag nicht nur für diejenigen gilt, die für die Firma Das Neue Babylon GmbH tätig sind, während zahlreiche andere Mitarbeiter, die zwar im selben Haus denselben Tätigkeiten nachgehen, aber einen Vertrag mit Grossmanns K&K (Kino&Konzerte) haben, leer ausgehen, versuchte der Betriebsrat am 17. Dezember mittels einer Klage vor dem Berliner Arbeitsgericht durchzusetzen, und tatsächlich wurde festgestellt, dass Das Neue Babylon GmbH und K&K ein Betrieb sind, die Lohnerhöhungen also für alle gelten müssten.
Und was die einstweilige Verfügung gegen die FAU Berlin betrifft, da geht es in die nächste Runde. Die FAU Berlin hat Widerspruch eingelegt, der diese Woche vor dem Berliner Landgericht verhandelt wird. Bis dahin ist ihr das Auftreten als Gewerkschaft oder als Basisgewerkschaft – dafür hat die Geschäftsleitung des »linken« Kinos Babylon gesorgt – unter Strafandrohung ver­boten.