Streit um Rosenkohl – Rosenkohl ist antizivilisatorisch

Der Gipfel der Geschmacklosigkeiten

Ungenießbar, stinkend und antizivilisatorisch: Rosenkohl ist böse.

Rosenkohl wird in Rezeptbüchern oft als »schmack­haftes Gemüse« oder »schmackhafte Beilage« bezeichnet. Dabei drängt sich natürlich die Frage auf, ob das nicht irgendwie aus dem Schwäbischen falsch übersetzt worden ist – Rosenkohl hat nämlich definitiv ein G’schmäckle. Er ist bitter, hat einen unangenehmen Geruch und gehört nicht in Kochbücher, da das Zeug nun einmal definitiv nicht essbar ist. Auf die Idee, Rosenkohl anzubauen, kam man auch erst Ende des 18.Jahrhunderts, als bei Brüssel aus einer Wildsorte der Rosenkohl gezüchtet worden war. Bis dahin hatte also offensichtlich niemand ein ausreichendes Interesse, das Zeug zu essen. Ob es einen Zusammenhang mit dem Brabanter Aufstand von 1789 gibt, bei dem die Unabhängigkeit gegen die Habsburger unter Joseph II. erkämpft wurde, ist allerdings nicht bekannt.

Die Vorliebe mancher Menschen für die bitteren Brüsseler Sprossen verwundert, schließlich soll die menschliche Geschmackswahrnehmung bitterer Stoffe vor dem Verzehr giftiger Pflanzen schützen. Und das nicht erst seit gestern, sondern mindestens seit 300 000 Jahren. Zu dieser Zeit trennten sich die Abstammungslinien von Neandertaler und modernem Menschen, beide haben das dafür verantwortliche Gen, daher muss sich dieser Schutzmechanismus vorher entwickelt haben. Eigentlich – so sollte man meinen – müsste eine solch lange Zeit ausgereicht haben, sich an die von den Geschmacksknospen auf der Zunge ausgesendeten Warnsignale zu gewöhnen. Auch wenn die Worte »Oh, lecker, bitterer Rosenkohl« einen Sinn zu ergeben scheinen, ist es doch nichts anderes, als wenn man die Handfläche auf eine glühende Herdplatte legte und dann – anstatt die Hand wegzubewegen – verkündete: »Oh, lecker, es riecht nach Grillfleisch.«
Zudem scheinen die Rosenkohlliebhaber regelrecht religiösen Eifer zu entwickeln, wenn es darum geht, vernünftige, also Rosenkohl verachtende Menschen dazu zu bringen, doch welchen zu essen. Im Internet finden sich viele Foren, in denen es darum geht, insbesondere Kindern die Bitterknollen doch noch schmackhaft zu machen. »Den gekochten Rosenkohl unter Kartoffeln heben und nicht separat servieren«, heißt es da. Oder man solle die Dinger gleich zu einem Auflauf verarbeiten oder mit »viel Käse überbacken«. »Reichlich Speck« soll dazugegeben werden, wohl um den Geruch zu überdecken. Alles in allem erinnert das an Beschreibungen der Arbeit von Giftmischern in Krimis – auch dort wird oft ausgiebig beschrieben, wie man welches Gift am besten verabreicht, damit es einerseits besonders gut wirkt, andererseits aber eben auch nicht herausgeschmeckt wird. Als Grund, wieso man den Kohl essen soll, wird immer wieder als Argument vorgebracht, er sei so vitaminhaltig. Richtiges Essen ist das auch – und zur Not gibt’s Brausetabletten mit Vitaminen beim Discounter.
Aber nicht nur der Geschmack von Rosenkohl ist furchtbar. Die Geruchsentwicklung der Knollen, insbesondere während sie garen, ist unbeschreiblich schrecklich. Selbst geschlossene Türen helfen nicht, man kann auf dem Weg durch das Treppenhaus kaum atmen, wenn sich ein Nachbar dazu entschieden hat, Rosenkohl zu kochen. Der Geruch hängt stundenlang in der Luft. Nur sperrangelweit geöffnete Fenster und ein kräftiger Durchzug können da überhaupt Abhilfe schaffen, aber dummerweise ist Rosenkohl ein anerkanntes Wintergemüse – man steht also traditionsgemäß vor der Wahl, zu erfrieren oder für die nächsten paar Stunden mit dem Gestank zu leben.

Doch auch wenn man nicht in die Nähe einer Zubereitungsstelle für Rosenkohl kommt, hat man dennoch manchmal unter den Folgen des blöden Gemüses zu leiden. Das kann zum Beispiel der leidend schauende Kollege sein, der schon seit Stunden unglücklich aussieht und sich dann irgendwann dafür entschuldigt, dass er Blähungen habe, die auf Rosenkohl zurückzuführen seien. Ein ganz anderes, noch deutlicheres Zeichen für die Ungenießbarkeit des Mini-Kohls dürfte eine Umfrage aus Großbritannien von 2002 sein. Die Briten, ansonsten eigentlich bekannt dafür, auch fürchterliches Essen schmackhaft zu finden, gaben den »Brussels Sprouts«, wie Rosenkohl dort heißt, das Prädikat, das meistgehasste Gemüse des Landes zu sein. Dass auch die oben angesprochenen Sekundärwirkungen durch Geruchsbelästigung beim Kochen und Blähungen nicht tragbar sind, zeigt Captain Wayne Keble von der Royal Navy: Er sprach auf seinem Schiff »HMS Bulwark« vor einigen Jahren ein generelles Rosenkohlverbot aus.
Wieso noch niemand untersucht, welchen ­Anteil der Rosenkohl eigentlich an der Klima­katas­trophe hat, ist ein Rätsel. Die Verschwendung von Heizungswärme durch das ausgedehnte Lüften dürfte enorm sein. Dazu kommen jedoch noch die ebenfalls bereits beschriebenen körperlichen Auswirkungen, Stichwort: Freisetzung von Treibhausgasen. Stinken, nicht schmecken und dann auch noch das Klima ruinieren – Rosenkohl ist wirklich ein absolut böses Gewächs.